wünsche des einfachen Menschen in sich aufgenommen hat. Deshalb der exemplarische Charakter der Geschichte, den freilich die Durchführung realisieren muß.
Die Begebenheit kommt in Gang, nachdem die Erzählung ausführlich im Berlinisch-Genrehai'ten verweilt und unter dem Wechsel von hochpoetischer und höchst ernüchternder Beleuchtung den kleinen Lebenskreis der Gärtnerei ausgemessen hat, der dem Liebespaar Geborgenheit gewährt. Auch diese Begebenheit, über der von Anfang an die Schatten eines Abschieds liegen, der in Zeichen und Überlegungen vorweggenommen wird, grenzt ans Triviale 11 . Der junge Mann steht unter dem Druck der Familie, der Vermögensverhältnisse und der Standesmentalität. So ringt er sich, nachdem Lene und er „einen Sommer lang allerglücklichste Tage“ hatten (137), schweren Herzens zur Trennung durch und schließt mit seiner Cousine eine glänzende Ehe, die von den Eltern längst verabredet war. Erst im Lauf der Zeit mischt sich Enttäuschung an der jungen Frau ein, um die man ihn beneidet. Als Lene ungesehen nochmals auf Botho trifft und Botho sich später unerwartet ihrem Geschick gegenübergestellt sieht, ist die Erschütterung tief, das Unauflösliche ihrer Gebundheit gewiß. In ihrer Lebensentscheidung für die standesgemäße Ehe, die am Ende auch das Mädchen eingeht, werden sie deshalb nicht beirrt.
Man erkennt in der Zusammenfassung der Fabel den Typ einer rührenden — mancher wird sagen sentimentalen — und erbaulichen Begebenheit, deren Rührendes hauptsächlich der Liebesgeschichte angehört, während das Erbauliche aus ihrer Überführung in die Ehegeschichte hervorgeht. 10 Es läßt sich kaum bestreiten, daß das Ganze, wenn es so reduziert und für sich genommen wird, geeignet ist, verfehlte Erwartungshaltungen, die zu Beginn der Erzählung zurückgewiesen wurden, wiederherzustellen und, schlimmer, Glücksverzicht und soziale Anpassung zu rechtfertigen.
Fontane bevorzugt derart zweigeteilte Begebenheiten, die öfter einen jahrelangen Zwischenraum umschließen. Sie entsprechen einer Interessenlage, in der die Folgewirkungen im Leben als ein wichtiger und manchmal ausschlaggebender Bedeutungsträger neben die menschlichen Handlungen treten. In „Irrungen, Wirrungen“ hängen die beiden Teile der Begebenheit, zwischen denen hier „drittehalb Jahre“ (111) liegen, aber nicht bloß durch ihr Folgeverhältnis zusammen. Sie treten zueinander in Beziehungen, die unter Anlehnung an Goethes Auffassung von der Erhellung eines Werks oder Werkbestandteils durch andere wohl am günstigsten als Spiegelung zu beschreiben und bezeichnen sind. 11 Von der Ehe, wie Botho sie führt und Lene sie schließt, fällt Licht auf ihr Liebesverhältnis: dort liegt ihr verlorenes Glück. Umgekehrt treten die Defizite, mit denen sie weiterleben müssen, erst auf dem Hintergrund der Liebesgeschichte und der Erinnerung an sie klar hervor.
Zugrunde liegt eines der allgemeinsten Mittel zur Formierung literarischer Strukturen, die „Gegenüberstellung und Parallele“, auf die Fontane bei dem Titelmotiv von „L’Adultera“ hinwies. 12 In „Irrungen, Wirrungen“ ist alles überwunden, was dort an dem Verfahren noch beabsichtigt wirkt, obwohl es diesmal eine andere Dimension annimmt. Dafür dürfte Fontane einen beträchtlichen Teil der „hundert, und ich kann dreist sagen, (...)
82