Heft 
(1890) 45
Seite
763
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Ich fürchte nur, Liebling, Dn wirst ihn arg verwöhnen! Unbedingte Fügsamkeit vertragen die Männer nicht!"

Ach, aber Thea! Ich will doch kein Studium aus ihm machen, mir dies und das mit dem Verstand zurechtklügeln und für diesen und jenen Fall allerlei Vorsätze fassen! Wie kann man denn das, wenn man mit dem Herzen liebt?"

Nun, in Gottes Namen denn! Was weiß auch schließlich eine alte, vertrocknete Jnngfernseele wie die meine, die nur ein­mal im Leben ein einseitiges Gefühl genährt hat, von Leiden­schaft und glücklicher Liebe? Aber, Vögelchen, es hilft uns alles

nichts, wir müssen jetzt wirklich diese Briefe lesen, denn wenn ich sie doch als Dein Geheimsekretär in Kvrbangelegenheiten beant­worten soll."

Ach Gott, Thea, mir thut es so furchtbar leid um Cvn- ventius! Nicht, daß ich von mir eine so überschwänglich hohe Meinung hätte, aber wenn er mich lieb hat, wird er auch sehr unglücklich sein!"

Er wird es hoffentlich überleben, Meine! Aber recht hast Du doch: es wird ihm nahe gehen!"

(Fortsetzung folgt.)

(Schluß.)

Die Ost; alten.

Von Alfred Edmund Brehm.

Alle Rechte Vorbehalten.

ie Sonne neigt sich: mit neuem reichen Segen kommen die Männer, Jünglinge und Knaben angefahren. Rohe Fische haben sie gegessen nach Bedarf; jetzt verlangt sie's nach warmen Speisen. Ein großer dampfender Kessel mit gekochten Fischen, köstlichen Renken, der Lachse nächsten Verwandten, wird ihnen vvrgesetzt; mit Fischfett getränktes Brot bildet die Zukost, mit dem kalten Wasser auf das Feuer gesetzter, längere Zeit gekochter Ziegelthee (in Form von Ziegeln zusammengepreßte Theeblätter) beschließt das Mahl. Wenn aberdie Begier nach Speise und Trank gestillt ist," verlangt auch der Geist seine Nahrung, und deshalb ist der Künstler willkommen, welcher jetzt die von ihm selbst gearbeitete Harfe oder Zither herbeibringt, sei es, um eines der ureigenthümlichen, unbeschreiblichen Lieder zu spielen, sei es, um die Bewegungen der in absonderlichem Tanze sich hebenden und senkenden, einen Arm um den andern werfenden, streckenden und wieder an den Leib ziehenden Frauen zu begleiten. Bis das Mückenzelt bereitet worden ist, währt solche Fröhlichkeit; dann verschwindet auch hier jung und alt unter dessen Falten.

Der Sommer ist vorüber, auf den kurzen Herbst folgt der Winter. Mit dem Zuge der Vögel beginnt neue Thätigkeit, mit dem Winter neues, nein, das volle wahre Leben der Ostjaken. Den abziehenden gefiederten Sommergästen stellt man das ver- rätherische Netz; in künstlich hergestellten Lichtungen des dichten Weidenwaldes der Ufer wird es auf den erkundeten Flugstraßen zwischen zwei größeren Wasserflächen ausgespannt, ein großes, leicht­bewegliches Fangnetz, in welches nicht allein Enten, sondern auch Gänse, Schwäne, Kraniche fliegen, willkommene Beute ihres Fleisches und ihrer Federn halber. Gleichzeitig mit dem Vogelsteller zieht auch der Wanderhirt aus zur Jagd und stellt in der Tundra seine Fallen auf Roth- und Eisfuchs, auf Wölfe und Füchse, Zobel und Hermeline, Vielfraße und Eichhörnchen. Ist Schnee gefallen, so schnallt sich der geübtere Jäger die Schneeschuhe an die Füße, die Schnee­brille vor die Augen und begiebt sich mit den flinken Hunden in den Wald, in die Tundra, um deu Bäreu im Lager aufzusucheu, der Fährte des Luchses zu folgen, den: jetzt behinderten Elch und wilden Renthiere auf der wohl ihn, nicht aber jene tragenden Schneedecke nachzujagen. Hat er einen Bären erlegt, so zieht er frohlockend ein in das Dorf, in den Tschum, Nachbarn und Freunde umstehen ihn jubelnd, bis auch ihn die allgemeine Freude ansteckt, er sich still davon schleicht, vermummt und verlarvt zurückkehrt und sodann den Bärentanz beginnt wundersame Bewegungen, welche die des Bären in allen Lagen seines Lebens wiedergeben und versinnlichen sollen.

Reiche Beute an Fellen birgt bald die Hütte des Fischers, noch reichere der Tschum des Hirten, da dieser auch viele Decken j der im Laufe des Jahres von ihm geschlachteten Renthiere aufge- I speichert hat. Jetzt gilt es, sie loszuschlagen. Ueberall rüstet man ! sich, auf den Jahrmarkt Zu ziehen, welcher alljährlich in der zweiten z Hälfte des Januars in Obdorsk, dem letzten russischen Dorfe und ! wichtigsten Handelsplätze am unteren Ob, abgehalten und von ^ Einheimischen und Fremden besucht wird, während dessen der russische ! Regierungsbeamte die Steuern erhebt von Ostjaken und Samojeden, ^ Streitigkeiten schlichtet und Gericht hält. In langen Reihen er- ! scheinen, von allen Seiten herbeikommeud, die renthierbespannten Schlitten, und rings um den Marktflecken erwächst ein Tschum nach dem anderen, jeder einzelne umgeben von Schlitten, die mit dem ver­äußerlichen Erwerbe des Jahres schwer bepackt sind. Allmorgendlich >

zieht der Tschumbesitzer mit seiner Lieblingssrau im vollsten Putze den Marktbuden zu, um Felle zu verkaufen, Waren zu erwerben. Man handelt, man feilscht, man versucht zu betrügen. Brannt­wein, dessen Ausschank und Verkauf zwar von Regierungs wegen streng verboten, der aber nichtsdestoweniger bei jedem Kaufmann, fast in jedem Hause von Obdorsk zu haben ist, umnebelt die Sinne, raubt den Verstand des Ostjaken wie des Samojeden und macht beide ärmer noch als die entsetzliche Renthierseuche. Branntwein weckt alle Leidenschaften des sonst leidenschaftslosen, gutmüthigen und harmlosen Ostjaken und wandelt den friedfertigen, freundlichen Gesellen zu einem wüthendeu, sinnlosen Thiere um. Nach Brannt­wein lechzt der Mann, nach Branntwein die Frau; Brannt­wein gießt der Vater dem lüsternen Knaben, die Mutter der ver­langenden Tochter in deu Schlund; uni Branntwein verschleudert der Ostjake seine mühselig erworbenen Schätze, seine ganze Habe, um Branntwein verdingt er sich als Sklave, um Branntwein verkauft er seine Seele, verleugnet er den Glauben seiner Väter. Mit Hilfe des Branntweines erlangt der unredliche Käufer zuletzt alle Felle des Ostjaken, und ledig derselben, mit leerem Beutel und wüstsm Haupte kehrt der mit stolzen Hoffnungen nach Obdorsk gezogene, betrogene, um nicht zu sagen ausgeplünderte Mann heim in seinen Tschum. Er bereut seine Thorheit, seine Schwäche, faßt die besten Vorsätze, beruhigt sich dabei und denkt bald nur noch daran, wie vortrefflich er sich mit seinen Stammesgenossen unterhalten hat.

Wie für andere Geschäfte, so ist dieser Jahrmarkt auch oft die Stätte, wo die Heirathsverabreduugeu getroffen werden. Die Bestimmung der Eltern, nicht aber der Wille der Brautleute, schließt eine ostjakische Ehe. Auf Wunsch und Wollen des Bräutigams nimmt man vielleicht Rücksicht, gestattet einem Knaben wohl auch, seine Augen auf eine der Töchter seines Volkes zu werfen, sendet den Freiwerber aber nur in dem Falle zum Vater des Mädchens, wenn die eigenen Verhältnisse mit denen des künftigeil Schwähers übereinstimmen. Die Jungfrau wird nicht befragt, schon aus dem Grunde nicht, weil sie, wenn man sie verlobt, noch viel zu jung ist, als daß sie mit Verständniß über ihre Zukunft entscheiden könnte. Hat doch auch ihr zukünftiger Gatte sein fünfzehntes Jahr noch nicht erreicht, wenn der Freiwerber um sie, die Zwölfjährige, anhült. Ist das Brantgeld, über dessen Höhe mail sich oft erst nach langwierigen Verhandlungen einigt, bezahlt, so findet die Vermählung der jungeil Leute statt. Im Tschum des Brautvaters stellen die Verwandten der Familie sich ein, um der Braut Geschenke zu bringen und aus der für jedermann zur Schau gestellten Morgengabe des Bräutigames solche entgegenzunehmen. Man kleidet die Braut in Festgewänder und rüstet sie und sich zur Fahrt nach dem Tschum des Bräutigams. Vorher hat mail tapfer geschmaust von dem Fleische der frisch geschlachteten Renthiere nach üblicher Weise. Gekocht wurden heute nur einige unter dem Eise gefangene Fische; das Fleisch der getödteten Renthiere man roh, und wenn eines zu erkalten begann, empfing ein zweites den Todesstoß. Die Braut weint, wie es scheidenden Bräuten zukommt, will den Tschum, in welchem sie ausgewachsen ist, nicht verlassen und läßt sich erst nach tröstender Zusprache aller hierzu bereit finden. Ein Gebet vor dem Hausgötzen erfleht den Segen Ohrts, des Himmlischen, dessen Zeichen Sornidnd, das Gvttesseuer, in unseren Augen nur das knisternde Nordlicht, in vergangener Nacht blutroth am Himmel stand. Die scheidende Tochter wird begleitet von der Mutter, die ihr helfend zur Seite stehi; mit der Tochter