Heft 
(1890) 45
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besteigt sie den Schlitten, die gesammte zur Hochzeit eingeladene Sippe die ihrigen, und dahin in festlichem Gepränge, unter dem Geläut der Glöckchen, welche heute alle Renthiere an ihren reichsten Geschirren tragen, geht die hochzeitliche Fahrt.

Im Tschum des Vaters erwartet der Bräutigam die vor dem Vater und den Brüdern ihres zukünftigen Gatten heute wie immer das Gesicht züchtig mit dem Kopftuche verhüllende Braut. Ein neues Fest nimmt seinen Anfang, und erst spät in der Nacht trennen sich die Gäste, denen sich auch die Verwandten des Bräutigams zugesellt hatten. Am nächsten Tage aber bringt die Mutter die junge Frau in den Tschum des Brautvaters zurück. Doch scholl einen Tag später erscheinen hier alle Sippen des Bräutigams, um sie wiederum für diesen zurückzufordern. Noch­mals erfüllt Festjubel die rindenen Wände der Hütte; dann scheidet die Braut für immer aus dieser und theilt fortan mit ihrem Gatten allein oder mit diesem und seinen Eltern und Geschwistern, oder später mit einer zweiten Frau ihres Mannes den Tschum.

Hundertnndfünfzig Renthiere, sechzig Felle vom Eis-, zwanzig vom Rothfuchs, ein großes Stück Kleidertuch, mehrere Kopftücher nebst allerhand Kleinigkeiten hatte einst der Gemeindevorsteher Mamru für seine Gattin gezahlt. Damals freilich waren noch bessere Zeiten gewesen und Mamru hatte ein Brautgeld im Werthe von mehr als tausend Silberrnbeln wohl aufwenden können für eine ebenso stattliche als reiche Frau aus vornehmer Familie. Jetzt ist der Maßstab ein bescheidenerer geworden. Armer Leute Söhne zahlen als Brautgeld höchstens zehn Renthiere, Fischersöhne nicht einmal diese, sondern nur die nöthigsten Einrichtungsgegenstände des Tschums und theilen diesen oft mit mehreren Familien; zu einem Fest- und Freudentage wird aber auch ihre Hochzeit und dabei gegessen und geschmaust, soviel das geringe Vermögen zuläßt.

Arme Ostjaken nehmen nur eine Frau, reiche aber betrachten es als ein Recht des Wohlstandes, zwei oder mehr zu ehelichen. Doch wahrt sich auch dann noch die Erstgeworbene gewisse Vorrechte den anderen gegenüber, und die letzteren erscheinen mehr als ihre Dienerinnen, denn als gleichberechtigt mit ihr. Nur wenn ihr Kinder versagt sein sollten, mag es anders sein, denn Kinderlosigkeit gilt als eine Schmach für den Mann, und eine kinderlose -Frau ist im Tschum eine beklagenswerthe Unglückliche.

Die Eltern sind stolz auf ihre Kinder und behandeln sie mit warmer Zärtlichkeit. Mit unverkennbarem Glück in Blick und Gebärde legt die junge Mutter ihr Erstgeborenes auf das weiche Wassermoos in der niedlichen Wiege aus Birkenrinde; sorglich schnürt sie die Decken zu beiden Seiten zusammen und bedachtsam umhüllt sie das Kopfende des kleinen Bettleins mit dem Mücken- vorhange; aber ihre Reinlichkeitsliebe läßt viel zu wünschen übrig. So lange das Kindlein noch klein und unbehilflich ist, wäscht und reinigt sie es allerdings, wenn sie glaubt, daß beides unerläßlich sei; wenn es größer geworden ist, wäscht sie nur einmal täglich Gesicht und Hände, eine Hand voll geschabter Fasern aus dem Holze der Weide als Schwamm, eine andere, trockene als Handtuch verwendend, sieht dann aber ohne jegliche Erregung zu, wenn das kleine Wesen, welches jederzeit Gelegenheit findet, sich zu be­schmutzeil, in einer uns fast undenkbaren Unsauberkeit einhergeht. Erst wenn der junge Ostjake sich selbst zu helfen vermag, endet allmählich solcher Mißstand; kaum einer aber hält es auch dann für nöthig, nach jeder Mahlzeit sich zu waschen, und mag dieselbe auch noch so blutig gewesen sein.

Die Kinder ihrerseits hängen ebenso zärtlich und treu an ihren Eltern wie diese an ihnen, sind auch in anerkennenswerther Weise folgsam und dem Willen ihrer Erzeuger unterthan. Ehr­furcht gegen die Eltern ist das erste und vornehmste Gebot der Ostjaken, Ehrfurcht gegen die Gottheit wohl erst das zweite. Als wir Mamru, dem erwähnten Gemeindevorsteher, den Rath er- theilten, seine Kinder in der russischen Sprache und Schrift unter­richten zu lassen, erwiderte er uns, daß er den Nutzen solcher Kenntnisse wohl einsehe, jedoch fürchten müsse, daß seine Kinder dann vergessen könnten, Vater und Mutter zu ehren, und damit das wichtigste Gebot des Glaubens verletzen möchten. Dies mag der Grund sein, weshalb kein einziger Ostjake, welcher noch dem Glauben seiner Väter anhängt, mehr erlernt, als sein Zeichen, einen Krikelkrakel, auf Parier zu malen, in Holz oder in das

^ Fell der Renthiere einzuschneiden. Und doch lernt er, als höch anstelliger und geschickter Mensch, so rasch und leicht, was il gelehrt wird, daß er in dem frühreifen Alter, in welchem er ve heirathet wird, alles versteht, was Zur Begründung und Erhaltur eines Haushaltes erforderlich ist.

Der Glaube des Volkes ist einfach und kindlich. In dc Himmeln thront Ohrt, dessen Name so viel wieEnde der Weli bedeutet. Er ist ein allmächtiger Geist, welcher nur dem To, gegenüber keine Macht hat, den Menschen wohlwollend zugeneig Geber des Guten, Spender der Renthiere und Fische und Pel thiere, Feind des Bösen und Rächer der Lüge, streng nur dani wenn ihm Versprochenes nicht gehalten wird. Ihm feiert mo Feste, ihm opfert und zu ihm betet man; seiner gedenkt d, Flehende, welcher sich vor ein heiliges Bild stellt. Böse Geich ! wohnen im Himmel wie auf Erden, aber Ohrt ist mächtiger ak ! sie alle; nur der Tod ist mächtiger als er. Ein ewiges Lebe ! nach dem Tode giebt es nicht, eine Auferstehung ebenso wenn ! aber der Todte wandelt noch ferner als Schatten auf Erden un ^ her und hat noch immer Macht, Gutes und Böses zu thnn.

Stirbt ein Ostjake, so beginnt unmittelbar nach seinem Tot das Schattenleben des Gewesenen; daher schreitet man unverzüglv zu seiner Beerdigung. Schon vor seinem Tode hatten sich al Freunde des Scheidenden versammelt; sofort nach dem Ablebe zündet man im Tschum, in welchem die Leiche liegt, ein Feu,

! an und unterhält es, bis man zur Grabstätte aufbricht. Die ! liegt stets in der Tundra, auf erhabener Stelle, gewöhnlich cu dem Rücken eines langgestreckten Hügels; die Gräber sind mel ^ oder minder kunstvoll zusammengefügte Truhen, welche über dei ! Boden aufgestellt werden. In Ermangelung fester Bohlen zu ihr,

? Herstellung zerschneidet man ein Boot und bettet in dieses de Leichnam; nur sehr arme Leute tiefen eine seichte Grube im Bode aus und begrabeil in ihr den Todten.

Der Leichnam wird nicht gewaschen, aber mit Feierkleider angethan und sein Haar gestrählt, sein Gesicht sodann mit einco Tuche verdeckt. Alle übrig bleibenden Kleider fallen den Arme zu. Einen fremden Todten berührt man nicht mit den Händel einen geliebten Verwandten aber wohl, küßt ihm selbst mit Thräne im Auge das erstarrte Antlitz.

Auf einem Schlitten, unter Geleit aller versammelten Ve wandten und Freunde, bringt man den Leichnam zum Bestattungsort In die Truhe oder in das Grab legt man ein Renthierfell, cu welchem der Todte ruhen soll, ihm zu Häupten und zu beide Seiten Tabak, Pfeife und allerlei Geräth, welches er im Lebe gebrauchte; um und unter die Truhe kommen alle diejenigen Stück zu liegen, welche in ihr selbst nicht Platz finden, nachdem ma die Geräthschaften vorher zerschlagen oder irgendwie für Lebent unbrauchbar gemacht hat, nach ostjakischer Ansicht zu Schatte von dem, was sie waren.

Währenddem hat man in der Nähe des Grabes auch ei Feuer angezündet und eins oder mehrere Renthiere geschlachte deren Fleisch jetzt von den Leidtragenden theils roh, theils gekock genossen wird. Nach dem Leichenmahle spießt man die Schäd, der geschlachteten Renthiere auf Pfähle, umwickelt sie oder nah, stehende Bäume auch mit deren Geschirr, hängt die Glöcklein, welch sie bei festlichen Gelegenheiten und so auch heute trugen, an de oberen Jochen der Grabtruhe selbst auf, zerschlägt endlich de Schlitten, stürzt ihn über dem Grabe um und giebt diesem dann seinen letzten Schmuck. Dann zieht man heimwärts. Die Klag verstummt, und das Leben fordert wiederum seine Rechte.

Im Dunkel der Nacht aber beginnt der Schatten des Todter ^ ausgerüstet mit den zu Schatten gewandelten Werkzeugen, sei ! geheimnißvolles Wesen. Was er gethan, als er noch unter de ! Lebenden wandelte, thut er auch ferner. Unsichtbar für all ! weidet er seine Renthiere, treibt er sein Boot durch die Weller ! schnallt er sich die Schneeschuhe an die Füße, spannt er Le ! Bogen, stellt er das Netz, erlegt er die Schatten gewesenen Wilde- ! fangt er die Schatten gewesener Fische. Im Dunkel der Nach ! tritt er in den Tschum seiner Familie, fügt er seinen Nachgelassene ! Gutes und Böses zu. Sein Lohn ist, seinem eigenen Fleisch un ! Blut Wohlthaten zu erzeigen; seine Strafe besteht darin, seinem ! Angehörigen fortdauernd Böses zufügen zu müssen.