Heft 
(1985) 39
Seite
92
Einzelbild herunterladen

Spruch geraten und nachher, wovon vorläufig abgesehen wurde, auf Dauer wieder zurückflnden. Auch von Lene gibt es eine abschließende Charakte­ristik des Geliebten:(...) er war ein guter, lieber Mensch und hat mir zu Liebe gelebt und kein Hochmut und keine Haberei. Und daß ichs rund­heraus sage, trotzdem ich die feinen Herren nicht leiden kann, ein richtiger Edelmann, so recht einer, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. (114) Damit nähert sich Botho ein Thema, das Fontane in seinem ersten und in seinem letzten Roman variiert demAdel, wie er bei uns sein sollte. Exponent der junkerlichen Lebensweise, entwickelt er Eigenschaften, die ihn über den Adel,wie er ist 1 und in der Erzählung erscheint, hinaus­heben. Er wird einem Musterbild angeglichen, das wiederum ständische Prägung zeigt, aber freilich nicht unbedingt das Selbstverständnis der Kaste repräsentiert.

Lene kann die feinen Herren nicht leiden; Botho hat sie einmal einekleine Demokratin (34) genannt. Das war im Scherz und sollte nicht wörtlich genommen werden, noch weniger zum Anlaß, sozialpolitische Symmetrien zu vermuten in einem Text, der die öde Symmetrie überhaupt nicht kennt. Dennoch sieht Botho in Lene nicht zu Unrecht gleichfalls die Grundwerte der anderen Lebensform verkörpert und würde sich darüber leicht mit Frau Dörr einig werden, die zu Beginn meint:Jott, ein Engel is sie woll gerade auch nich, aber propper und fleißig un kann alles und is für Ordnung un fürs Reelle. (10) In diesem Sinn ist Lene das Mädchen aus dem Volke. 21 Sie ist nur bisher den mannigfaltigen Verkümmerungen entgangen, von denen die Menschen ihrer Umgebung und Sphäre gezeichnet sind, die so leicht zur komischen Figur werden. Das ist das offene Geheimnis von Lenes Jugend und unbedingter Selbstbestimmung. In ihrer Lebensform nimmt die Deformierung andere Eigenschaften an als in der junkerlichen, sie hebt den Vorzug der Produktivität nicht auf, aber herrscht hier wie dort. Lenes Menschlichkeit kommt es zugute, daß sie sich unter diesen Umstän­den nicht ohne weiteres der Attraktivität entziehen kann, welche die unbekannte vornehme Welt entwickelt, die zu Botho gehört und zu der Botho gehört. Die Anziehungskraft seiner Person ist davon nicht zu trennen. Die gegensätzliche Bewertung der Lebensformen und der Stellung des einzelnen in ihnen wird nicht eingeschränkt, wenn der Eindruck entsteht, daß beide, Lene und Botho, im Geliebten die schönsten mensch­lichen Züge aufgefunden haben, die so nicht der eigenen, sondern nur der anderen Gesellschaftssphäre und Lebensform entwachsen konnten.

Das Paar, das füreinander geschaffen ist, lernt sich kennen auf schwanken­dem Element, sorglos, unter heiteren Umständen, als sich Ostermontag auf der Spree bei Stralau die Bahn der Lebensschiffe kreuzt. Doch unversehens droht Lene der Untergang, denn ein Dampfer ist dabei übersehen worden; Botho und sein Kamerad retten sie und ihre Begleiter ans sichere Ufer. Irrungen, Wirrungen ist reich an solchen Hinweisen, die meist unauf­dringlich mehr zu verstehen geben, als gleich auf der Hand liegt. Die Episode braucht nicht platterdings mit der Liebesgeschichte zur Deckung gebracht zu werden, für die sie den Auftakt gibt, um sie als Omen aufzu­nehmen, das die Komplexität der Unsicherheit und Gefahr anzeigt, auf welche diese Liebe und vor allem ihr weiblicher Teil stoßen.

92