Peter Wruck (Berlin)
„Viel Freud, viel Leid. Irrungen, Wirrungen. Das alte Lied.“ *
Als Fontane im Tagebuch zum erstenmal die neue Geschichte erwähnte, die ihm während der folgenden jahrelangen Ausführung und Durcharbeitung besonders ans Herz wachsen sollte, kannte er schon Ihren Titel (wenn auch nicht in der vollkommenen Form). „Novellenstoff aufgeschrieben (Irrt, wirrt)“ notierte er für den 12. Dezember 1881. 1 Man könnte den Umstand übergehen, hätte sich Fontane nicht fünf Wochen zuvor gerade gegen eine Titelgebung ausgesprochen, die an das Interesse des Publikums appelliert. „(...) die jetzt vorherrschende Mode, statt Name oder Ort eine Sachbezeichnung eintreten und dadurch den Inhalt erraten zu lassen, finde ich nicht glücklich.“ 2 Gewöhnlich hielt er sich auch an diese Meinung; seine Erzählungen sind meist nach den Hauptgestalten oder einem ominösen Schauplatz benannt und begnügen sich mit dem konventionellen Hinweis „Roman“ oder „Novelle“, wenn sie nicht in anderen Zeiten spielen, worauf dann ein Untertitel vorbereitet.
„Irrungen, Wirrungen“ fällt unter die Ausnahmen, von denen hierher noch „L’Adultera“, „Unwiederbringlich“ und „Quitt“ gehören. Bei ihnen setzt Fontane über den Text einen Hinweis auf das Hauptmotiv, den man sen- tenziös nennen würde, wäre er nicht auf ein, zwei Worte verknappt. Von Tiefsinn keine Spur — eine „kleine Geistreichigkeit“ nimmt der Autor für „L’Adultera“ in Anspruch, weil er damit auf die „Gegenüberstellung und Parallele“' 1 von Gemälde und Gestalt der Ehebrecherin im Roman hindeutet. Ansonsten verbindet die Titelwörter eine Formelhaftigkeit, der etwas Redensartliches anhaftet, das allerdings nicht von der inhaltsleeren Art ist, die in „Irrungen, Wirrungen“ der Kritik unterzogen wird. Der gesunde Menschenverstand, eine ambivalente Größe bekanntlich, verfügt über solche Ausdrücke, um eine Begebenheit aufs Fazit zu bringen.
Nun unterscheidet sich das Reim- und Sinnwortpaar „Irrungen, Wirrungen“, das durch Fontane zum geflügelten Wort geworden ist, vorteilhaft von den Bezeichnungen „Unwiederbringlich“ und „Quitt“, die als Titel weder interpretationsbedürftig noch interprelationsfähig sind. Es teilt aber mit ihnen eine bedeutungsvolle Aufgabe. Redensartlich allgemein, wie sie beschaffen sind, und definitiv, wie sie auftreten, nehmen sie unabhängig vom Charakter der angekündigten Begebenheit deren Einordnung vorweg, die einen regelmäßigen Gang der menschlichen Dinge und ein verläßliches Urteil voraussetzt. Die Lektüre bestätigt, was sie in Aussicht stellen: In denjenigen Werken, die Fontane mit einem sprechenden Titel versieht, nähert er sich unverhohlen dem exemplarischen Fall/ 1 Aber während die Erwartung durch die Bezeichnungen „I/'Adultera“, „Unwiederbringlich und „Quitt“ auf das Beziehungsfeld von Verschulden und Verlust, Wiedergutmachung und Vergeltung hingelenkt wird, bleibt dieses Konfliktpotential, z u dem Fontane immer wieder zurückkehrte, in der Formulierung „Inun- gen, Wirrungen“ beiseite.“ Auch darin zeichnen sich Verwicklungen ab,
Vorabdruck aus dem Band Horst Hartmann im Verlag
Werkinterpretationen zur deutschen Literatur' ölk und Wissen Berlin herausgibt.
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