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offen fand nnd, nachdem sein Klingeln nicht beantwortet worden war, nach Soldatenart zum entschiedenen Angriff auf die Festung überging, in den Flur trat und die nächste Thür sachte aufmachte.
Liesbeth stand, mit dem Rücken gegen ihn gewendet, auf einer kleinen Steigeleiter und hob eben mit übermächtiger Anstrengung und einigem Senfzell einen schweren Krug mit beiden Armen empor, um ihll auf das Sims über der Thür zum Nebenzimmer zu setzen.
Der junge Mann sah einen Augenblick mit belustigter Miene auf die zierliche Mädchengestalt, die sich auf die Zehenspitzen hob nnd vergeblich versuchte, die Höhe der Thür zu erreichen. Dann trat er mit einem freundlichen „Lassen Sie mich das mal machen!" lieben die Leiter, und während Liesbeth vor Schreck, Ueberraschung und Erstaunen wortlos mit einem flinken Satz auf den Boden sprang, nahm er ihr den Krug aus den Händen und stellte ihn an seinen Platz.
Sie stand schweigend, dunkel erröthet, mit gesenkten Augen vor ihm — wie sie es machte, daß sie ihn trotzdem genau sah, das mußte sie am besten wissen!
„So!" sagte er gemüthlich und sah mit lächelndem Wohlgefallen auf das reizende Gesicht unter dem bullten Tuch, „nun habe ich Ihnen einen Gefallen gethan — thun Sie mir auch einen Gefallen — melden Sie mich einmal beim Herrn Oberst- lieutenant!"
Er hielt ihr seine Visitenkarte hin.
In Liesbeth empörte sich bei dieser etwas nachlässigen Anrede jeder Blutstropfen — sie warf den kleinen Kopf hoch- müthig zurück und hätte beinah eine mehr wie kurze Antwort gegeben, als ihr wie ein Blitz der Gedanke durch den Sinn flog: „Er hält dich für das Stubenmädchen!" und im selben Augenblick war ihr Entschluß gefaßt.
Sie wollte diesem strahlenden, hübschen, blonden Helden, der im ersten Augenblick alle Gebilde ihrer Phantasie in das Schattenreich geworfen und deren Stelle eingenommen hatte, nicht in ihrer wahren Gestalt erscheinen — sie hätte sich ja in ihrem Zofenkostüm zu Tode schämen müssen! — nein, sie wollte jetzt Aschenbrödel bleiben und bei der erstell Gelegenheit, wo der junge Offizier lvieder käme, als strahlende Prinzessin erscheinen — vorausgesetzt, daß sie ausnahmsweise bis zehn Uhr aufbleiben durfte!
In diesem Entschluß nahm sie mit gesetzter Miene die Karte in Empfang und sagte mit großer Ruhe: „Der Herr Oberst- lieutenaut wird sehr bedauern — er ist ausgegaugeu!"
„Ach so — und hier ist der Reinmächeleüfel los, wie ich sehe!" bemerkte der Lieutenant lachend, „da komm' ich wohl recht ungelegen?"
„Ich glaube," stotterte Liesbeth, „ich glaube — die Herrschaften erwarteten Sie heut noch nicht — wenn Sie vielleicht morgen -—" .' s i .
„Nein," sagte der junge Mann kurz, sah vor sich nieder und drehte verdrießlich an seinem Schnurrbart, „ich reise heut nachmittag wieder ab."
Ein Wehegefühl zerfleischte das Herz des Backfischchens — ade, du schöner Traum!
„Und ich hätte die Herrschaften so gern gesprochen," fuhr der Gast ärgerlich fort, „ich hatte außer einer Visite noch eine Bitte an die Damell — es ist ja wohl eine Tochter hier, nicht wahr? — ein halbwüchsiges Schulmädel, wenn ich recht berichtet bin."
Liesbeth Hütte den Gegenstand ihrer Schwärmerei in diesem Augenblick mit kaltem Blut ermorden können!
„O nein!" erwiderte sie mit blitzenden Augen, „das Fräulein ist erwachsen — sie geht nicht mehr in die Schule, sondern nimmt nur uoch einzelne Stunden."
„So?" frug der Lieutenant verwundert, „ich dachte doch, sie wäre erst fünfzehn Jahre — meine Schwester sagte mir so."
Liesbeth schwieg vernichtet angesichts dieser beschämenden Wahrheit.
„Nun einerlei," setzte der Sprecher hinzu und warf erst jetzt wieder einen Blick in das Gesicht seines Gegenübers, der seine Züge wieder erhellte, „älter wie fünfzehn Jahre sind Sie wohl übrigens auch noch nicht, mein Kind?"
„Doch!" stieß Liesbeth mit Nachdruck hervor ihr Gewissen durch die Thatsache beschwichtigend, daß sie fünfzehn und ein halbes sei! —
„Na, mehr wie sechzehn sind Sie gewiß nicht," fuhr der junge
Offizier fort, „in jedem Fall sind Sie noch sehr jung, um sic schon unter fremden Leuten Ihr Brot zu verdienen!" setzte er m weichem Ton und einem mitleidigeil Blick hinzu.
Liesbeth erwiderte nichts und wendete sich ab.
„Er ist himmlisch!" dachte sie für sich, „wenn er bloß noc nicht wegginge!"
„Hören Sie einmal," begann der Fremde nach einer Weil wieder, „wie heißen Sie übrigens?"
In Liesbeths Kopf jagte sich in fliegender Eile eine Meng herrlicher Namen, die sie sich immer gewünscht hatte — aber dam schienen sie ihr wieder für ein Stubenmädchen zu schön und zi unwahrscheinlich — so sagte sie gar ni.chts!
„Nun?" frug der blonde Held und bückte sich lächelnd, uv ihr ins Gesicht zu sehen, „ist das ein Geheimniß?"
„Nein," sagte sie mit raschem Entschluß, „ich heiße — Christel!"
„Also — Christel," fuhr er fort, „ich habe die höchst Eile — könnten Sie mir einen Auftrag besorgen?"
„Sehr gern!" erwiderte sie halblaut.
„Das ist nett von Ihnen!" sagte der junge Mann vergnügt „es handelt sich um ein Weihnachtsgeschenk für meine Schwester/ „Ja?"
„Dieses Wurm ist nämlich ebenso alt wie das Backfischchel hier und wird wohl auch dieselbe Handschuhnummer haben. Nur giebt es hier solche Spezialität von Handschuhkasten mit Hand, schuhen, die Ihr kleines Fräulein voriges Jahr für meine Schwefle! besorgt hat; sie wird sich ja wohl noch erinnern."
„Ja, ich weiß," sagte Liesbeth eifrig.
„Nun, und dieselben soll ich dies Jahr zu Weihnachten beschaffen; würden Sie mir das etwa besorgen, da ich doch Ihr kleines Fräulein nicht sprechen kann? Sechs Paar Handschuhe in verschiedenen Farben — zeigen Sie mal! Ihre Hand wird wohl auch das Kaliber haben!"
Liesbeth steckte entschlossen die beiden kleinen Hände, die sie fraglos verrathen hätten, unter die Schürze.
„Meine Hände sind zu abgearbeitet," sagte sie kurz, „die zeige ich nicht!"
Wieder traf sie der mitleidige Blick, der vorhin schon solches Unheil angerichtet hatte — der junge Mann sah ernsthaft aus.
„Also, meine liebe Christel," fuhr er nach einer kleinen Pause fort, besorgen Sie mir solch' einen netten Kasten mit sechs Paar Handschuhen — Ihr kleines Fräulein sucht ihn gewiß aus, wenn SieZie recht schon darum bitten — und lassen Sie das Packet an diese Adresse hier abschicken!"
Er riß ein Blatt aus seinem Notizbuch, kritzelte ein paar Worte darauf und gab es ihr.
„Und' hier-haben Sie zwanzig Mark, die können Sie dafür verputzen — und hier — für Ihre Mühe!"
Er hielt, ihr ein Goldstück und eine einzelne Mark hin. In Liesbeths Kopf wirbelte es aufs entsetzlichste durcheinander. Sie sollte ein Trinkgeld annehmen — unmöglich! Und thät sie es nicht, so verrieth sie ihr Inkognito!
Sie nahm mit spitzen Fingern das Goldstück und lieh die Mark unberührt.
„Bitte!" stammelte sie erglühend.
„Na, ohne Umstände!" sagte der Lieutenant gutmüthig und schob ihr, deren Widerstand er für falsche Bescheidenheit hielt, das Geldstück mit sanfter Gewalt in die Hand, „und nun, Christel, sagen Sie den Herrschaften meine Empfehlung! Hoffentlich treffe ich sie zu Haus, wenn ich übers Jahr wieder hier durch komme! Adieu, Christel — ich hoffe, es geht Ihnen immer gut und Sie bekommen mal einen guten Mann!"
„Ich danke!" brachte Liesbeth mühsam hervor.
„Und hier — geben Sie meine Karten ab," setzte er noch eilig hinzu, nickte freundlich und klirrte zur Thür —und
Liesbeth stand mit dem Gelde und dem Zettel in der Hand da und sah ihm nach wie verzaubert.
Was hatte ihr dieser so nüchtern anfangende Tag doch für ein herrliches Abenteuer gebracht! Davon konnte man ja ein ganzes Leben lang zehren!
Wie freundlich, wie sicher, wie gutmüthig und wie hübsch war dieser junge Kriegsgott! Und wie schade — wie jammerschade, daß er nicht mehr wiederkam — bis übers Jahr!
Sie ließ die Hände in den Schoß sinken und vergaß ihre