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„Seit Sexta eine unangenehme Sache für mich!" bemerkte Kurt ernsthaft, „darf ich fragen, wie es ausgefallen ist?"
' „Sie hat gesagt, Du wärst .ganz nett'!" gab Lina zur Auskunft, stand auf und ging hinaus.
Die beiden blieben allein und schienen zunächst von ihrer Ungestörtheit wenig Vortheil ziehen zu wollen, denn keines von beiden sprach ein Wort.
Liesbeth nähte mit einem Eifer, als sollte sie ihr Brot damit verdienen, daß sie Cotillonschleifen anfertigte; das versäumte Roth- werden von Vorhill hatte sich jetzt mit wahrhaft lähmender Heftigkeit eingestellt — sie hoffte im stillen, daß ihre Stellung mit tief gesenktem Kopf diese peinliche Thatsache verbergen würde.
Der junge Mann hatte in einem Sessel ihr gegenüber mit verschränkten Armen Platz genommen und sah sie lächelnd an.
„Ganz nett," sagte er dann, „nun, das ist ja immer schon etwas!"
„Das finde ich auch!" brachte Liesbeth mühsam hervor. Sie fühlte sich namenlos beängstigt unter dem nachdenklich prüfenden Blick ihres Gegenübers und richtete mit der Schere erbarmungslose Verheerungen unter dem bunten Bande an.
Das Bettelarmband klirrte bei ihren unruhigen Bewegungen
„Darf man das Armband einmal bewundern?" frug der junge Mann harmlos und streckte die Hand danach aus, „ich habe gehört, die jungen Damen wissen darin ganz besonders raffinirte Dinge zu erfinden!"
„Um keinen Preis!" rief Liesbeth, ganz blaß werdend, „das darf niemand sehen!"
„Hoho!" sagte der Lieutenant, belustigt durch ihren Eifer, „das scheint mir ja eine gefährliche Sache zu sein! Aber ich bin diskret —- ich bringe das Gespräch auf etwas anderes," fuhr er scheinbar ganz unbefangen fort, „ich wollte Sie schon dieser Tage immer nach jemand fragen — darf ich?"
Liesbeth fühlte alle Schrecken des Geächteten über ihrem Haupte.
„Bitte!" erwiderte sie fast unhörbar.
„Als ich vor zwei Jahren durch A . . . . kam," begann er langsam, indem er seine Augen noch immer fest auf ihrem Gesicht ruhen ließ, „und den vergeblichen Versuch unternahm, Ihrem Herrn Vater meine Aufwartung zu machen, da war bei Ihnen gerade großes Scheuerfest!"
. „So?" erwiderte Liesbeth anscheinend sehr verwundert.
„Ja, denken Sie 'mal!" fuhr er gemächlich fort, „und die Damen der Familie waren natürlich nicht sichtbar!"
„Natürlich!" wiederholte Liesbeth mechanisch.
Kurt bückte sich tief, um ihr in die Augen zu sehen -— ein erfolgloses Unternehmen, denn die dichten, schwarzen Wimpern hoben sich auch nicht um eine Linie weit.
„Da hatten Sie solch ein allerliebstes Stubenmädchen," sagte er lachend, „sie hieß Christel —- was ist denn aus der geworden?"
Liesbeth warf einen hilflosen Blick umher und suchte nach einem Vorwand, das Zimmer zu verlassen — sie antwortete nicht.
„Ist sie noch bei Ihnen?" frug der erbarmungslose Gegner weiter.
„Nein!" murmelte Liesbeth.
Der Lieutenant lehnte sich in seinen Sessel zurück und sah zur Decke empor.
„Schade," meinte er nachdenklich, „es war das niedlichste Persönchen, das ich jemals gesehen habe!"
Liesbeth schwieg.
„Sie wird gewiß auch eine gute Hausfrau
werden," bemerkte der Lieutenant mit einem halb ernsten, halb neckenden Blick auf das Mädchen, „meinen Sie nicht?"
„Ich hoffe!" erwiderte Liesbeth tapfer, mit dem Muth der Verzweiflung.
„Ich hoffe auch!" sagte der junge Mann jetzt in einem plötzlich ganz ernsthaften Ton, „und wissen Sie, was ich mir eigentlich ausgedacht habe?"
„Nein -— das kann ich doch unmöglich wissen!" stammelte Liesbeth mit einem letzter: Versuch, unbefangen zu sein.
„Ich wollte immer nur ein Mädchen heirathen wie jene Christel," gab er ruhig zurück, „glauben Sie, daß sie mich nehmen würde?"
Liesbeth stand hastig auf — die Bandschleifen flatterten wie aufgescheuchte Vögel von ihrem Schoß herunter zur Erde.
„Das weiß ich nicht!" flüsterte sie fast unhörbar.
Er lachte etwas verlegen?
„Nun wahrhaftig, ich weiß es auch nicht!" sagte er und stand auf, „aber wie denken Sie denn darüber?" fuhr er fort und faßte die Hand mit dem Bettelarmband, die Liesbeth ihm nicht entzog.
„Fragen Sie sie doch!" erwiderte sie und hing den Kopf.
Da ging das Bettelarmband auf und fiel klirrend zur Erde er lag schon auf einem Knie, hob es auf und hielt es ihr hin.
„Ich habe noch keine Antwort," setzte er dringend hinzu.
„Sehen Sie sich doch das an!" flüsterte Liesbeth in tiefster Verlegenheit.
Er hielt das kleine, rasselnde Ding in der Hand und warf einen verständnißlosen Blick darauf.
„Ich begreife nicht!" sagte er dann und zuckte die Achseln.
„Das ist ja die Mark, — die Sie - die Sie — die damals die Christel als Trinkgeld bekommen hat," rief Liesbeth und machte nach diesem Bekenntnis; einen kühnen Versuch, an ihm vorbei zur Thür zu gelangen.
Aber er hielt sie fest.
„Liebe Liesbeth!" sagte er mit ganz unsichrer Stimme und feuchten Augen, „aber wissen Sie — das finde ich furchtbar rührend von Ihnen!"
Und als Lina fünf Minuten später wieder ins Zimmer kam, fand sie ein glückseliges Brautpaar, und die Cotillonschleifen lagen alle am Boden. Sie konnte sich in ihrer stürmischen Freude über diese Wendung der Dinge aber doch nicht enthalten, triumphierend zu bemerken: „Habe ich Dir's nicht gleich gesagt, Liesbeth, daß Du Dich in ihn verlieben würdest?"
„Als wenn ich das jetzt erst gethan hätte!" rief Liesbeth glücklich und unvorsichtig.
Die Eltern unserer kleinen Freundin waren zuerst nicht sehr entzückt über das Ergebniß dieses Ausfluges in die Welt. „Kaum hat man etwas an den Töchtern, da verloben sie sich — natürlich!" brummte der Oberstlieutenant.
Aber dieses „natürlich" hatte doch einen -'Q starken Beigeschmack von Wohlgefallen und geschmeichelter väterlicher Eitelkeit.
AnLiesbeths Polterabend trat die „Christel" natürlich in höchsteigner Person mit Staubtuch und Besen auf und gab allen anwesenden jungen Damen den Rath, bei vorkommenden Scheuerfesten ja fleißig Hand anzulegen — wie Figura zeige, sei das oft eine ganz glänzende Spekulation.
HStcrtter und Wt'ütNen.
Jer Zugendgarten. Zum fünfzehnten Male tritt der „Jugendgarten" hinein in die weihnachtsfrohe Welt, seinen jungen Freunden, denen, für die er bestimmt ist, eine gewiß willkommene Gabe, aber auch seinen alten Freunden eine Quelle erfreulicher Gedanken. Ist er doch stets von neuen: eine lebendige Erinnerung an die unvergeßliche Ottilie Wildermuth, aus deren Händen einst die ersten Bände hervorgingen, und wenn etwas das Schmerzliche, was eine solche Erinnerung immer in sich birgt, vergessen lassen kann, so ist es die Thatsache, daß ein Stück ihres Geistes fortlebt eben in dem „Jugendgarten", welcher von ihren Töchtern mit so ver- ständnißvoller Pietät und engverwandter Begabung fortgeführt wird.
Den Inhalt des fünfzehnten Bandes im einzelnen hier durchzusprechen, würde zu weit führen; denn es ist eine auch dem Umfange nach recht stattliche Festgabe, welche von der Berlagshandlung schön und geschmackvoll ausgestattet worden ist. Die Herausgeberinnen, Adelheid Wildermuth und Agnes Willms, haben Gedichte und Erzählungen beigesteuert, andere Er
zählungen stammen von Julius Weil, G. Reuter, Sally vor: Rüts; eine Bogelgeschichte von Dutti, Märchen von Luise Jüngst und Anna Fromm, geschichtliche und naturwissenschaftliche Skizzen schließen sich an. Marie Silling verwebt allerlei Kenntniß und Erfahrung in einen anmuthig geschriebenen Briefwechsel zwischen Tante und Nichte, ein kleines Theaterstück von Helene Binder, „Knecht Ruprecht auf den: Heimwege", eignet sich zur Ausführung in den Weihnachtsferien, und zahlreiche Rä'thsel liefern Stoff zum Kopfzerbrechen au den langen Winterabenden. So ist also für viele Wünsche und Bedürfnisse gesorgt, und zwar gesorgt in jenem wohl- thuenden Geiste von Anmuth und innerer Gesundheit, wie er allein des Namens Werth ist, der noch immer auf den: Titelblatt des „Jugendgaxtens" prangt, des Namens Ottilie Wildermuth. —
Der Arrktöpfekesel'. (Mit Abbildung S. 80 ö.) Einst wurde Schwaben von einer furchtbaren Pest heimgesucht. Jeder sperrte sein Haus ab und jeder fürchtete sich, von dem anderen angesteckt zu werden. Ganze