zu einer altvertrauten Szenerie zusammen, deren freien Platz der hoch- gestellte Bewerber einnimmt, der Aschenputtel entdeckt hat. So muß es sein und kommen: Wie jedermann weiß, wird er das Mädchen mit sich nehmen und glücklich machen.
Das wäre der exemplarische Ausgang eines Märchens, aus dem die minderwertige Unterhaltungsliteratur ihren Profit zieht, indem sie es ins moderne Leben hineinverlegt. Die Enthüllungsgeschichte ist ein Abkömmling davon. Im Unterschied zu diesem Verfahren, dem Fontane sich anschließt, vermeidet er jedoch, das Märchen, das er in die Quasi-Wirklichkeit seiner Erzählung einführt, der Märchenhaftigkeit zu entkleiden. Die außergewöhnliche Liebe, welche die Weißzeugnäherin Lene Nimptsch und den Gardeoffizier Botho von Rienäcker schon verbindet, als sie von ferne zum erstenmal abschiednehmend in Erscheinung treten und durch die Gärtnersfrau geschildert werden, behält ihr Wunderbares. Damit sie auch ein gutes Ende nimmt und das Märchen wahr wird, müßten jedoch größere Wunder geschehen. Ohne eine veritable Prinzessin kann es sich Frau Dörr, die aus Erfahrung spricht, nicht denken.
„Irrungen, Wirrungen“ ist das deutliche frühe Beispiel für einen schriftstellerischen Rückgriff auf trivialisierte Mittel und fehlgeleitete Erwartungshaltungen, der im Interesse ernsthafter Wirkungsabsichten vorgenommen und höchsten Ansprüchen unterworfen wird. Er ist umso häufiger anzutreffen, je massenhafter sich solche Mittel und Haltungen seitdem durchgesetzt haben. Fontane spielt populäre Muster an und weckt ungescheut die abenteuerlichen, erbaulichen, sentimentalen Erinnerungen,
die sie mit sich bringen, um die entsprechenden Erwartungen dann zu enttäuschen oder in seinem Sinne richtigzustellen. Lenes Herkunft behandelt er als blindes Motiv und beläßt sie wortlos (nicht funktionslos) in ihrer Dunkelheit. Und ihr Schicksal versieht er noch auf den exponierenden ersten Seiten, an denen für ihn „immer die ganze Geschichte“ hängt 7 , mit einem ungünstigen Vorzeichen. Wenn Frau Dörr recht hat, dann gelten Erfahrungswerte auch für den Ausnahmefall, und in der wirklichen Welt geht es dann gerade umgekehrt zu wie im Märchen, wo jeder seinen Lohn findet, der Gute das Glück und der Schlechte die Strafe. „Was da so rum- ffiegt, heute hier und morgen da, das kommt nicht um, das fällt wie die Katz immer wieder auf die vier Beine, aber so’n gutes Kind, das alles ernsthaft nimmt und alles aus Liebe tut, ja, das ist schlimm...“ (10). Die Frage nach dem Glück 8 , hier noch unausgesprochen, aber schon entwickelt, ist neben der nach Schuld und Sühne der andere Pol, um den das Erzählen des späten Fontane kreist. Die Opposition der beiden Fragen entspricht derjenigen, die sie im Märchen innehaben und läßt erkennen, wie tief jenes Erzählen, das sich in „Irrungen, Wirrungen“ durchweg im zeitgenössischen Sprachgewand des geselligen Redens präsentiert, auf ursprüngliche Schichten der Werteproblematik zurückgeht, die aus der Erfahrung sozialer Ungleichheit stammt. „Irrungen, Wirrungen hat vor anderen Werken Fontanes voraus, daß es diese Werteproblematik unter den gegenwärtigen Daseinsbedingungen und doch in elementarer Form reproduziert, und daß es sich dazu auf ihre überlieferte volkspoetische Gestalt stützt, die den Selbstbehauptungsanspruch und die Erfüllungs-
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