Heft 
(1985) 39
Seite
74
Einzelbild herunterladen

Wirklich, der Mond stand drüben über dem Elefantenhause, das in dem niederströmenden Silberlicht noch phantastischer aussah als gewöhnlich. Lene wies darauf hin, zog die Mantelkapuze fester zu­sammen und barg sich an seiner Brust. So vergingen ihr Minuten, schweigend und glücklich, und erst als sie sich wie von einem Traume, der sich doch nicht festhalten ließ, wieder aufrichtete, sagte sie (...) (III, 116)

Der Inhalt ihres Traumes bleibt unausgesprochen, aber vermutlich genießt sie eine kurze Weile in der Phantasie das, was ihr in der Wirklichkeit verwehrt ist. In einer ähnlichen Situation während des Aufenthaltes in ,Hankeis Ablage schließt Lene die Augen, indem sie zu Botho aufsieht: ,Und sie schmiegte sich an ihn und blickte, während sie die Augen schloß, mit einem Ausdruck höchsten Glückes zu ihm auf (III, 155). Heißt es zu weit zu gehen, wenn man hier die Vermutung anstellt, daß sie die Augen schließt, damit ihre Einbildungskraft das weiche Muttersöhnchen in jene Art von Märchenheld verwandeln kann, der ein glückliches Ende herbei- 1 zwingt? Aber man wird vielleicht einwenden, diese Augenblicke, wo sich Lene dem Träumen hingibt, würden dadurch aufgewogen, daß sie dann immer zu einem klaren Bewußtsein ihrer wirklichen Lage zurückkehrt. Der Einwand wäre unwiderlegbar, wäre die menschliche Seele vollkommen rational. Aber das ist sie nicht. Lene mag die Traumbilder aus ihrem Bewußtsein tilgen, aber wenn diese in einem tiefen Wunsch wurzeln, wird sie sich wohl nicht davon abhalten können, noch weiterhin unbewußt an die Erreichbarkeit des Unerreichbaren zu glauben. Wie Frau Nimptsch sagt, es ist gut möglich, daß Lene sich was einbildet, ,auch wenn sie es nicht wahrhaben will.

Der Leser wird, wie ich glaube, durch die Beschreibung der Vorgänge in Hankeis Ablage zu einer solchen Betrachtungsweise aufgefordert. Der Augenblick, wo sie einen Kahn zu ihrem Ausflug wählen, gibt den ersten Hinweis:

.Welches nehmen wir, sagte Botho, .dieE'orelle oder dieHoff­nung ? .Natürlich die Forelle. Was wollen wir mit der Hoffnung? (III, 145)

Auf einer Bedeutungsstufe ist diese neckische rhetorische Frage eine Auf­forderung an Botho, ihr zu widersprechen, indem er die Hoffnung wählt. Botho fühlt die Spitze wohl heraus, denn er hat sich schon darüber Gedan­ken gemacht, ob er ihr nidit eine Zukunft schulde. [Nach dem Bericht eines anderen Offiziers hat sichs Botho .ganz ernsthaft überlegt, ob er nicht seine Weißzeugdame zur weißen Dame erheben soll. Schloß Avenel oder Schloß Zehden macht ihm keinen Unterschied (III, 132).] Die Worte über Hoffnung und Hoffnungslosigkeit markieren das Ende dieses Gesprächs. Danach folgt ein beschreibender Passus. Auf diese Weise bleiben Lenes leicht hingeworfene aber bedeutungsschwere Worte gleichsam in der Luft hängen, bis sie wieder zu sprechen anfangen. Ihr Widerhall wird dann in den Namen der Blumen hörbar, die Lene eben aufgelesen hat; darunter sind .Ehrenpreis, .Vergißmeinnicht und .Immortellen. Wenn Botho Lene bittet, den Blumenstrauß mit einem ihrer Haare zu binden weigert sie

74