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sprühendes Schnellfeuer knatterte ohne Unterbrechung. Unsere ^ Artillerie war mit etwa 10 Batterien zwischen Servigny und j Poix aufgefahren und unterhielt ein wahres Schnellfeuer gegen ! die Angreifer. Truppen des vierten französischen Armeecorps ^ rückten trotzdem unaufhaltsam gegen die genannten Orte heran, ^ welche je von zwei Bataillonen des 1. und 41. Regiments besetzt waren. Doch vergebens waren alle Anstrengungen, der feindliche Angriff scheiterte gänzlich. Das mit tödlicher Sicherheit ab- ^ gegebene Schnell- und Salvenfeuer der Königsberger Grenadiere und Musketiere ließ die Stürmenden keinen Boden gewinnen und ^ richtete namenlose Verheerungen unter ihnen an. Jeder Erfolg war diesem mit maschinenartiger Sicherheit abgegebenen Feuer gegenüber unmöglich. !
Zur Unterstützung der Dorfbesatzungen ließ General von Bent- ! heim im entscheidenden Augenblicke das zweite Treffen, Ostpreußisches Grenadierregiment Nr. 3 und 1. Jägerbataillon, Vorgehen. Dieser wie auf dem Exerzierplätze ausgeführte Stoß traf den Gegner unerwartet, seine schon ermattende)! Truppen zogen sich unaufhaltsam zurück.
Unser Bataillon — das 1. des 43. Regiments — hatte gleich ^ zu Anfang des Kampfes den Befehl erhalten, zur Deckung der Artillerie Aufstellung zu nehmen. Wer sich je in einer solchen Stellung befunden hat, weiß, welche Bedeutung sie für die Truppe und den einzelnen Mann hat. Während die Kameraden im lebhaften frischen Kampfe ihre Kräfte mit dem Gegner messen, im Bereiche des feindlichen Feuers unthätig dazustehen, erfordert keine)) geringen Grad von Selbstbeherrschung und Nerven von Stahl, den)) man hat Muße genug, Berechnungen darüber anzustellen, ob und wo die heransausende Granate in die Kolonne einschlagen und wer ihr zum blutigen Opfer fallen wird. Es gehört dazu hoher moralischer Muth und eine Mannszucht, wie sie, Gott sei Dank, der deutschen Armee eigen und in Fleisch und z Blut übergegangen ist. !
Auch unsere Leute fühlten die Wucht der gefährlichen Lage, ! besonders die jungen Mannschaften, doch bald siegle der heitere ^ Jugendmuth, und die in jeder Truppe vorkommenden „Karnickel, die immer anfangen" und denen der Humor nie fehlt, machten auch hier bald ihre Kraftscherze bei heransausenden Granate)) wie „Kopp weg!" oder „Karl, duck di, Steen kömmt" rc. Endlich bei hereinbrechender Dunkelheit erhielten auch wir den Befehl ^ zum Vorgehen und mit kräftigem Hurrah schwärmten unsere ! Schützenzüge dem abziehenden Gegner nach. Das Bataillon ging ^ zwischen Servigny und Noisseville im Vallieresgrunde vor, während > der dritte Schützenzug links davon, als Flankendeckung des Ba- ! taillons, gegen Noisseville avancirte.
Nur ein matter Dämmerschein herrschte noch, als wir uns ! durch ei)) großes Rebenfeld gegen Noisseville hi)) durchzuarbeiten suchte)). Immer tiefer sank die Nacht herab, das Feld lag schwarz wie Tinte vor uns, wir machten Halt und stellten unser nur von einzelnen Rotten abgegebenes Feuer ganz ein. Vom Dorfe her blitzte noch dann und wann ein Gewehrschuß auf, und mit scharfem Pfiff beschrieb das Geschoß jedesmal einen hohen Bogen ! über uns fort. Ein Witzbold sprach sofort das geflügelte Wort i aus: „Die Franzosen wollen Löcher in die Nacht schießen, damit es ei)) wenig Heller werde." I
Endlich stellten auch unsere Gegner das Feuer ein. Nur ! von Servigny, wo unser zweites und Füsilierbataillon in Gemein- ^ schaft mit der ersten Brigade in Thätigkeit waren, knatterte un- ! ausgesetzt das Gewehrfeuer herüber, und von unserem Bataillon > hörte)) wir aus dem Vallieresgrunde einige Salven herauf- ! krachen. !
Vor uns herrschte eine unheimliche Ruhe, der Nachtwind ! rauschte und raunte, flüsterte und zischelte in dem Laube der ' Weinstöcke, schlief ei)) und begann im Augenblick wieder sein heim- ? liches Flüstern. Ein leises Knarren der Rebstöcke an den Pfählen ! war wohl durch den Wind verursacht. Wir strengten unser Seh- ^ vermöge)) an, um etwas in dieser Dunkelheit zu erkennen, doch vergebens, nur unmerklich hob der Himmel sich von dem Rebengelände ab, uns schmerzten die Augen vor Anstrengung, sehe)) konnten wir aber trotzdem nichts. Und dennoch — waren unsere hochgradig angespannten Nerven nur daran schuld, oder war es Wirtlichkeit — ! schien etwas in der Dunkelheit Vorzugehe)), das sich unseren Blicken ^ entzog. Das Rauschen, Knarren und Flüstern in den Weinstöcken schien eigenthümlich zugenommen zu haben, während der Wind !
an Stärke abnahm. Wieder setzte der Wind etwas stärker ein, es knackte und rauschte vor uns, auch als der Luftzug aufhörte. Da durchzuckte den ganzen Schützenzug wie ein elektrischer Schlag die halblaute Warnung des Zugführers: „Achtung!" Jeder glaubte in demselben Augenblicke eine eigenthümliche Bewegung in den Weinstöcke)) bemerkt zu habe)), krampfhaft umspannte jede Faust das schußfertige Gewehr. Da knistert's und raschelt's in den Büschen und klingt wie verhaltenes Keuchen hervor, dann „kroch es heran, regt' hundert Gelenke zugleich". „Dreißig Schritte, Schnellfeuer!" donnert das Kommando des Zugführers, und die letzten Silben werden schon vom Prasseln der Schüsse verschlungen. Ein Wuthgeheul und Schmerzgeschrei mischt sich mit unserem salvenartigen Feuer, eine schwarze langgestreckte Masse erhebt sich im Feuerschein der Schüsse über die Weinstöcke, doch nur eine)) Augenblick, die Wirkung unseres Feuers ist zu furchtbar! Dann taucht die Masse wie eine verrinnende Woge in der Finsterniß unter, und das Geräusch brechender Weinstöcke zeigt uns de)) wilde)) Rückzug der Gegner an.
Leise rauschte der Nachtwind, und flüsternd schwangen und schwebten die Ranke)) der Weinstöcke über den Gefallene)).
Bald rief uns ei)) Hornsignal zum Bataillon, mit dem wir bis zur Höhe östlich von Servigny zurückgingen.
Es war eine für die Jahreszeit recht kalte Nacht, vom 31. August zum 1. September 1870, dichte Nebel stiegen auf und hüllten Himmel und Erde bald in eine Dnnstmasse. Unser Bataillon brachte infolge der Nähe des Gegners, welcher Noisseville noch besetzt hielt, die Nacht unter dem Gewehr zu, jeden Augenblick bereit, den Kampf mit dem etwa hervorbrechenden Gegner aufzunehmen.
Feuer dursten nicht angezündet werden, und wir froren um so mehr, als niemand mehr einen Schluck „Liebeskümmel" in der Feldflasche hatte. Geraucht durfte ebensowenig werden, um das Aufflammen der Zündhölzchen zu vermeiden. Ein etwas boshafter Musketier meinte freilich, das Verbot wäre ergangen, damit der Duft des edlen „Vorpostenkanasters" den Franzosen unseren Standpunkt nicht verrathe.
Unter diesen Umständen erwarteten wir mit Ungeduld den Morgen. Endlich zeigte sich im Osten ein röthlicher Streife)) am Horizonte, der Tag brach an, für viele von uns zum letzte)) Male. - -
Kaum begann die Sonne den dichten Nebel etwas zu zerstreuen, als unser Regiment den Befehl erhielt, zum Angriff auf Noisseville vorzugehen und es zu nehmen. Unser Bataillon bildete das erste Treffen, als zweites folgte das Füsilier- und zweite Bataillon. Rechts von uns ging noch das erste Bataillon vom Regiment „Kronprinz" 1. Ostpreußisches Nr. 1 und links das 4. und 44. Regiment, das letztere gegen die neben Noisseville an der Chaussee gelegene Brauerei vor. Schnell hatten die Bataillone Treffenabstand genommen und wir marschirten den Vallieres- grund hinab, um möglichst unbemerkt hervorzubrechen.
Als wir etwa in der Höhe von Noisseville angekommen waren, erfolgte das Signal: Schützen schwärmen! Im Laufschritt ging's den südlichen Abhang der Schlucht empor: vor uns lag das uns vom vergangenen Abende wohlbekannte Rebenfeld, dahinter Noisseville.
Schon seit einiger Zeit hatte unsere Artillerie ein heftiges Feuer gegen das Dorf eröffnet, unausgesetzt sausten die Granate)) durch die Luft über uns hinweg und schlugen krachend in die Gebäude, nur sehr schwach wurde dieses Feuer von feindlicher Seite erwidert.
Ohne zunächst einen Schuß abzugeben, suchten wir so schnell als möglich durch die Weinranken hindurch und -näher an das Dorf heranzukommen. Auch von dort her fiele)) nur ganz vereinzelte Gewehrschüsse. Sollte man unsere Annäherung bei dem noch immer nicht gefallenen Nebel und zwischen den hohe)) Weinstöcken noch nicht bemerkt haben?
So schnell, als es uns möglich war, hatten wir uns nun den) Dorfe bis auf etwa vierhundert Schritte genähert, als ein wildes Gewehrfeuer gegen uns eröffnet wurde, dessen Schüsse meistens zu hoch gingen. Wir nahmen nun das Feuer ebenfalls auf; da unsere Gegner aber gedeckt standen und aus den Häusern heraus, hinter Barrikaden 4c. hervorfeuerten, so wurde das Feuer