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„Und es ist doch so, ich lasse mir's nicht nehmen, es giebt Vorbedeutungen, man muß nur darauf horchen, und niemand hat mehr Gelegenheit dazu als unsereins," sagte erregt im Laufe des Gespräches Kapitän Lars Tönningen. „Sie sollen nur einmal ein paar Jahre herumkreuzen mit unsereinem, die gelehrten Herren, die alles wissen; da sieht und hört man allerhand zwischen Fockmast und Bramsegel, was über den Verstand geht! Manchen verstockten Kerl habe ich auf die Kniee fallen sehen zum Gebet in der Sturmnacht, oder angstvoll in die Segel gucken in der Dämmerung, wenn vom Klabautermann erzählt wurde. Sieht sich alles anders an da draußen als unterm festen Dache — lachen Sie nicht so ungläubig, Frau Holde — es ist doch so! Ich wußte es, daß der ,Laura' ein Unglück zustoßen werde, drei Tage zuvor wußte ich es und lauerte auf jede Gefahr wie eine Möve auf den Abfall — und doch geschaht — doch!"
Er stürzte den ganzen Inhalt des Römers hinunter.
„Doch!" wiederholte er und seine Faust schlug dröhnend auf den Tisch.
Clans, der Richter, nickte ernst. Frau Holde aber schüttelte ungläubig den Kopf. Das junge Paar wurde aufmerksam.
„Und woher wußten Sie es denn?" fragte lächelnd Laura. „Gewiß eine recht gruselige Geschichte von einem grauen Männchen auf dem Maste, einem räthselhaften Schiffe, das vorbeifuhr, einem bleichen Meerweibe . . ."
Lars sah sehr ernsthaft drein.
„In Ihrem Alter lachte ich auch über solche Geschichten, Frau Lührsen. Wie werden Sie erst lachen, wenn ich Ihnen sage, daß es von all dem nichts war! Eine einfache armselige Katze war's, mein guter alter Rolf — Sie haben ihn ja gut gekannt, Herr Rungholt, ich nahm ihn einst auf der Südsee von einem verlassenen Wrack, das halbverhungerte Thier, ich war damals einfacher Matrose — wollten ihn sitzen lassen, die andern, ärgerlich, nichts Besseres gefunden zu haben, da nahm ich ihn zu mir. Und von dem Tage an wich Rolf nicht mehr von mir und mit ihm nicht das Glück. Das ging nur so im Sturmlauf: Bootsmann, zweiter, erster Steuermann, bis ich zu Euch kam als Kapitän. Mein guter Rolf immer dabei, auf der Brücke, am Steuer, hoch oben in den Rahen, auf dem Lugaus, bei Sturm und Wetter, nacht und tag. Wollt' ich verschlafen, rieb er mich wach; er kannte Meine Feinde; wenn er die Haare sträubte vor einem Manne, nahm ich mich in acht vor diesem. Das Wetter verstand er wie unsereins, sein Schauen war Sprechen, das nur ich verstand, aus seinen feurigen Augen leuchtete mir das Glück. Ich war immer ein bißchen abergläubisch — ganz richtig — ich hielt ihn für meinen guten Geist; ich wußte, mit meinem Rolf konnte mir nichts zustoßen. — Sicherheit, Selbstvertrauen ist alles beim Seemann — in der schwierigsten Lage festigten mich die ruhigen, stetig auf mich gerichteten zwei glänzenden Augen — ich ward gesucht von den Schiffsherren, ,der Mann hat Glück und kann was,' hieß es. Auch auf der ,Laura' begleitete mich Rolf, zehn Jahre saß er neben mir auf der Brücke, schnurrte mit dem Tosen der Wogen um die Wette und blinzelte über das Meer. Stieg ein Schiff herauf am Horizont, so erblickte er es zuerst, der Augenstern drehte sich, bewegte sich nicht mehr, den Rücken krümmte er wie vor einem Feinde. Des Nachts leuchteten seine Augen wie Phosphor, ich glaube, ihr Licht drang durch Nebel und Wetter als Warnungszeichen.
Da kam der Morgen, wo Rolf nicht mehr um meine Füße geschlichen kan: auf der Brücke. Mir wurde angst und weh — ich ließ das ganze Schiff untersuchen, ich tobte und drohte. Ein Schurke hatte ihn wohl getödtet, in das Meer geworfen — ja ich ahnte, wer es war. Ich hatte einen neuen Steward ausgenommen im letzten Hafen; Rolf haßte den Menschen vom ersten Tage an, und er täuschte sich nicht, ich ertappte den Mann bald auf verschiedenen Unehrlichkeiten — der war's! Ich setzte eine Belohnung aus für den, der den Thäter ausfindig machen würde, ein Schiffsjunge verrieth ihn mir — ich war nahe dran, den Kerl meinen: armen Rolf als Todtenopfer nachzusenden, auf die Bitte meiner Leute sperrte ich ihn nur in die Segelkammer. In der Nacht darauf rannte uns der Engländer in die Seite — wie ein Gespenst tauchte er plötzlich auf aus dem Dunkel — mir erstarrte das Blut — meine Hand, die das Steuer herumriß, war lahm, kraftlos — Rolf saß auf einer Speiche, zwei glühende Punkte waren auf mich gerichtet, centnerschwer schien das Rad und stemmte
sich gegen meine Hand — ein furchtbares Krache:: und Splitten Sausen, Gurgeln! — Als ich mich vom Fall erhob, war dc fremde Schiff verschwunden, die,Laura' aber neigte sich, ich hör sie Wasser saugen. Ich sah zitternd nach dem Rade, Rolf wc fort, ich drehte es bei, es lief leicht ohne Widerstand — Ro hat es gehalten, er hatte Sehnsucht nach seinem Herrn!"
„Oder Ihr habt mit Eurem Rolf Euere Entschlossenhei Eure Sicherheit verloren, Kapitän," meinte Frau Holde schar
„Und die Angst saß am Ende auf der Speiche, glotzte mu an und machte meine Hände schwach, meinen Sie, Frau Holdc Es ist wahr, man soll dem Zeug nicht nachhängen, es macht de bravsten Mann verwirrt — aber das sind Anlagen, über d man nicht hinauskann, und am Ende — was sagen Sie den dazu, Herr Buiksloot," wandte er sich an den alten Richter, dc immerfort mit dem Kopfe nickte; die kleine Thonpfeife lag erkält neben ihm, so eifrig hörte er zu.
„Als die große Springfluth war, die halb Oland fraß," b gann er mit unsicherer Stimme, „da sah man die Nacht zuvor - die Fischer beschworen es aufs Sakrament, mein Schwager selb war dabei — einen Reiter über die Dünen jagen von Langem her, als ob er übers Wasser käme; er ritt um die Kirche uu hielt an vielen Häusern; es waren unerschrockene Männer, d Fischer, sie kamen vom Abendfang, sie folgten dem Reiter, obwol sie wußten, daß es nicht mit rechten Dingen zuging — es go kein Pferd auf Oland damals — doch sie konnten ihn nicht e- reichen; nur wo er still gestanden hatte, war ein kleiner Wasser tümpel; auch vor meinem Haus. Holgr, der Schwager, e- zählte mir alles und drückte schwere Besorgniß aus; ich war dc mals jung und hatte ein junges, schönes Weib, ich lachte ihn au und die andern, die Nacht war kalt, und da trinkt man ger eins mehr als nöthig — die nächste Nacht kam die Fluth, mei Haus fraß sie zuerst sammt meinem jungen Weib und meinec Kinde in der Wiege -- seit der Zeit lache ich nicht mehr, am über Lars Tönningens Rolf nicht!"
Die Musik schwieg, das junge Volk drängte sich um de Erzähler — da gab es was zu hören von diesen zwei alte Seewölfen. Die Mädchen schmiegten sich inniger an die Bursch die das Gruseln schmunzelnd sich zu nutze machten und in lose Scherzen es zu vermehren suchten. Bald zuckte einer zusamme und starrte regungslos zum Fenster hinaus, als habe er auc einen Reiter oder etwas ähnliches Gespenstiges erblickt; bat deutete einer in irgend einen dunklen Winkel mit ängstlicher Gc bärde, und als plötzlich die Thür anfging und ein neues Fa Flensburger hereingerollt wurde, schrie alles jäh auf, als ob Rol der Kater, sich hereinwälzte.
Am Erkertisch herrschte eine gedrückte Stimmung, die paß! dem alten Rungholt heute nicht.
„Mit Euern Gruselgeschichten an solchem Abend!" brach c polternd los — „Holde, hol' mal den vom Vetter am Rhein, de vertreibt alle bösen Geister!"
„Und verschafft Tönningen vielleicht einen neuen Kater! spottete Holde?
Der „vom Vetter an: Rhein" kam; in den grünen Römer duftete und glänzte es.
Der alte Rungholt erhob sich. Ihm zu Häupten schwankt der Segler noch vom Tanze. Mit seiner mächtigen Stimme ge bot er Ruhe und sprach dann:
„Freunde! Hausgenossen! Man heirathet nicht alle Tage Es ist ein Doppelfest, das wir heute feiern, ein großer, schwere Tag für Christen Rungholt. Gott gebe seinen Segen! De: Mann dort, Bill Lührsen aus Bremerhaven, meinem brave- Steuermann, übergebe ich heute das Beste, was ich habe — meine beiden Lauren! Die blonde, lustig aufgetakelte hier, meü Herzenskind, und die alte, wieder glücklich geheilte, draußen ir Hafen."
„Grobian!" murmelte Frau Holde.
„Du verstehst mich schon," unterbrach sie der Alte. „Bi! Lührsen, nochmals, es ist mein Bestes, was ich Dir gebe. Halt es wohl in Ehren, steuere beide mit fester, liebender Hand, schenk der einen Dein ganzes Herz, der andern Deinen ganzen Verstand halte beiden Mannestreue, sie verdienen es beide. Verlasse Die auf keinen Rolf, auf kein graues Männchen — Lars, ich mein' nicht übel — sondern nur auf Gott und Deine gesunden Sinne Gute Fahrt mit beiden allewege, Hurrah!"