Heft 
(1906) 07
Seite
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Er pflegte jeden Vormittag eine Stunde bei seinen Damen und ein paar ihrer Bekannten zuzubringen und ihnen, da er sein Wissen gern mitteilte als ein richtiger Professor, einen kleinen Vortrag zu halten über irgend ein Naturprodukt, das er mitgebracht hatte, ein Seetier, eine Pflanze, ein Insekt. Die ließ er uns dann durchs Mikroskop sehen. Die Braut hatte, wie gesagt, wenig Interesse dafür, desto mehr ihre Mutter, am meisten ich selbst. Ich war dann regelmäßig bei ihnen auf der Veranda, die Zu ihren Zimmern gehörte, und meist wandte er sich in seinen Erörterungen an mich, da ich ihn durch immer neue Fragen reizte. Nachmittags machten wir Zwei unsere Exkursionen, am liebsten in einem kleinen Segelboot, das ein alter Schiffer führte. Da hing er sein Schleppnetz über Bord, und während wir uns treiben ließen, sprachen wir von tausend Dingen und freuten uns, daß wir über die meisten übereinstimmten.

Irgend welche sentimentalen Themata wurden nie berührt. Wir disputierten so eifrig'über die abstraktesten Fragen, als läge uns die Welt der Gefühle und unsere persönlichen Interessen völlig fern und wir wären zwei junge Studenten, die noch vertrauten, alle Welträsel lösen zu können.

Nach einigen Wochen aber bemerkte ich, daß seine Stim­mung ungleichmäßiger und gedrückter wurde. Auch schien mir in dem Betragen der Braut gegen ihn eine Änderung ein­getreten zu sein. Sie war anfangs von einer engelhaften Milde und Ergebung gewesen. Auf einmal verfiel sie ihm gegenüber oft in einen gereizten Ton, und wenn ich eintrat, sah ich, daß die beiden sich gestritten haben mußten. Er hatte Falten auf der Stirn und sie gerötete Augen.

Ich konnte wohl merken, daß ich die Ursache war. Denn auch mir zeigte die arme Leidende nicht mehr das alte freund­liche Gesicht, und da ich mir nicht den Vorwurf machen wollte, an der Verschlimmerung ihres Zustandes schuld zu sein, nahm ich mir vor, mit dem Professor offen darüber zu reden, auf die Gefahr hin, daß meines Bleibens eben nicht länger sein könnte und mein Glück zu Ende gehen müßte.

Mit diesem Entschlich fand ich mich eines Nachmittags am Strand ein, wo unser Segelboot angepflockt lag. Er war auch schon da, aber der Schiffer hatte Botschaft geschickt, er sei heute verhindert, uns zu fahren. Nun, so fahren wir allein, sagte ich. Wir haben ihm so lange abgesehen, worauf es ankommt, es wäre eine Schande, wenn wir bei dem ruhigen Wetter das Schifflein nicht selbst regieren könnten.

Damit stieg ich rasch ein, ohne auf seine Hilfe zu warten, und er folgte mir schweigend. Seine Miene war still und traurig, er vermied es, mich anzusehen, stumm half er mir das Segel aufrichten und nahm dann am Steuer Platz, während ich am anderen Ende des schmalen Bootes die Segelschnur Hielt. So trieb uns ein frischer Wind in die glatte See hinaus, die so still war, daß wir nichts als das gleichmäßige Rauschen des Wassers an unserem Kiel vernahmen und hin und wieder den heiseren Schrei einer Möwe, die über unseren Köpfen hinstrich.

Mir war sehr glücklich zumute. So von der starken Brise fortgetrieben Zu werden in der goldensten Sonne, einem unbekannten Ziel entgegen, und in der kleinen Nußschale das mit mir zu nehmen, was mir von allem Besitz an Erden­gütern das teuerste, ja das einzig wertvolle war, mich der Illusion hinzugeben, das werde ewig so fortgehen, bis wir an einer Insel der Seligen landeten und von einer Rück­kehr in die hoffnungslose Wirklichkeit nie die Rede sein könne es bedarf nicht Ihrer Dichterphantasie dazu, um zu verstehen, daß eine Art Rausch mich überkam, der mich auch über meinen Vorsatz, es zu einer Aussprache zu bringen, hinaushob.

Da das Segel zwischen uns sich blähte, konnte ich auch nicht sehen, ob sein Gesicht eine ähnliche Stimmung verriet. Darum erschrak ich heftig, als ich ihn plötzlich mit stockendem Ton sagen hörte: Wissen Sie auch, liebes Fräulein, daß

das unsere letzte gemeinsame Fahrt sein muß?

Mir schlug das Herz so gewaltsam, daß ich kein Wort Hervorbringen konnte. Erst als ich mich mühsam gesammeli hatte, sagte ich: Sie wollen abreisen? Schon so bald?

Nein, hörte ich ihn erwidern, immer ohne ihn Zu sehen, wir müssen noch bleiben, solange das Wetter es erlaubt, Annies wegen. Aber die Freude, mit Ihnen zu verkehren, werde ich mir versagen müssen.

Er hatte offenbar Mühe, den Grund offen herauszusagen. Erst nachdem er wieder Mut und Atem geschöpft hatte, fuhr er fort. Schon seit längerer Zeit habe die Kranke sich darüber beklagt, daß er sie über den langen Fahrten und Gängen mit mir vernachlässige, heut aber sei es zu einem so heftigen Ausbruch ihrer Eifersucht gekommen, daß er ernstlich für ihre ohnehin nur langsame Genesung fürchten müsse, wenn solche Szenen sich wiederholten.

Als ich schwieg, nicht eben überrascht, sondern mehr, weil ich schon vorher mir hatte sagen müssen, daß hierauf nichts zu erwidern sei, schien er zu glauben, daß er mich verletzt habe. Um mich zu begütigen, brach nun alles aus ihm

heraus, was er bisher sich wohl nur dunkel eingestanden hatte:

wie teuer ich ihm geworden, daß er nie ein weibliches Wesen gefunden, dessen teilnehmende Nähe ihn so beglücke, vor dem er sein ganzes Inneres aufschließen möchte und auf dessen Umgang zu verzichten ihm wie ein Lebensverzicht erscheine. Und doch er habe andere Pflichten in die er sich ver­strickt habe, er wisse nicht wie, die ihm aber heilig sein

müßten, zumal Tod und Leben der armen Kranken daran hänge. Und deshalb wage er mich zu bitten ...

Ich ließ ihn nicht ausreden. Das Glück, das dies Geständnis für mich einschloß, bestürmte mich mit solcher Gewalt, daß ich an nichts anderes denken konnte, als es fest­zuhalten um jeden Preis.

Nein, mein Freund, sagte ich, bitten Sie mich nicht. Ich kann es Ihnen nicht gewähren, kann nicht fortreisen und Sie hier zurücklassen. Alles, was Sie mir von Ihrem Gefühl für mich gesagt haben, lebt auch in mir. Ich habe nie einen Mann gefunden, der mir so teuer gewesen wäre. Mich nun von ihm trennen, mich ohne ihn in meinem ein­samen Leben behelfen zu sollen eine Verpflichtung dazu erkenne ich nicht an. Ich mache keine übergroßen Ansprüche an das Glück. Wenn Sie sagen, daß Sie Ihrer Braut nicht abtrünnig werden können, so muß ich das hinnehmen. Aber neben Ihnen zu leben, mich Ihres Daseins Zu freuen und im stillen auch ein wenig stolz darauf zu sein, daß ich Ihnen nicht gleichgültig bin, das ist denn doch eine bescheidene Zukunftshoffnung, während eine Andere Sie ganz besitzen wird, die nicht mehr Ansprüche daran hat als ich, und nur ein übereiltes Wort von Ihnen dafür anführen kann.

Ich weiß nicht, was ich noch alles in diesem Sinne sagte. Er ließ mich ausreden und kämpfte offenbar, auch nachdem ich verstummt war, mit seiner Erregung. Plötzlich hörte ich ihn, immer durch das Segel gedeckt, wie zu sich selber sagen: Wissen Sie denn auch, daß das alles Unsinn ist? Daß ich zugrunde gehe, wenn ich Sie noch länger sehen muß, ohne jede Hoffnung, Sie zu besitzen?

Es überrieselte mich heiß und kalt bei diesen Worten. Ich erhob mich und ließ die Segelschnur fahren, so daß die Leinwand zur Seite schlug und wir uns ins Auge sehen konnten.

Wenn es so steht, sagte ich, so ist vollends an keine Trennung zu denken. So müssen wir fürs Leben zusammen­bleiben.

Sie schwieg, und ich sah, wie bei der Erinnerung an diesen verhängnisvollen Augenblick alles Blut ihr zum Herzen geströmt war. Denn ihr Gesicht war tief erblaßt, sie atmete mühsam, und erst nach einer Weile konnte sie weitersprechen.

Was werden Sie von mir denken! Freilich, das Glück macht egoistisch und grausam, zumal einen Menschen, dem es