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unsererseits Zunächst nur von einzelnen Schützengruppen unterhalten.
Obgleich bei unseren Leuten schon mehrere Verwundungen vorgekommen waren, trieb der Humor doch seine Blütheu.
„Du," ruft ein Musketier seinem Freunde zu, „heute ist Prüfungsschießen nach Kopfscheibe, man hübsch rausgeschossen!"
„Na ob," erwidert der Au gerufene, „man ohne Sorge!"
Dabei feuerten beide so kaltblütig, als ständen sie thatsächlich auf dem Scheibenstande und nicht im heftigen Kugelregen einem erbitterten Gegner gegenüber.
Bis jetzt hatte die Artillerie der Forts geschwiegen. Nachdem der Nebel aber gänzlich gefallen war, nahm auch sie das Feuer auf. Ein dumpfer Donner erschüttert Plötzlich die Luft, und vom Fort St. Julien sauft es mächtig heran. „Granate!" rufen die Führer der Schützenzüge, einen Augenblick danach erfolgt unter schneidendem Zischen ein dröhnender Schlag, so furchtbar, daß der Boden erbebt und zu schwanken scheint; vor uns in geringer Entfernung werden Erde und Steine hoch emporgeschleudert. Die nächsten Schützengruppen haben sich platt zu Boden geworfen, eine Sekunde athemloser Spannung vergeht, dann kracht's, als ob der Erdball voneinarider gerissen wäre, eine Garbe von Feuer, Pulverdampf und Erde schießt haushoch empor, und mit ohrzerreißendem Pfeifer: fahren die Sprengstücke der Granate schwersten Kalibers auseinander. Diesesrnal ging die Gefahr ohne blutige Opfer vorüber.
Inzwischen war unser Bataillon an die Schützenlinie herangerückt, nun hieß es wieder: Schützen avarreiren! Vorwärts giug's, sprungweise, sich niederwerfend und feuernd, eine dämonische anscheinend ordnungslose lange Kette. Rechts und links pfiffen und zischten die feindlichen Geschosse, immer öfter; je näher wir herankamen, ließ sich der dem Ohre des Soldaten bekannte knackende Ton der einschlagenden Geschosse hören, und lautlos oder mit einem unterdrückte:: Schmerzenslaut sanken die Getroffenen zusammen. Die Lage war sehr ernst geworden; noch einmal hielten wir vor dem Dorfe am Rande eines Wiesenstreifens und feuerten in knieender Stellung. Jedes Fenster, jede Schießscharte und die hier mündende Dorfstraße wurden unter ein vernichtendes Feuer genommen. Ter kurze Doppelschlag der Tambours tönte hinter uns im zweiviertel Takt, wie eine Fluthwelle rückte Das Bataillon mit zur Attake rechts genommenem Gewehr heran; der letzte Akt des blutigen Dramas begann!
Wie ein bisher geschlossener Vorhang zogen die Schützen sich rechts und links auseinander, um dem anstürmenden Bataillon Platz zu machen, und schlossen sich ihm. an. Ein donnerndes Hurrah, sich immer erneuernd, erschütterte die Luft und übertönte das Knattern der Schüsse, wie eine Lawine stürzte die Sturmkolonne gegen das Dors an. Ein wüthendes Feuer krachte uns entgegen, aus Fenstern, Dach- und Kellerluke::, aus Scharten und hinter Verhauen hervor. Sinnverwirrend war das Knattern der Schüsse, das Rasseln der Trommeln und die dröhnenden Hnrrahs der Stürmenden. Aber die verzweifeltste Gegenwehr war hier vergebens; in kürzerer Zeit, als das Niederschreibe:: dieser Zeilen erfordert, waren die ersten Verhaue erreicht, eingerissen oder übersprungen, wobei unsere Leute, ebenso wie im nachfolgenden Kampfe, eine herkulische Kraft entwickelten.
Ein mörderischer Kampf Mann gegen Mann entbrannte nun in der Dorfstraße, die Bestürzung und der Schrecken war den Franzosen deutlich im Gesicht geschrieben, aber auch eine entsetzliche Wuth funkelte in ihren Augen. Ein Kampf auf Gewehrlänge, wo der Athen: der Kämpfenden sich mischt, hat etwas Furchtbares, Durch den ersten Anprall wurden unsere Gegner zurück und zum Theil in die Häuser gedrängt, jedes Haus wurde zur Festung, die besonders genommen werden mußte. Das Knattern der Schüsse mischte sich mit dröhnenden Axtschläge:: und Kolbenstößen, womit Thüren und Fenster eingeschlagen wurden, das Klirren springender Fenster mit dem Prasseln des an einigen Stellen aufschlagenden Feuers; Pulverdampf, Rauch und Staub verschlangen zeitweise die Kämpfenden. Ein nicht minder erbitterter Kampf tobte gleichzeitig in den mit hohen Mauern umgebenen Gärten des Dorfes, die förmliche Forts bildeten und erstürmt werden mußten. Mit dem Muthe. der Verzweiflung, wehrten sich die Franzosen. Durch den hartnäckigen Widerstand hinter Thitzcen und Mauern hatten sie unsere Leute aber erbittert, und jeder Widerstand war vergebens, endlich erlahmte derselbe; mit finsteren Blicken, aneinander
gedrängt, ergaben sich diejenigen, welche noch kampffähig und nick geflohen waren.
An eine Ordnung war bei einem solchen Kampfe bald nick ! mehr zu denken; jeder Offizier oder Unteroffizier führte mit de um ihn befindlichen Mannschaften den Kampf auf eigene Fans ^ So war auch der dritte Schützenzug gleich in: Anfänge des Dorj gefechtes vom Bataillon abgesprengt worden und in eine Neben ^ straße gekommen, die, wie es schien, hinter einer Reihe von Ge bänden herumführte und vollständig unbesetzt war. Im Laufschrit giug's die Straße entlang, über eine aus Karren und Hausgerät! hergestellte, aber unbesetzte Straßensperre hinweg, um wieder an den Kampfplatz zu kommen.
In kurzer Zeit hatten wir eine breite Hauptstraße erreicht die nach Westen das Dorf verließ und nach Nouilly führte; wi: befanden uns also ziemlich im Rücken der Dorfbesatzung. Es bliel kaum so viel Zeit, um uns zurechtzufinden, als wir schon bemerk waren. Auf der Straße weiter hinab stand im Dorfe ein starke: feindlicher Unterstützungstrupp; unser Erscheinen in seinem Rücken brachte bei demselben eine nicht geringe Verwirrung hervor, di:
- sich wesentlich steigerte, als unsere ersten Schüsse krachten. Bald aber hatte, wie wir bemerkten, das Bemühe:: der Offiziere, Ordnung z zu schaffen, Erfolg, und in: Laufschritt mit gefälltem Gewehr ^ stürmte die Kolonne heran. Wir feuerten, was die Läufe halten ^ wollten, was konnten wir aber, ein schon an: 14. August zusammen- ! geschossener Zug, der auch heute wieder eine Anzahl Leute ver- ! loren hatte, hier machen! An ernster: Widerstand unsererseits war nicht gut zu denken. Wir zogen uns deshalb schnell bis zu ! dem erwähnten Verhau zurück und nahmen hinter demselben ; Deckung; die Gegner folgten, und es entspann sich ein kurzes ^ Feuergefecht. Eben wollten wir, der Uebermacht weichend, weiter ^ znrückgehen, als ein Hurrah in der Dorfstraße vor den Häusern ^ erdröhnte, hinter denen wir uns befanden. Es mußte dort eine ! größere Abtheilung unseres Bataillons geschlossen Vordringen. ! Hielten unsere Gegner nun noch Stand, dann mußten sie abge- ! schnitten werden; dieses erkennend, zogen sie sich, so schnellste ge- ^ kommen waren, zurück, wir ungesäumt dahinter her, konnten sie ^ aber nicht mehr erfassen.
! In der Straße, welche in der Richtung aus Nouilly aus- ! mündete, trafen wir mit Mannschaften unserer zweiten Kompagnie ! zusammen, vereint mit diesen ginchs nun den Abziehenden nach.
^ Ohne zu halten, stürmten diese davon gegen den genannten Ort ! zu. Ihnen weiter zu folgen, war nicht räthlich, wir hätten uns ! sonst zwischen zwei Feuer gebracht, denn schon zogen Abtheilungen, j welche aus den Gärten von Noisseville vertrieben waren, über das ! Feld, die wir nun unter Feuer nahmen.
Endlich waren aus Dorf und Gärten die Gegner hinausgeworfen, und wir glaubten, nun würde das Fort St. Julien sein Feuer gegen uns eröffnen, um uns zu verjagen. An maßgebender Stelle schien man etwas Aehnliches zu erwarten, denn wir räumten den Ort und zogen uns hinter denselben zurück. Das Fort aber schwieg, und der vollständige Rückzug des ganzen dritten französische:: Armeecorps trat ein, wodurch auch die übrigen Corps veranlaßt wurden, den Rückzug gegen Metz anzutretem
Wir besetzten das Dorf wieder und hatten nun Muße, die ! traurigen Folgen des Kampfes zu betrachten. Es sah in den Straßen und Häusern entsetzlich aus, unsere Verluste waren bedeutend, aber weit überwiegend war unter den Gefallenen die französische Uniform vertreten.
Zwei charakteristische Vorkommnisse mögen hier noch ihren Platz finden.
Während des Kampfes sah sich ein Unteroffizier plötzlich allein einer Anzahl Franzosen gegenüber. Kurz entschlossen rechnet er ans, daß es besser gethan sei, dem Vaterlande einen tüchtigen Vertheidiger durch geschickten, wenn auch nothgedrungen etwas be- ! schlennigten Rückzug zu erhalten, als sich in einen ungleichen ! Kampf einzulassen, dessen Ausgang nicht zweifelhaft war. Den:
^ Gedanken folgt die That; doch unerwartet sperrt eine Mauer seinen ^ Weg, die Verfolger sind dicht hinter ihn: her. Als guter Turner ! sucht er entschlossen mittelst Klimmzuges die Mauer zwischen sich i und seine Verfolger zu dringen; schon athmet er auf, die Höhe 1 der Mauer ist erreicht, da, hilf Himmel! fühlt er sich an einem ! Fuße festgehalten und herabgezerrt. Doch ein verzweifelter Ruck —>
! und der Franzose steht mit einem erbeuteten preußischen Kommiß- ! stiefel verblüfft am Fuße der Mauer, während der bisherige Träger