Heft 
(1890) 45
Seite
771
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Hurrah!" dröhnte es im Chor gegen die Fenster.Hurrah! Hurrah!"

Laura weinte rückhaltlos, Bill kämpfte mit der ansteigenden Rührung, alles drängte sich herbei, die Gläser stießen zusammen, es war ein lustiges, harmonisches Klingen, und ein freudiger Duft stieg auf, vom Hafen herein tönten in schrillem Accord die Schiffssignale da plötzlich ein klangloser, gequetschter, häß­licher Ton wie ein kurzes Auflachen

Jedermann hörte ihn, alles sah sich fragend an. Eigen- thümlich, das fröhliche Gläsersingen war verklungen, nur der eine häßliche Ton saß jedermann im Ohre. Lars Tönningen hob sein Glas gegen das Licht und betrachtete es genau jedermann that unwillkürlich das Gleiche dann blickte er mit seinen scharfen, kleinen Mövenaugen auf das in Lauras Händen.

Ein Sprung im Glase!" sagte er, mit seinen Fingern es berührend, und sein Antlitz nahm denselben Ausdruck an wie vorhin, als er den Tod seines Rolfs erzählte.

Laura wechselte die Farbe, ihr rosiger Finger folgte dem Sprung, der durch den hellgrünen Römer sich zog.

Ein böses Zeichen, heißt es, nicht wahr, Lars Tönningen?"

Dieser zog die dichten Augenbrauen bis unter das buschige Haar hinauf.

Heißen thut es. so; da erinnere ich mich"

Unsinn!" fuhr der alte Rungholt dazwischen,laß Deine Erinnerungen! Hast ein vortreffliches Schiff mit eisenfesten Rippen unter Deinen Füßen fast zerschellen sehen und wunderst Dich über einen Sprung im Glase ja so, dort war ja der alte ersoffene Kater schuld und jetzt irgend ein anderer böser Geist, der nichts Besseres zu thnn hat, als nagelneue Weingläser zu zerbrechen! Noch einmal, Kinder, Gott mit Euch das vertragen sie nicht, die Lügengeister!"

Wieder klangen die Gläser und wieder der häßliche Ton.

Rungholt griff wüthend nach dem Glase Lauras, es in die Ecke zu schleudern; Bill fiel ihm in den Arm und nahm es zu sich.

Man machte sich lustig darüber, man machte, den Vorschlag, alle Gläser zu zertrümmern, um den bösen Geist zu verwirren, doch die Stimmung war verdorben. Lars Tönningens Augen­brauen blieben dicht unter den Haaren stehen, er sprach kein Wort mehr. Clans, der Richter, warf auf Laura verstohlene Blicke, in denen es wie Mitleid aufleuchtete. Bill war ärgerlich erregt, er machte Laura leise Vorwürfe, daß sie nicht besser aufgepaßt habe.

Die Gläser waren das Hochzeitsgeschenk Claus', des Richters; Bill hatte sie selbst ausgepackt und kein Fehl war daran ge­wesen. Laura meinte, sie habe ja kaum angetippt an die andern Gläser. Um Lars' Mund zog sich herbes Lächeln bei dieser Aeußerung, er strich sich den grauen struppigen Bart und athmete tief auf.

Das Fest endete rascher, als man .gedacht hatte, die Segens- Wünsche beim Abschied klangen alle so weinerlich, so furchtsam und wurden mit Leichenbittermienen gegeben.

Frau Holde entließ den Kapitän sehr ungnädig, ja, sie machte eine Bemerkung über verderblichen Aberglauben, der wohl schon manches Schiff und manchen Menschen habe untergehen lassen; dann setzte sie der Laura den Kopf zurecht, bei Bill, einem jungen Manne, hielt sie es wohl nicht für nöthig.

Allein oben in der blumengeschmückten Kammer sank Laura schluchzend an ihres Mannes Brust.

Bill, glaubst Du daran?"

Närrchen, der Lars ist an allem schuld mit seinem dummen Geschwätz! Recht lieb haben, treu aushalten zusammen, was da kommen mag, dann kann nichts springen bei uns."

Seine Worte klangen nicht aus voller Brust. Er nahm das Glas aus der Rocktasche und fühlte daran herum.

Wenn ich sie nicht selbst alle ausgepackt hätte, würde ich sagen, der Sprung liege im Glase, das kommt ja vor und damit wäre die dumme Geschichte zu Ende!"

Und der häßliche Ton, ich höre ihn noch!" meinte Laura.

Einbildung wie der verfluchte Kater des Kapitäns auf dem Steuerrad!"

Er stellte das Glas auf den Schrank und ging unruhig in der Stube hin und her.

Laura, ich gehe in See in vierzehn Tagen; mach's uns nicht schwerer mit solchen Gedanken."

Bill, ich laß Dich nicht!"

Sie klammerte sich fest au den jungen Mann. Draußen brüllte die Brandung, ein steifer West hatte sich erhoben, feiner Wasserstaub drang durch das offene Fenster, die Lichter der vor Anker liegenden Schiffe tanzten in der Finsterniß, von der See her dröhnte drohend ein Nebelhorn.

Bill schloß das Fenster, das Licht erlosch. Von dem Schrank herunter leuchtete es grünlich wie das Auge Rolfs, des Katers.

(Fortsetzung folgt.)

HU'citLer und Wl'üthen.

Ädokf Areflerweg. (Mit Bildniß S. 772.) Wir sehen ihn vor uns, den Mann mit dem scharf geschnittenen Gesicht; gewaltige Brauen be­schatten die Augen, aus denen noch bis ins Greisenalter hinein das Feuer der Jugend leuchtete. Bis in die letzten Tage seines Lebens er wurde am 7. Juli 1806 zu Berlin ein Opfer der Cholera trat er mit jugendlicher Begeisterung für die Ideen ein, deren Verwirklichung er sich zum Ziel gesetzt und für die er auch gelitten hatte. Ja, gelitten! Der herbe Zug um seinen Mund läßt die Bitternisse ahnen, die ihm auf seinem Lebenswege beschieden waren, aber widrige Winde konnten ihn nicht von seinen: Wege abbringen. Kühnen Wagemuth spiegelt sein Antlitz wieder, und es ist, als ob der fest geschlossene Mund sich zu dem von seinen Lippen so oft vernommenen Zuruf öffnen wollte:Durch!" Freilich hat er sich einen großen Theil der Gegner durch die herbe Art seines Auftretens selbst geschaffen. Wo er im Volks-, insbesondere im Schul­leben Mißstände entdeckte, deren Beseitigung ihm dringend zu sein däuchte, da kannte er keine Rücksichten. Von den Sachen glitt er leicht auf die Personen hinüber, und mit diesen verfuhr er nicht sehr glimpflich.

Das Leben Diesterwegs, der am 29. Oktober 1790, also vor nunmehr hundert Jahren, geboren wurde, ist in derGartenlaube" wiederholt ge­schildert worden. Es führte ihn durch verschiedene Lehrerstellungen in Mann­heim, Worms, Frankfurt a. M., Elberfeld und Mörs 1832 an die Spitze des Berliner Lehrerseminars für Stadtschulen, wo seinem Eifer, für eine Ver­besserung und Veredlung des Volksunterrichts zu wirken, das weiteste Feld erwuchs. Mit hoher Begeisterung für den Erzieherbernf erfüllt, wußte er seine Zöglinge zu idealer Auffassung ihres künftigen Lebens- bernfs zu führen und sie mit der Kunst, geistweckend zu unterrichten, vertraut zu machen. Auch auf die bereits im Amte stehenden Lehrer wirkte er in gleichem Sinne ein. Ihren Blick lenkte er nicht bloß auf die Vorgänge in der Schulstube; er schärfte ihn auch für die Vorkommnisse draußen im Volksleben; er wußte sie zu Volkspädagogen zu erheben. Für einen Lehrerstand mit zeitgemäßer wissenschaftlicher und beruflicher Bildung beanspruchte er aber auch eine bessere amtliche und gesellschaftliche Stellung. Die Schule wollte er neben, nicht unter die Kirche, die Lehrer nicht unter, sondern neben den Geistlichen gestellt sehen. Seine Forderung, Schule und Lehrer müßten durch Fachmänner beaufsichtigt werden, harrt in Deutschland heute noch fast überall der Erfüllung. Sie war es, die neben

seinem leidenschaftlichen Eintreten gegen den dogmatischen Religionsunterricht in den Volksschulen das Mißtrauen einzelner Kreise gegen ihn wachrief.

Als in den vierziger Jahren aus den höheren Regionen herab andere Winde als unter dem verstorbenen Könige Friedrich Wilhelm Hl. wehten, Diesterweg aber seinen Mantel nach diesem Winde zu drehen nicht ge­willt war persönliche Gegensätze zu seinem nächsten Vorgesetzten, dem Schulrath O. Schulz, kamen hinzu da war er (1847) genöthigt, einen längeren Urlaub" zu nehmen, dem 1850 seine Pensionirung folgte. Aber er gab es nicht auf, für seine Ideen weiter zu wirken. Die berüchtigten preußischen Schulregulative vom Jahre 1854, welche die Bildung der Lehrer ganz gewaltig herabdrückten und durch Ueberbürdung der Volks­schule mit Gedächtnißstoff einen bildenden Unterricht zur Unmöglichkeit machten, fanden in ihm ihren erbittertsten Gegner. Ihre Beseitigung, die er bereits am Anfänge der sechziger Jahre nahe wähnte, sollte er nicht mehr erleben. Aber durch sein Wort, welches seit 1858 von der Tribüne des preußischen Abgeordnetenhauses herab erscholl, desgleichen durch seine Schriften hat er viel dazu beigetragen, daß die Regulative mehrfach ge­ändert oder wenigstens in zeitgemäßer Weise ausgelegt wurden.

Wie hoch nun auch Diesterweg die durch die Volksschule zu ver­mittelnde Bildung anschlug, so war er doch weit entfernt von dem Glauben, daß durch die Schule allein die Welt verbessert werden könnte. Stets betonte er, daß zur Hebung der sozialen 'Schäden noch manch anderes Mittel versucht werden müsse. Er stand schon dem Gedanken nahe, dem später Schulze-Delitzsch durch Einrichtung des Genossenschafts­wesens Leben und Gestalt verlieh. Alle freiwilligen Bemühungen der Begüterten, das Los der Armen erträglicher zu gestalten, konnten seiner Unterstützung sicher sein. Auch hier zeigte er sich als echter Pestalozzianer, Humanität" hatte er auf seine Fahne geschrieben.

Allerwärts hat sich die deutsche Lehrerschaft gerüstet, den hundertsten Geburtstag Ad. Diesterwegs festlich zu begehen. Sie feiert in ihm nicht einen Mann, der tiefsinnige pädagogische Systeme erfunden hat, sondern einen gottbegnadeten Erzieher, der für die geistigen und leiblichen Be­dürfnisse des Volkes ein warmes Herz gehabt, seine eigene ideale Be­geisterung für seinen Beruf in die Kreise der Lehrer getragen hat und in Charakterfestigkeit, Berufstreue und praktischem Geschick ein Vorbild für alle Bolksbildner gewesen ist.