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Erschüttert aber schauen wir auf ein Stückchen Klöppelspitze (s. Abb. 9). Eine 81jährige Frau arbeitet an 5^ Metern 360 Stunden und bekommt dafür sechs Mark. In der Stunde verdient diese Frau IZ /2 Pfennig. Eüu junge, kräftige Arbeiterin würde das Doppelte verdienen; und doch gehen von diesem Lohn noch 50 Pfennig für Auslagen ab.
Immer wieder drängen sich uns die Fragen auf: Wie ist hier Zu helfen? Wie kann die schreckliche Lage dieser Ärmsten
gebessert werden? Auf keine dieser Fragen will dieser kleine Beitrag Antwort geben. Er will allein, gleich der Ausstellung selbst, das Elend unserer deutschen Heimarbeit in einem anschaulichen Bilde zeigen, damit ein jeder es verstehen lerne, daß hier durchgreifende und nachhaltige Hilfe dringend vonnöten ist. Über die Wege aber, die eine solche Hilfe wandeln muß, soll zu den Lesern schon in nächster Zeit ein anderer Beitrag aus besonders berufener Feder sprechen.
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Keinrrch Keine. (Mit dem nebenstehenden Bildnis.) Fünfzig Jahre sind jetzt verflossen seit dem Tode des vielbewunderten und vielgescholteneu Liedersängers, des Pariser Aristophanes, und noch immer wird seine Bedeutung für unsere Nationalliteratur von erbitterten Gegnern bestritten, die mit begeisterten Anhängern im Kampfe liegen. Kaum gibt es einen deutschen Salon, in dein nicht am Klavier feine Lieder gesungen werden, zu denen namhafte Tousetzer so herrliche Weisen gefunden. Und doch gilt er nicht für einen volkstümlichen Liederdichter, und gefeierte Historiker wie Treitschke machen ihm den Vorwurf, daß er kein Trinklied gedichtet, als fei dies ein undeutscher Zug seines Wesens. Und wie steht es mit dem Standbild in Erz oder Marmor, das die deutsche Nation einem so hochbegabten Dichter errichten sollte? Die Gemeinde seiner Vaterstadt am Rhein lehnt es ab, ihm ein Denkmal zu setzen; der Pariser Spötter soll nicht auf heimischer Erde verewigt werden; die Weltstadt New Jork jenseit des Ozeans hat sich des deutschen Dichters erinnert, doch sein Denkmal in einem verlorenen Winkel ausgestellt, wo es der Reisende nach langem mühseligen Suchen endlich aufspürt. Ganz anders das schöne Denkmal an den griechischen Mceren, das Österreichs unglückliche Kaiserin ihrem Liebling errichtet hat und das dort im Jnselpark von der Sonne Homers beleuchtet wird. Ich muß des armen Dulders gedenken, den ich im Jahre des Staatsstreichs 1851 so oft in der Rue ^Amsterdam in Paris besuchte. Hinter der spanischen Wand ein von mitleidiger Dämmerung wenig erhelltes Jammerbild, Klagen über schlummerlose Nächte und entsetzliche Schmerzen, dazwischen zündende Witzworte — das war der Heine des Romanzero, der Lamentationen und Zynismen, der Heine der Krankenstube, der sein Bild im Marmorsarkophage sah, an dem die Passionsblume einer späten Liebe aufblühte. Das freilich war nach der Zeit meiner Besuche, und der schwerkranke Dichter konnte später noch die unvergänglich schönen Verse dichten:
„Was wir gesprochen, frag' es niemals mich.
Den Glühwurm frag', was er dem Grase glimmen,
> Die Welle frage, was sie rauscht dem Bach,
Den Westwind frage, was er weht und wimmert!
Frag', was er strahlet, den Karfunkelstein,
Frag', was sie duften, Nachtviol' und Rosen,
Doch frage nie, wovon im Mondenschein Die Marterblume und ihr Toter kosen!"
Vielleicht sind fünfzig Jahre eine zu kurze Frist, um den Kampf der Geister über die Bedeutung eines Dichters zu schlichten; vielleicht werden hundert Jahre dazu gehören; doch schon vor solcher Säkularfeier wird ein unbefangenes Urteil, nicht durch der Parteien Haß und Gunst verwirrt, feststetlen können, daß dem Dichter Heinrich Heine in der Geschichte unserer Nationalliteratur eine hervorragende Stelle gebührt. Er hat keine größeren dramatischen und epischen Kunstwerke geschaffen: auf diesem Gebiet ist er nicht über die Studie und den Torso hinausgekommen; aber er ist ein Liederdichter ersten Ranges von einer unnachahmlichen Eigenart, er ist in Vers und Prosa ein Satiriker voll schlagendem Witz und zündenden Funken; er ist der Vater des neueil Feuilletons, das seit mehr als fünfzig Jahren in seinen Bahnen wandelt; er hat Schule gemacht wie kein zweiter Dichter der Neuzeit, mögen immerhin seine Verfehlungen bei seinen Nachfolgern zu einem großen Sündenregister angewachsen sein. Einst sang er im Buche der Lieder:
„Und nennt man die besten Namen,
So wird auch der meine genannt."
Und so ist es geblieben, auch jetzt noch, fünfzig Jahre nach seinem Tode. Er ist ein Dichter, auf den wir Deutsthen stolz sein können — und es ist kein zerknitterter Lorbeerkranz, den wir heute auf sein Grab legen.
Rudolf von Gottschall.
Krnket-Aenkmal. (Zu der Abbildung auf S. 155.) Am 29. Juni wird in Oberkassel bei Bonn a. Rhein die feierliche Enthüllung des Kinkel-Denkmals stattfinden, und somit endlich einer Dankespflicht Genüge getan, die auf vielen der Besten unseres Volkes seit lange lastete. Mag man über den Politiker Kinkel denken wie man mag, der Mensch Gottfried,, Kinkel hat für das, was seine heiligste Überzeugung war, zu leben und zu leiden gewußt — rühmlicher als manch einer seiner Sanges- und Freiheitsfreunde — und er ist ein durch und durch deutscher Dichter und der vornehmste, begeistertste Herold des deutschen Rheines gewesen. Im Januar 1904 erging der Aufrus zur Errichtung eines Denkmals für Gottfried Kinkel an das deutsche Volk, auch die „Gartenlaube" ist mit beredten Worten für die gute Sache einge- treten, und heute schon ist das Denkmal vollendet, ein Beweis dafür, welch begeisterten Widerhall der Aufruf in allen Kreisen, bei allen Parteien gefunden hat! Auch die preußische Regierung, die Universität Born:, die Vertretungen vieler rheinischer Städte, das deutsche Athenäum usw. haben das Unternehmen sympathisch begrüßt und gefördert, und der 1905 verstorbene Grafregent Ernst zur Lippe-Biesterfeld hat in hochherziger Weise den Platz für das Denkmal zur Verfügung gestellt. Da wird nun der Dichter des „Otto der Schütz" hinabjchauen ans den geliebten Strom, auf das blühende, fröhliche Rheinland, als das schönste Dichterdenkmal, das am „heiligen Strome" Aufstellung gefunden hat. Der Düsseldorfer Bildhauer Gustav Nutz, der aus dem Wettbewerb erster Künstler siegreich hervorgegangen war, hat es geschaffen. Auf einer Plattform, zu der zwei Stufen hinaufführen, steht der Sockel, in dessen vordere Füllung die Inschrift: „Dem rheinischen Dichter Gottfried Kinkel das deutsche Volk 1906" eingegraben ist. Die linke Seitenfüllung bringt den Altvater Rhein, die rechte die Sieg, „das trotzige Mädel", und die Rückseite zeigt vor dem Schloß zu Cleve die Szene, in der Otto der Schütz aus Elsbeths Hand den Preis empfängt. Machtvoll erhebt sich auf dein Sockel die Säule mit dem ionischen Kapitäl, die — wie unsere Abbildung zeigt — die vortreffliche Bronzebüste Kinkels irr anderthalbfacher Lebensgröße trägt. Und innig, wie sw im Leben vereint, zeigt auch das Denkmal die Gattin Gottfrieds, Johanna Kinkel, deren Nelief- bildnis ein Jmmortellenkranz umschlingt. Sinnig hat man den 29. Juni zum Tag der Denkmalsenthüllung gewählt, ist es doch der Stistungs- tag des vorn Ehepaar Kinkel ins Leben gerufenen „Maikäserbuudes", der so bedeutsam war für die Geschichte unserer Literatur.
Are Androiden non ZaqueL Droz. Wir erhallen zu diesem Artikel folgende Zeilen: „In dem Hest Nr. 51 der -Gartenlaube^
(1905) ist ein Artikel über die Androiden von Jaquet Droz, von Franz M. Feldhaus erschienen, welcher u. a. folgende Sätze errthält: -Trotz jahrelanger Studien gelang es den: jüngeren Martin nicht, des Erbes seines Vaters dauernd Herr zu werden. So gingen diese Kunstwerke, die ja wahrlich verhext scheinen, wie die Inquisition annahm, im vergangenen Jahre in den Besitz der Marfelsschen Uhreu- sammlung in Berlin über? Diese Ausführungen sind dahin zu berichtigen, daß ich nicht jahrelanger Studien zum Beherrschen des Erbes meines Vaters benötigt habe, sondern nur einen Zeitraum von 111 Jahr. Diese kurze Studienzeit genügte mir, um die Mechanismen perfekt, daher auch dauernd beherrschen zu können, was ich durch verschiedene öffentliche Vorführungen der Androiden beweisen kann. Der