Heft 
(1890) 38
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schmerzhaftem Zerren an ihren lang herabhängenden Ohren ge­straft wurde. !

Jetzt klopfte es leise an die Thür und das rothe, runde ^ Gesicht eines Burschen wurde sichtbar. !

Bitt' um Verzeihung, Herr Lieutenant, aber Frau Lehmann ? ist hier- Herr Pfarrer möchte gern den Herrn Lieutenant ! sprechen und fragt an, ob es hier oder oben genehm wäre."

Der Lieutenant warf einen raschen Blick auf das mit blauem Rauch erfüllte Zimmer, die geleerten Gläser und Flaschen, die Eigarrenreste auf dem Tisch, die Lampe, die wie in einem Dunst­kreis brannte, und erwiderte: ^

Ich lasse grüßen und würde in zwei Minuten oben sein!"

Er ging hastig in sein Schlafzimmer, warf den Hausrock ab und tauchte Kopf und Hände in eine große Waschschüssel; nach­dem er dies Manöver prustend und ächzend mehrmals wiederholt und sich mit einem groben Tuch getrocknet hatte, trat er vor den Spiegel, zog den Rock wieder an, band die Krawatte fester und strich sich das Haar zurecht. Dann schellte er nachdrücklich.

Kruschewskp, Du lüftest hier gehörig, aber gehörig ver- ! standen? Wenn ich herunterkomme, und ich rieche noch ein Atom ^ von kaltem Tabak, so dreh' ich Dir das Genick um!"

Mit dieser menschenfreundlichen Ermahnung stieg der Lieute­nant, von Julchen begleitet, die Treppe hinan.

Eine freundliche alte Frau mit einen: guten, faltigen Gesicht unter einer schneeweißen Haube öffnete ihm die Thür Frau Lehmann, Reginalds Amme, die ihr heimathliches Dorf, ihre Kinder und Enkel verlassen hatte, um ihreu Liebling in der großen, fremden Stadt nicht ganz allein zu lassen. Die beiden, Fritz und die Lehmann, konnten einander gut leiden und lachten sich freundlich an.

Gehen Sie nur gleich hinein, Herr Lieutenant, er ist vorn und wartet auf Sie! Mein Gott, Sie sehen ja so roth aus im Gesicht Sie werden doch nicht krank sein?"

Bewahre, liebe Frau Lehmann! Ich bin bloß aus Freude erröthet, Sie wiederzusehen! Komm', Julchen!"

Das hellerleuchtete, sauber aufgeräumte und von Blumenduft durchzogene Zimmer, das der Ulan jetzt betrat, stand im schärfsten Gegensatz zu derBude", die er soeben verlassen hatte. Alte, gediegene Möbel standen au den Wänden umher, ein großer, Heller Teppich bedeckte den Fußboden; über dem Sofa hing das lebensgroße Brustbild einer sehr schönen blonden Frau, der Re­ginald auffallend ähnlich sah.

Er hatte mit einem Buch neben der Lampe am Tisch gesessen und reichte seinem Vetter freundlich die Hand.

Guten Abend, Fritz! Setz' Dich! 'Kann' ich Dir etwas zu rauchen und zu trinken anbieten? Nein? Nun, wie Du willst! Guteu Abend, Julchen!"

Die wohlerzogene Hühnerhündin hatte dem Pfarrer eitle Pfote hingereicht, und er schüttelte sie ihr wie einer guten Freundin.

's ist doch höllisch gemächlich bei Dir, Regi!" sagte der Lieutenant mit einem tiefen Athemzug, indem er sich behaglich in seinem Sessel dehnte.

Höllisch ist für einett Geistlichen nicht ganz kommentmäßig, Fritz!" sagte der Pfarrer lachend.Und warum, wenn Dir s bei mir so gefällt, kannst Du Dir nicht unten dieselbe Gemächlichkeit schaffen?"

Das leiden schon die Kameraden nicht, denen ist am wohlsten, wenn angerauchte Cigarren und Karten und Gläser und Reit­peitschen bunt durcheiltander gemengt sind. Du hast im ganzen wellig Besuch."

Bitte sehr! Soeben habeich einen gehabt, noch dazu einen wichtigen."

Damenbesuch?" fragte der Lieutenant gespannt.

Nein, Du frivoler Mensch, nichts so Zartes! Wie sollte ich wohl auch dazu kommen?"

Setz' Dich nur erst als wohlbestallter Seelsorger an der Lnkaskirche fest, und Du sollst sehen, wie Dir die anmnthigen Beichtkinder zufliegen werden! Ein bildhübscher Kerl wie Du sag', siehst Du denn nie in den Spiegel?"

Natürlich, Fritzchen! Allein ich kann nicht sagen, daß mich das, was ich da zu sehen bekomme, sehr entzückt! Ich bin erstens nicht mein eigener Geschmack - - und dann"

Nun?"

Ich denke, das, was den Damen gefällt, ist ein ganz anderes

Genre, als das meinige, das interessante, fesselnde, ein wenig düstere, das ihnen halb Furcht einflößt und sie doch unwiderstehlich anzieht ..."

Sieh, was der geistliche Herr für Studien auf diesem Ge­biet macht!" lachte der Vetter.Solch' ein Gesicht, wie Du es da beschreibst, paßt ja Zug für Zug auf diesen Maler, den Pro fessor Delmont, den wir neulich bei Weplands sahen."

Die Angelt der beiden Vettern trafen ineinander, und der Offizier merkte zu seinem ungemessenen Erstaunen, daß der Herr- Pfarrer verlegen war seinem raschen Begriffsvermögen dämmerte etwas wie eine Ahnung auf, und frisch entschlossen steuerte er geradeswegs auf das Ziel zu.

Deine schöne Tischnachbnrin Volt Wehlands wird sicher Teilte Ansicht nicht theilen. Du weißt, ich war ihr Eotillontänzer - sie hat kein einziges Wort über Delmont zu mir gesagt, dagegen sich angelegentlichst nach Dir erkundigt!"

Wirklich? Hat sie?"

Ja und daß sie bestimmt zu Deiner Alltrittspredigt kommen will. Du wirst sie da wohl alle Wiedersehen, die liebelt kleinen Mädchen vom neulichen Abend. Wird eS Dich nicht verwirren, all diese neugierigen Aeuglein auf Dich gerichtet zu sehen?"

Nein, Fritz! Ich habe dann an Wichtigeres zu denken als an Mädchenaugen!"

Der Ulan ließ sich nicht so leicht irremachen.

Ja, aber dieses Fräulein Gerold hat denn doch ein Paar- ausgesuchter Augen im Kopf. Wetter noch eins! Wenn die so sonnenhell und freundlich dreinsehen ... 's wird einem doch kurios so um die liuke Gegend herum! Die Kameraden wollen allesammt Visite schneidert die Gerolds sollen ein sehr hübsches Haus machen, haben auch viel Vermögen schade, daß die Saison vorbei ist!"

Ich habe mir auch vorgenommeu, dort mellten Besuch zu machen!" Conventius hatte den Blick niedergeschlagen und spielte mit der Quaste au der Tischdecke.

Deu Mauu hat's!" dachte der Lieuteuaut und musterte seinen Vetter mit einem ganz neuen Interesse.Seh' eitler den Duckmäuser an! Ist noch nicht recht warm hier geworden und verliebt sich flottweg in das schönste Mädchen, das uns hier vor die Augen gekommen ist! Gut, daß ich das weiß! War selber auf dem besten Wege, mich gehörig ansengen zu lassen. Na, davon kamt natürlich jetzt gar keine Rede mehr sein! Regi hat die Vorhand, und wir blasen in aller Stille zum Rückzug. Was der geistliche Herr für einen auserlesenen Geschmack entwickelt! Eilt schönes Paar giebt das ab! Sie wird doch kein Närrchen sein ttnd dieses Prachtexemplar Volt einem Menschen zurückweisen? Er hat sie mit diesem Professor im Verdacht, und wenn ich mich recht besinne, wie angelegentlich die zwei mit einander redeten, trotzdem er eigentlich Hertha Kreutzer, das kleine Afsengesicht, zur Dame hatte . . . dummes Zeug! Warten wir's ab! Jedenfalls lege ich mich als liebenswürdiger Vetter in Reginalds Namen auf die Lauer!"

Blitzartig waren diese Gedanken durch des jungen Mannes Sinn gegangen, während er ganz gesetzt erwiderte:

Du wirst sehr wohl daralt thuu, bei Gerolds Besuch zu machen. Fräulein Annie liebt ihre ältere Schwester schwärmerisch, und da diese Dame Geist und große Kenntnisse besitzen soll, dürftest Du ihr besser gefallen und mehr Eindruck auf sie machen als unsere gesummte Ulanenpracht!"

Reginald machte eine Bewegung, die sagen zu wollen schien, daß ihm daran nichts liege, und es trat eilte kurze Stille ein, die Fritz endlich mit den Wortelt unterbrach:

Du sprachst von einem Besuch"

Ja, ja, ganz recht. Entschuldige, Fritz! Es war der Grund, weshalb ich Dich Heraufbittelt ließ- und nun hatte ich ganz vergessen"

Welch ein Reitling in der Verstellungskunst! Der schölte, stattliche Manit war Verlegelt wie eilt Kind; es gehörte wahrlich nicht viel Menschenkenntnis; dazu, in seiner Seele zu lesen!

Also, vor einer Weile war der Gefäugnißdirektor Warner hier, ein verständiger, gescheiter Mann; wir hatten eine sehr lange Unterredung miteinander, und da Du besonders für diesen Zweig meines Berufs Interesse gezeigt hast, so wollte ich Dir mittheilelt, was ich heute erfahren habe."