Heft 
(1985) 39
Seite
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zwischen denen als öffentlicher Ort schlechthin die Straße verläuft, seine Bedeutung, sobald die handelnden Gestalten zu ihm in Beziehung treten. Als der dritte Tag zu Ende geht, sind Lene und Botho, die den Abend in der heitersten Laune mit Frau Nimptsch und der Gärtnersfamilie verbracht haben, im Dörrschen Garten alleine. Das Mädchen versinkt beim Anblick der Mondsichel und des Elefantenhauses,das in dem niederströmendem Silberlichte noch phantastischer aussah als gewöhnlich (33), minutenlang wie in einen glücklichen Traum. Später werden im Zoo Feuerwerk und bengalische Lichter abgebrannt. Als dann die Musik noch einmal einsetzt, nach der man zuvor im Gärtnerhaus getanzt hat, bekennt Lene:Weißt du, Botho, wenn ich dich nun so nehmen und mit dir die Lästerallee drüben auf und ab schreiten könnte, so sicher wie hier zwischen den Buchsbaumrabatten, und könnte jedem sagen: ,Ja wundert euch nur, er ist er und ich bin ich, und er liebt mich und ich liebe ihn* ja, Botho, was glaubst du wohl, was ich dafür gäbe? Aber rate nicht, du rätst es doch nicht. Ihr kennt ja nur euch und euren Club und euer Leben. Ach, das arme bischen Leben. (35)

Wenn die Annahme zutrifft, daß der Gärtnersgarten insgeheim etwas mit dem Garten des Paradieses zu tun hat, dann zieht es Lene, ihn zu verlassen. Von drüben dringen Klänge und Bilder herüber, Anzeichen von Festlich­keit und Pracht, an Exotisches erinnernd und getaucht in Farben, die unwirklich sind; alles ist dazu angetan, Traum und Sehnsucht zu wecken. So wünscht und äußert Lene dies eine Mal das nach dem Willen der Erzählung Unmögliche. Daß sie deswegen ihre Einsichten nicht vergißt und ihr Ich bestätigt statt verleugnet, ehrt die Gestalt und den Verfasser. Sie würde wohl im Ernst das Leben daran setzen, um öffentlich ihre menschliche Ebenbürtigkeit und das Recht des Gefühls zu behaupten, die sie mit Botho vereinen.

In Wirklichkeit behält sie die Rolle des Zaungastes. Vielleicht ist der Wunsch nach dem Unmöglichen noch beteiligt, wenn sie als nächstes auch das eine Spiegelung - voller Stolz, aber nur von ferne,heimlich, verstohlen (38) zusieht, wie der schöne Mann zu Pferde auf dem Korso paradiert. Sie muß es leiden, daß bei dieser Selbstdarstellung, welche die vornehme Gesellschaft im Tiergarten zelebriert, zwei schöne Damen Gefallen an ihm zeigen und Gefallen in ihm wecken, und trägt nur Angst und Eifersucht davon.

Mit Hilfe dieser Bestimmungen wird der Zoologische Garten der Erzählung lokalisierbar. Er liegt topographisch und soziologisch am Rande desmon­dänen Orts 15 , wo die vornehme Gesellschaft zu Hause ist, die sich selbst die gute nannte. Dessen Zentrum nimmt das Tiergartenviertel ein, in dem Botho wohnt. Gegenüber demZoologischen repräsentiert die Gärtnerei samt ihrem Garten, der seinen eigenen Zauber hat, eine anheimelnde, aber enge, kleine Welt, der auch die Erbärmlichkeit nicht fehlt. Hinter ihr beginnt nicht die freie Natur, sondern Wiesenflächen, die sich als sumpfig erweisen, Schutt- und Unkrauthaufen, dazuein eigentümliches Vorstadts­leben (54), das sich durch gewerbsmäßiges Teppichklopfen und Kegel­schieben bemerkbar macht. Ins freie Land wird nur die Aussicht eröffnet.

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