Heft 
(1906) 09
Seite
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Bemerkung in Anspruch nimmt, um auf sein Fiasko erneut hin­zuweisen, so kann ich persönlich dazu nur bemerken: es ist sein verbrieftes Menschenrecht, sich darüber zu ärgern. Freilich, diesem Ärger in dunkelen Anspielungen Luft zu machen, die den Charakter einer persönlichen Injurie bedenklich streifen, das ist eine Geschmackssache, die ich lediglich dem Urteil- dieses Hauses unterbreite. (Unruhe. Hört, hört!) Präsident: Herr Abgeordneter, Sie dürfen, auch in dieser einschränkenden Form, einem Mitglied dieses Hauses nicht vorwersen, daß es die Ab­sicht gehabt habe, Sie persönlich zu beleidigen. Abgeordneter Doktor Gernot: Dann formuliere ich meine persönliche Bemerkung noch präziser. In den Worten des Herrn Abgeordneten Sczuls erblicke ich nichts anderes als eine Feigheit. . . (Unruhe, Zu­rufe.) Jawohl, die Feigheit, unter dem Schutz der Rede­freiheit Dinge versteckt anzudeuten, die außerhalb dieses Hauses zu wiederholen er sich wohl hüten würde. (Starke Unruhe, Glocke des Präsidenten, Abgeordneter Doktor Gernot wird zur Ordnung gerufen.)"

Immer angstvoller glitt Astas Blick über das Zeitungs­blatt. Sie sah sich plötzlich um. Ihr war, als hätte sie sich selbst sprechen hören. Es erfüllte sie die Sorge, Sabine könnte dazukommen, ihre Aufregung gewahr werden und nach der Ursache forschen.

Das ist ja- eine Infamie! So ging ihr's durch den Sinn, während sie den Bogen, der den Schluß des Berichts enthielt, hastig zusammenfaltete.

Aber ungeduldig schlug sie das Blatt dann wieder aus, mit halber Aufmerksamkeit sich zugleich der Tür zuwendend, um Sabinens Kommen sofort wahrzunehmen.

Die Druckzeilen tanzten ihr vor den Augen. Sie hatte die Selbstbeherrschung nicht mehr, der Reihe nach dem Bericht zu folgen. Sie bemerkte aber noch, daß in den nächsten beiden Absätzen von dem fremden Abgeordneten aufeine enge Verbindung zwischen Doktor Gernot und einer Gruppe von Sportsleuten" angespielt war,deren dunkeles Vorleben sie nicht gerade als empfehlenswerte Sachverständige in staat­lichen Angelegenheiten" erscheinen ließe.

Das ging auf sie auf ihren Namen zweifellos!

Sie fieberte, sie zitterte. Ihr Blick überflog die letzten paar Sätze.

Unter dem Protest der Mehrheit des Hauses mußte der Abgeordnete Sczuls abbrechen. Der Präsident erklärte, daß der Redner den Rahmen einer persönlichen Bemerkung überschritten und mit dem Hereinziehen privater Beziehungen eines anderen Mitgliedes des Hauses die gute parlamentarische Sitte gröblich verletzt hätte. Er rief ihn daher nachträglich zur Ordnung."

Damit endete der Zeitungsbericht.

Asta befand sich in grenzenloser Aufregung. Sie durch­blätterte mit ihren plötzlich feucht gewordenen Fingern die ganze Nummer, um festzustellen, ob sonst noch an irgend einer Stelle auf die scharfe Auseinandersetzung zwischen den beiden Abgeordneten Bezug genommen war. Nirgends befand sich ein Wort darüber.

Hielt rnan den Ausfall des cholerischen Abgeordneten bloß für zu geschmacklos, als daß man ausführlicher davon Notiz nehmen wollte oder wartete man erst noch weitere Ent­hüllungen ab?

Was mochte Gernot tun? Durfte er das unwidersprochen lassen? Der ihm aus parteipolitischen Gründen feindlich ge­sinnte Teil der Presse würde sich ja nun der Angelegenheit zweifellos sofort bemächtigen und sie nach Kräften breittreten, wenn er nicht das geeignete Mittel fand, um den Gegner zum Schweigen zu bringen.

Asta hielt noch immer das Zeitungsblatt krampfhaft in Händen. Es war schon stark zerknittert. Wieder las sie, dann lachte sie zornig auf, riß das Blatt in Fetzen und verbarg die Stücke. Erschöpft schlug sie schließlich die Hände gegen die Stirn.

Daß über sie geklatscht wurde, war ihr nichts Neues. Zumeist war es die Scheelsucht anderer Damen gewesen, die

ihre Talente beneideten, die sich ärgerten, trotz größerer Mittel neben ihrer glänzenden Erscheinung nicht aufzukommen. Die einen hatten herausgebracht, daß sie stark verschuldet war, daß sie und ihr Vater weit über ihre Verhältnisse hinaus lebten, die anderen hatten ab und zu sogar dunkele Anspielungen aus­gestreut: man wüßte sich die Quelle ihres großen Aufwands nicht auf gute Art zu erklären.

Hier Zog sie nun ein politischer Gegner ihres Freundes in die Debatte, ein Mann, der sie gar nicht kannte, den sie nie von Angesicht gesehen hatte. Auf welchem Umweg mochte er über die Beziehungen unterrichtet worden sein, die zwischen ihr und dem Hause Gernot bestanden? Und welch tieferes Interesse besaß er daran, auf den peinlichen Vorfall an­zuspielen, der den Namen des Freiherrn von Gamp - und gleichzeitig auch ihren Vatersnamen für so lange Zeit unmöglich gemacht hatte? Nur seine boshafte Absicht lag ihr offen zutage: er wollte seinen Gegner, dem er sachlich und rednerisch nicht gewachsen war, um jeden Preis lächerlich machen, und er suchte ihm gleichzeitig unterzuschieben, daß er im Reichstag die Auffassung von Kreisen verträte, die in der öffentlichen Meinung längst gerichtet wären.

Gewaltsam suchte sie sich zu beherrschen, als sie jetzt Sabine kommen hörte. Aber sie empfand, daß ihr Teint asch­grau geworden war. Und ihre Finger waren eiskalt auf ihrer Stirn fühlte sie einen leichten Angstschweiß.

. . . Wenn Theo das läse . . . Sie fuhr bei dieser Vor­stellung so stark zusammen, daß sie meinte, Sabine müßte argwöhnisch werden.

Aber Sabine kam to strahlend und herzensheiter an den Frühstückstisch, mit einem gewissen heimlichen Jubel, der jedes ihrer Begrüßungsworte schwingen machte, so daß in ihrer Brust für irgend etwas Dunkles, Trübes gar kein Platz zu sein schien.

Es war ein ganz herrlicher Morgen. Sabine hatte gut ausgeschlafen, sie hatte sich im Halbwachen Hindämmmern vor dem Aufstehen die gestrige stimmungsvolle Aussprache mit Heinrich von Wyschnewski wieder und wieder überlegt. Und in ihrem glückseligen Traum verweilte sie dann, die Augen schließend, den Kopf über die im Nacken geschlossenen Hände Zurückbeugend, ausführlich bei dem langen Kuß, durch den der junge Seemann von ihr Besitz ergriffen hatte.

Ja, jetzt wußte sie, wie lieb sie ihn hatte!

Und ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihre Hoffnungen be­gleiteten ihn, während sie aufstand, während sie mit besonderer Sorgfalt, besonderem Behagen Toilette machte.

Heute, spätestens morgen ließ er sich bei ihrem Papa melden, um in aller Form nur ihre Hand anzuhalten! Binnen zweimal vierundzwanzig Stunden hatte sie dann also bestimmt von beiden Nachricht! Ein junges seliges Lächeln huschte über ihre Züge, während sie frisch, angeregt, mit etwas ge­röteten Wangen in ihrem allerliebsten neuen Kimono das Zimmer verließ, um zu Asta zu stoßen.

In Gedanken sagte sie den Namen des jungen Seeoffiziers vor sich hin. Aber sie nannte ihn so, wie er zu Hause früher geheißen hatte: Heini! Heini fand sie viel, viel hübscher als Heinrich.

Lachend meldete sie sich draußen in der Sonne auf der Terrasse.Ach, ist es himmlisch heute!" rief sie aus, ihren Blick von der Terrasse zum Schloß, dann über den im jungen Grün stehenden Buchberg schweifen lassend.Ist Nachricht von Papa da?"

Nein, aus Berlin nichts!" gab Asta Zurück.Aber hier ..."

Sabine betrachtete die paar Zeilen von Wyschnewski lange, fast voller Zärtlichkeit. Aber sie fühlte eine Verstimmung ihrer Freundin, die ihr leid tat. Ihr Glück duldete heute keine Störung. Sie sprang daher plötzlich auf Asta zu, umarmte sie und preßte ihr Gesicht gegen ihren Hals, sie mehrmals ab küssend.

Sei gut zu mir, Asta!" flüsterte sie.