der gefühlsmäßigen Seite (Effi Briest) bis zur extrem praktischen Überlegenheit (Mathilde Möhring). Und schließlich: „Im ,Stechlin‘ wird die Frauenthematik, die so viele Romane Fontanes beherrscht, zurückgenommen und in ein neues Thema an wichtigster Stelle eingefügt; die Darstellung der Frauen wird zur Aussage in der Auseinandersetzung von alt und neu... “ (S. 97). Dabei ist die Autorin bemüht, die Meinungen besonders Reuters und Martinis mit sehr konkreten Beobachtungen am Text, auch immer wieder mit Briefzitaten zu untermauern. Sehr deutlich wird dieses Verfahren, das dem Leser eine Vielzahl von Fakten und eine von mehreren möglichen Lesarten anbietet, im Aufsatz „Die Bedeutung des Gesprächs ... “ — am Beispiel des ausführlich zitierten Eingangskapitels aus „Schach von Wuthenow“ werden die verschiedenen Funktionen der Gespräche erörtert: sie haben als Ersatz für erzählende Passagen, für Beschreibungen zu dienen; sie ermöglichen eine Selbstcharakterisierung der sprechenden Personen, und wohl wichtigste Aufgabe ist es, Äußerungen, die den Anspruch auf Wahrheit erheben, immer wieder relativieren zu können. Die Autorin vergleicht ferner eine Passage aus „Irrungen, Wirrungen“ mit einer inhaltlich fast identischen Briefstelle, um zu zeigen, daß Fontanes Vorwurf gegen Gottfried Keller, alle dessen Personen würden im Keller-Ton reden, gegen Fontane selbst gerichtet werden kann — eine Behauptung, die durch ein Thomas-Mann-Zitat gestützt wird. Auch die Differenz zwischen mit vielem Gespräch bedachten Nebensächlichkeiten und dem Hinweggleiten über elementare Ereignisse wie Liebe und Tod verdeutlicht die Autorin an mehreren Beispielen.
Wie schon erwähnt, benutzt die Autorin oft Briefzitate, um Fakten zu vermitteln oder auch, um bestimmte Sichtweisen zu verdeutlichen — sie wird jedoch insgesamt dem Briefschreiber Fontane keinesfalls gerecht. Und hier müssen die Konzeption des Buches betreffende Fragen, auch Zweifel angemeldet werden: was für ein „großer Klassiker“ wird dem Leser präsentiert? In den 4 Aufsätzen werden ausführlich die Romane und Erzählungen, auch einige Balladen behandelt. Entsprechend wurde die Textauswahl getroffen, wobei außerdem 7 Kritiken berücksichtigt wurden. Doch in diesem umfangreichen Teil des Buches, der Fontane-Texte repräsentiert, fnden sich weder ein einziger Brief noch ein Kapitel aus den „Wanderungen“ (und in den Aufsätzen lediglich der Hinweis auf die „Wanderungen“ als „Steinbruch“ für die Romane — dabei zeigt doch der Einband gerade das übrigens seitenverkehrte Porträt des 55jährigen Fontane, also des Wanderers!) — nichts aus den autobiographischen Schriften, nichts aus den Reisebüchern, nichts an Lyrik außer den 4 Balladen ...
Nun soll hier nicht über den Begriff „Klassiker“ gestritten werden - obwohl der auch heute einen Streit wert wäre — doch die getroffene Auswahl birgt eine Gefahr, die schon vor Jahren als Gefahr der Einengung beschrieben wurde.
Dabei soll nicht übersehen werden, daß die ausgewählten Texte so mit Kommentaren versehen sind, daß ein Zugang zu ihnen wirklich erleichtert wird. Unter „Texte“ sind zuerst die Balladen „Gorm Grymme“, „Archibald Douglas“, „Die Brück am Tay“ und „John Maynard“ zu finden. Gleich
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