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späten Lyrik Fontanes Formen des Humors, der Ironie und der Satire vertraut sind, die wir sonst eher als Erscheinungsweisen einer spezifisch epischen Distanz aus seiner Erzählkunst kennen, ja daß gerade sie in hohem Maße gesellschaftskritische Funktionen übernehmen. 1 '’ Doch auch hier läßt sich der Reaktions- und Funktionszusammenhang noch allgemeiner fassen und festlegen. Bewußtheit und Distanz bedingen jenes Klima der Illusionslosigkeit, Ernüchterung und skeptischen Beweglichkeit, das die Kritik trägt und den thematisierten verlogenen Ansprüchen und ideologischen Verblendungen auf eigene Weise entgegengesetzt ist: ein Medium sprachlicher Reflexion, in dem sich die Lüge nicht halten kann.
Ihre ,Unfeierlichkeit‘ ist ein charakteristisches Moment der späten Lyrik Fontanes. Deutlich wird es vor allem in den Annäherungen des Stils an die Alltags- und Umgangssprache, desgleichen im lässigen Umgang mit den Elementen des Gedichts . 17 Die Kollision zwischen dem mangelnden Sinn des Schriftstellers für Feierlichkeit und dem Feierlichkeitsgebot der Gesellschaft, die in Gedichten gelegentlich thematisch wurde, manifestiert sich gerade auch im Stil der Gedichte. Feierliche Getragenheit war sonst durchaus ein geläufiges Attribut von Lyrik, und gerade die Gedichte der zweit- und drittrangigen Autoren der Zeit wollen am wenigsten auf Feierlichkeit verzichten. Wenn Fontane es in radikaler Weise tut, so bringt das einerseits seine Entfernungen von der lyrikgeschichtlichen Konvention zum Ausdrude. Aber wenn Feierlichkeit, wie wir sahen, im Bewußtsein der Gesellschaft auch das Ernstnehmen gesellschaftlicher W T erte und Rangordnungen bedeutet, wenn sie überhaupt einen Hang der Gründerzeit zu pathetischer Selbstdarstellung zur Geltung bringt, so bekommt das Unfeierliche im Stil der Gedichte Fontanes vor diesem Hintergrund zugleich etwas von einer latent gesellschaftskritischen Haltung.
Wir haben uns daran gewöhnt, den Roman Fontanes als imponierende Schöpfung eines zeitkritischen Realismus anzusehen. Seiner späten Lyrik, auch wenn sie einen eher schmalen Teil des Werkes ausmacht, sollten wir eine solche Würdigung nicht vorenthalten.
Anmerkungen
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Dazu Fritz Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848-1898, Stuttgart 1962, bes. S. 265-268. Die Anthologie „Lyrik der Gründerzeit“, hrsg. von Günther Mahal (= dtv, Wissenschaftliche Reihe 4264), belegt im Umkreis der Reichsgründung zwar ein Aufleben politischer Lyrik, doch handelt es sich dabei - anders als im Vormärz - vorwiegend um Gedichte einer ganz unkritischen Affirmation.
Zu diesen Lesebedürfnissen vgl. Rudolf Schenda: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770-1910, Frankfurt a. M. 1970, S. 470-487. Die Gedichte werden zitiert nach der Fontane-Ausgabe der Nymphenburger Verlagshandlung: Theodor Fontane: Sämtliche Werke, Bd. 20 hrsg von Edgar Groß und Kurt Schreinert, München 1962. Die Seitenangaben werden den Textzitaten in Klammern beigegeben. - Obwohl sich der Ton der späten Lyrik in manchem schon früher ankündigt, sei unter der späten Lyrik Fontanes hier im wesentlichen verstanden, was nach dem Erscheinen der zweiten Auflage der Gedichte von 1875 neu hinzugekommen ist und dann erst in der dritten (1889), vierten (1892) und fünften (1898) Auflage seiner Gedichte zum Druck kam. (Zu dieser Frage auch Karl Richter: Die späte Lyrik Theodor Fontanes, in: Fontane aus heutiger Sicht, hrsg. von Hugo Aust, München 1980, S. 118-142, hier S. 119.)
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