Heft 
(1985) 39
Seite
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institutionellen Geselligkeitsformen und der sozialen Lebensform steht. Sie führt über Rienäckers Wohnung in der Bellevuestraße, deren drei Zim­mersich sämtlich durch eine geschmackvolle, seine Mittel ziemlich erheb­lich übersteigende Einrichtung auszeichneten (36), ins derzeit erste Wein­restaurant der Stadt Unter den Linden und dann in den Klub. Die Kaserne mit ihren Dienstgeschäften, die bis Zwölf erledigt sind, wird übergangen, sie ist am wenigsten bemerkenswert unter den Stationen eines Tageslaufs, der für Rienäcker im Zirkus Renz enden wird, weil er seinen Onkel zu begleiten hat, Baron Osten, der eben für zwei Tage von seinen Besitzungen in der Neumark herübergekommen ist. Nichts Ungewöhnliches also.

Das Frühstück, das um Einsetwas früh (41) bei Hiller genommen wird, und der Abstecher in den Klub, der ohne Rienäcker stattfindet, können als sozialpsychologische und kulturgeschichtliche Kabinettstücke gelesen werden, in denen Fontanes Gesprächsszene das volle Maß von Beziehungsreichtum, Ungezwungenheit, Knappheit und Eleganz erreicht. 1IJ Diese Kapitel sind im Gesellschaftsbild der Erzählung die Kernzone. Aus ihnen geht hervor, daß Bothos Ausweichen vor der standesgemäßen Heirat, das scheinbar bloß seine Familie in Mitleidenschaft zieht, einen vitalen Nerv der junkerlichen Lebensform berührt, so daß der Begebenheit auch von dieser Seite her exemplarische Bedeutung zuwächst.

Was außer den Mahlzeiten beschäftigt die Herren, wenn sie unter sich sind? Sie gehen auf ihre Weise kaum weniger zeremoniös miteinander um als mit den Damen. Aber man spielt, oftmals hoch, um reale Werte, und die Gegenstände, die wortgewandt und pointiert, salopp und vieldeutig besprochen werden, erschöpfen ihr Interesse meist nicht im Unterhaltenden, das sich von selbst versteht. Politik, das heißt Bismarck, fällt ins Metier der herrschenden Kaste und betrifft sie; unter den vielen Gesprächen, die Fontanes Figuren über den Kanzler führen, werden sich wenige finden, die gleich schlüssig wie dasjenige, das der alte Baron Osten vom Zaun bricht, aus der historischen Übergangssituation dieser Kaste hergeleitet sind. Das übrige, das den größeren Raum einnimmt, sind Personalnachrichten, Neuig­keiten, zutreffend oder nicht, aus der Gesellschaft, welche die ihrige ist, in der man sich noch kennt und in die Rangliste und den Adelskalender einzuordnen weiß. Natürlich erzählt man auch Weibergeschichten, würde sich aber den indezenten Ausdruck schwerlich gestatten.

Zu diesen Wirklichkeiten gesellt sich nun auch Bothos Dilemma, das ihm die Morgenpost mit den Briefen Lenes und des Barons auf das lebhafteste vergegenwärtigt hat. Er wird bei Hiller mit der Meinung der Familie kon­frontiert und im Klub der Betrachtung der Kameraden unterzogen, deren Durchblick sich zwar nicht in der Bewertung, wohl aber in der Sache mit der Hellsichtigkeit Lenes trifft: (34f.).Rienäcker, trotz seiner sechs Fuß, oder vielleicht auch gerade deshalb ist schwach und bestimmbar und von einer seltenen Weichheit und Herzensgüte.

,Das ist er. Aber die Verhältnisse werden ihn zwingen, und er wird sich lösen und frei machen, schlimmstenfalls wie der Fuchs aus dem Eisen. Es tut weh, und ein Stückchen Leben bleibt daran hängen. Aber das Haupt­stück ist doch wieder heraus, wieder frei./...)' (52) Nur daß man im Klub

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