Heft 
(1985) 39
Seite
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die von der herrschenden gesellschaftlichen Ordnung für gültig erklärt wird. Fontanes Verwendung und Behandlung der Phantasie in Irrungen, Wirrungen vermindert nicht seinen Rang als Realisten; im Gegenteil weist ihn sein Respekt vor der Einbildung als weisen Interpreten der mensch­lichen Seele aus, wie sie mit dem Zustand der Entfremdung fertig zu werden versucht.

Anmerkungen

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M. A. McHafEie, .Fontanc's Irrungen, Wirrungen and the novel of Realism in Periods in German I.iterauire, vol 2, hrsg. J. M. Ritchie, London, 1969, S. 177.

W. Müller-Seidel, Theodor Fontane, Stuttgart, 1975, S. 265.

J. Schillemeit, Theodor Fontane. Geist und Kunst seines Alterswerkes, Zürich, 1961, S. 45.

F. M. Sublotto,The Use of Memory in Fontanes Irrungen, Wirrungen, in Formen realistischer Erzählkunst, hrsg. J. Thunecke und E. Sagarra, Nottingham, 1979, S. 479-80. ibid. S. 481.

A. F. Bance, Theodor Fontane: the major novels, Cambridge, 1982, S. 995. ibid. S. 95. ibid. S. 91.

ibid. S. 93.

ibid. S. 96.

Der Ästhetizismus Bothos tritt am deutlichsten zutage, wenn er in bester Laune zum Mittagessen mit Baron von Osten ausgeht, trotzdem er weiß, daß die Ein­ladung eine Intensivierung des Familiendrucks bedeutet, Käthe Sellenthin zu heiraten: ,Hier sah er, unter der grünen Kastanienlaube hin, abwechselnd auf das Tor und dann wieder nach dem Tiergarten zu, wo sich, wie auf einem Camera- obscura-Glase, die Menschen und Fuhrwerke geräuschlos hin- und herbewegten. Wie schön. Es ist doch wohl eine der besten Welten (III, 122). Trotzdem geht ihm eine differenzierte Sensibilität ab, so daß er immer das gleiche, zur Zeit sehr beliebte Beiwortreizend auf alles anwendet, was ihm gefällt, Lene mitein­geschlossen. Im Roman wird der glückliche Ausgang des Märchens nicht nur durch die äußeren Rangunterschiede unerreichbar gemacht, sondern auch durch Unterschiede im Empfindungs- und Bewertungsvermögen, die jeweils auf aus­einanderklaffenden gesellschaftlichen Erfahrungen beruhen: wer so viel hat wie Botho, versteht es nicht mehr, das eigentlich Wichtige am Leben richtig zu schätzen.

Marx/Engels Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 3, S. 347. An dieser Stelle sagt Marx Folgendes über Fleur de Marie: ,In der Natur, wo die Ketten des bürgerlichen Lebens abfallen, wo sie frei ihre eigene Natur äußern kann, sprudelt Fleur de Marie daher eine Lebenslust aus, einen Reichtum der Empfindung, eine mensch­liche Freude an der Schönheit der Natur, die beweisen, wie die bürgerliche Situation nur ihre Oberfläche gestreift hat, ein bloßes Mißgeschick ist, und wie sie selbst weder gut noch böse, sondern menschlich ist.

Auf eine ähnliche Weise fühlt sich Botho von einer Lebensweise angezogen, aus der er ausgeschlossen ist und die umso reizvoller wirkt, weil deren Wirklichkeit ihm weitgehend unbekannt ist. Trotz seiner Versuche, sich selbst und die anderen zu überzeugen, daß er sich bei den Dörrs fast wie zuhause fühlt, versteht er die Verhältnisse kaum. Mit charakteristischer Ironie macht Fontane das an einer Kleinigkeit deutlich: Dörrs Gemüsegarten braucht jetzt Regen vor allem, aber Botho, in der Meinung, als Landwirt zu Landwirt reden zu können lobt das trockene Wetter! (III, 108).

Hier hat das Zeitwort .wollen eine Bedeutung, die die Verbindung .gebunden - .verlobt verstärkt. Bothos Onkel möchte am liebsten die kurze und bündige Nachricht an seine Schwester schicken: .Liebe Joseph ine, Botho will, alles ab- gemacht* (III, 128).

Zur Frage des Tragischen im Roman, siehe W. Killy, Wirklichkeit und Kunst- Charakter München, 1963, s. 205-11. Die Motivik voA Sehen und N?chtn hängt wohl auch hier, wie so oft. mit der tragischen .hamartia zusammen: Lenes (von der Gesellschaft aufgezwungener) Fehler ist der Glaube deutlich zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden zu könnenT deshalb Wrrd slfg^lchsam mit Blindheit geschlagen, als sie das Verheiratetsein BothSs endlich erkannt hat

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