Heft 
(1890) 45
Seite
765
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Unschuldig verurtyeitt!

Beiträge zur Geschichte des menschlichen Irrthums«

I.

Die Passionsgeschichte der Menschheit. Ludwig von der Pfalz und Maria von Brabant. Der Rabe von Merseburg. Die Hexenprozesse. ^as erpreßte Geständniß. Die verräterische Uhr. Das vergiftete Brot. Bruder und Schwesterchen. - Geständnis; aus Edelmuth. Opfer

des Zufalls. Eugenie von Tourville.

V^ichts vermag mehr die Theilnahme des menschlichen Herzens - daß er alles aufbieten wolle, seinen Herrn zur Heimkehr zu be- ^ zu erregen als unverschuldetes Unglück und Leid. Dem ^ wegen. Sie stellte ihm dabei eine Gunst in Aussicht, die sie denen Träger eines solchen wird sich immer das allgemeine Mitleid zu- ! zu gewähren pflegte, welche mit besonderem Pflichteifer ihrem Dienste wenden. Die christliche Passivnsgeschichte hat dem Christenthume I nachkamen, die Gunst, daß sie die Herrin mit einem traulichen

die Welt erobert. In der Leidensgeschichte der Mensch­heit spielt insbesondere das unverschuldete Verbüßen von Strafen eine Hauptrolle.

Wenn man dabei von Opfern der Justiz zu sprechen pflegt, ist es doch nicht die Justiz, welche die alleinige Verant­wortung für das angethane Unrecht trägt. Ihre Ver­antwortung ist dabei viel­fach nur eine formelle. Zu ihren Mitschuldigen gehören auch die anderen Wissen­schaften, welche in ihrem Dienste stehen, denn der Jrr- thum durchdringt alle Gebiete des Wissens. Zu ihren Mit­schuldigen gehört der Zu­fall, die unberechenbare Ver­kettung der Umstünde. Zn ihren Mitschuldigen gehört endlich der Trug der Sinne und die menschliche Bosheit sammt dem Gefolge blinder Leidenschaften.

Wenn wir in Aussicht nehmen, eine Anzahl von Beispielen aus der Geschichte dieser Jrrthümer der Justiz unseren Lesern vorzuführen, so geschieht dies theilweise im Anschluß an einige frü­here Artikel in den Jahr­gängen 1884 und 1887 der Gartenlaube" (Die irrende Justiz und ihre Sühne"), welche zunächst bestimmt wa­ren, für die Entschädigung unschuldig Bestrafter einzu­treten, eine Angelegenheit, die nicht zum geringsten in­folge der lebhaften Agitation der Presse jetzt auf dem Wege zu einer gesetzlichen Regelung zu sein scheint. Wir wollen aber auch zeigen, wie wenig der mensch­liche Unfehlbarkeitsglaube vor der Macht der Thatsachen Stich hält und der Mensch trotz aller eingebildeten Ueberlegenheit doch vielfach nur der Sklave der Verhältnisse ist.

Schon die Chroniken des Mittelalters überliefern uns eine erschütternde Tragödie des menschlichen Irrthums. Maria von Brabant war in glücklicher Ehe vermählt mit dem Pfalzgrafen Ludwig, Herzog von Bayern, dessen Schwester Elisabeth die Ge­mahlin des Kaisers Konrad IV. gewesen war. Als deren Sohn Konradin, dem Rufe der Hohenstaufen folgend, im Jahre 1267 nach Italien zog, begleitete ihn sein Oheim Ludwig auf dem ver- hängnihvollen Zuge. Maria sah den Gemahl nur mit heißem Bangen von sich ziehen. Es war, als ob sie eine Ahnung von dem unglücklichen Ausgang des Unternehmens gehabt hätte. Da ihre Bitten des Pfalzgrafen Entschluß nicht zu beirren vermochten, ! wandte sie sich an einen treuen Vasallen aus dessen Gefolge, den ^ Ritter Rufo von Ottlingen, und nahm ihm das Versprechen ab, XXXVIII. Nr. 45.

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Jas Wehaimderikmat in Nürnberg, entworfen von Kans Wößner.

Du anreden durften. Alles strebte nach dieser Auszeich­nung der wohlwollenden, allseits geliebten Frau. Da ihre Sehnsucht nach dem fernen Gatten täglich zu- nahm, ohne daß seine Rück­kehr erfolgte, schrieb sie an Rufo einen Brief, in. wel­chem sie ihn an sein Ver­sprechen erinnerte und ihm dafür dieerbetene Gunst" zusicherte; zugleich mit die- sem übergab sie dem Boten auch einen Brief an Ludwig selbst. Nun wollte es der Zufall, daß der Bote die Briefe verwechselte und der für den Ritter bestimmte in die Hände des Herrn ge­langte. Als dieser nun las, wie seine Frau dem Ritter eineerbetene Gunst" zu- sicherte, nahm der Zorn wilder Eifersucht in seiner Seele Platz; er verließ auf der Stelle das Lager zu Verona, wo er weilte, und jagte auf schnellem Rosse nach Marias Residenz Do- naueschingen. Schon beim Eintritt ins Schloß stieß er den ungetreuen Burg Vogt nieder und trat der in Heller Freude über seine Rückkehr ihm entgegeneilen­den Gattin mit der Erwide­rung entgegen, sie möge sich zum Tode vorbereiten. Vergebens war die Betheue- rung ihrer Unschuld, verge­bens das eindringliche Flehen seiner Schwester, der Königin Elisabeth der Beweis der Schuld wurde ja durch die Worte des Briefes unumstößlich ge führt. Noch in derselben Nacht wurde das Urtheil über die arme Herzogin gesprochen und sie noch vorm Morgengrauen durch den Henker enthauptet.

Das unselige Mißverständniß klärte sich nur zu bald auf, als der Pfalzgraf den für ihn bestimmten Brief in die Hände bekam, der ein rührendes Zeugniß treuer Gattenliebe enthielt, und er Kunde empfing von der unschuldigen Gewohnheit Marias. So fürchterlich die That, so fürchterlich war Ludwigs Reue. Die Qual des Schmerzes bleichte ihm in einer Nacht das Haar. Er baute zur Sühne das Kloster Fürstenfeld und kasteite sich in strengster Buhe.

In einer weitern mittelalterlichen Ileberliefernng kommt die Unschuld in wunderbarer Weise zu Tage. Thilo von Trotha, Bischof zu Merseburg, hatte im Jähzorn einen Jäger getödtet, weil er auf der Jagd eigenmächtig einen Hirsch geschossen hatte. Sein Freund, der Bischof Gerhard von Mainz, setzle ihn ob dieser That Zur Rede und sandte ihm einen Ring, der ihn immer daran