Heft 
(1985) 39
Seite
80
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die ein Abweichen von anerkannten Normen zum Knotenpunkt haben, nur sind sie nach dem Wortlaut statt im Umkreis von Recht und Gerechtig­keit im Kreise dessen zu erwarten, was als richtig oder verfehlt zu gelten hat.

Der Text, der diese Erwartung einlöst, beginnt mit einem ungewöhnlichen Gewebe aus mehreren, zum Teil heterogenen Gattungsmustern. Die Erzäh­lung setzt ein wie eine historische:An dem Schnittpunkte von Kurfürsten­damm und Kurfürstenstraße, schräg gegenüber dem .Zoologischen, befand sich in der Mitte der siebziger Jahre noch eine große, feldeinwärts sich erstreckende Gärtnerei, deren kleines, dreifenstriges, in einem Vorgärtchen um etwa hundert Schritte zurückgelegenes Wohnhaus, trotz aller Kleinheit und Zurückgezogenheit, von der vorübergehenden Straße her sehr wohl erkannt werden konnte. 7 Auf ähnliche Weise hatte Fontane die Novelle Ellernklipp eingeleitet, deren Handlung, im Harz spielend, ein reich­liches Jahrhundert zurücklag. DiesmalIrrungen, Wirrungen erschien 1887 stellte er schon nach einem Jahrzehnt die endgültige Vergangenheit her, in welcher der Schauplatz versinkt und das Wachstum der deutschen Metropole nach der Reichsgründung gegenwärtig wird. Denn daß ein Berliner Roman vorliegt, wie er seit 1871 öffentlich gefordert und unter Fontanes Beteiligung in zahlreichen wetteifernden Anläufen hervorgebracht wurde, ist nach den Anfangssätzen kaum zweifelhaft; es brauchte dazu nicht die KennzeichnungEine Berliner Alltagsgeschichte, die Fontane dem Vorabdruck in derVossischen Zeitung beigab. 6 Damit ist der Rahmen vorhanden für eine Motivik, die auf eine Enthül­lungsgeschichte nach verbreitetem, größtenteils der Trivialisierung anheim­fallendem Beispiel hinauszulaufen scheint. Die betonte Verborgenheit, in die dasGesamtgewese der Gärtnerei (7) unverzüglich versetzt wird, korrespondiert mit der dunklen Herkunft der Gestalt, der sich alsbald das Interesse zuwendet. Lene ist ein angenommenes, kein leibliches Kind der alten Fau Nimptsch, mit der sie im Gärtnerhaus zur Miete wohnt. Das Auftreten der Gärtnersfrau, die Lenes Herkunft ins Gespräch bringt und meint, sie seivielleicht eine Prinzessin oder so was (10), durchkreuzt jedoch im selben Atemzuge die pseudopoetische Geheimnismotivik. Was sie von ihrer eigenen Vergangenheit und der anschließenden Versorgungs­ehe mit dem Gärtner Dörr zu sagen hat, läßt ebenso wie ihr mitleidiger Blick in Lenes Zukunft eher an den Auftakt zu einem Desillusionierungs­roman denken.

Erstaunlicher als die Verknüpfung dieser Muster, die miteinander kon­kurrieren, ohne sich zu behindern, ist auf den ersten Blick ihre Zusammen­führung mit dem Märchen. Mit seiner Hilfe wird die Ausgangskonstellation strukturiert und eine metaphorische Bezugsebene geschaffen, auf die im Verlauf wiederholt zurückgegangen wird. Die präzise raumzeitliche Fest­legung des fiktiven Vorgangs in der kontrollierbaren Realität hindert Fontane daran nicht. Er verleiht dem Vorgarten einehalb märchenhafte Stille (8). Und in dem Augenblick, wo das StichwortPrinzessin fällt, treten - am Rande der modernen Großstadt - das kleine Haus, in dem die arme alte Frau das Herdfeuer hütet, mit der wohlgeratenen Tochter, die nicht ihr Kind ist, und dem geheimnisvollenSchloß der Gärtnersleutc