Heft 
(1906) 09
Seite
179
Einzelbild herunterladen

Was - hast du?" fragte Asta schluckend.

Ich bin so furchtbar glücklich, Asta!"

Ein paar Sekunden hielten sie so beieinander. Und plötzlich begannen sie alle beide zu schluchzen, auch Asta, deren überstarke Spannung sich ungewollt löste, ohne daß sie dagegen ankämpfen konnte.

Aber Sabine genierte sich dann. Sie zwang sich zum Lachen, neckte Asta wegen der plötzlichen, ganz unvermittelten Sentimentalität, und als sie sich hernach behaglich zum Tee niederließ, trug sie die Kosten der Unterhaltung allein.

Du mußt nichts sagen, Asta!" bat sie einmal mitten in ihrem Geplauder.Nein, nein, gar nicht darüber sprechen! Hörst du?"

Worüber sie nicht sprechen sollte, das kam nicht zum Ausdruck.

Die selige Stimmung hielt bei ihr den ganzen Tag an, auch noch den nächsten Morgen, der wiederum einen Karten grüß von Wyschnewski brachte: in dem Augenblick aufgegeben, da er Montag früh zum Dienst gegangen war.

Sonst lag noch keine weitere Nachricht aus Berlin vor. Auch kein Gruß von ihren: Vater. Vielleicht war das aber ein ganz gutes Zeichen. Gewiß zog ihr Papa erst noch Erkundigungen ein und erledigte die Vorfragen mit Heinis Verwandten, bevor er sich zu ihr darüber aussprach. Aber im Lauf des Tages sank ihre Siegessicherheit dann doch ein wenig herab.

Ernstliche Besorgnisse stiegen in ihr auf, als auch der nächste Morgen noch keine Entscheidung brachte. Und diesmal fehlte sogar der Ansichtskartengruß Wyschnewskis.

Du weißt es bestimmt, Asta, daß nichts für mich mit gekommen ist?" fragte sie stark enttäuscht.

Asta versicherte es noch einmal.

Sie wußte es deshalb so bestimmt, weil sie in diesen Tagen jeden Morgen frühzeitig auf der breiten Chaussee bis zu dem Weg, der zun: Bahnhof hinunterführte, spazieren zu gehen pflegte, um den Postboten abzufangen. Es erschien ihr nämlich geboten, die Zeitung durchzufliegen, ohne daß Sabine dabei war. Und außerdem erwartete sie voller Ungeduld Ant wort auf ein Schreiben, das sie nach der Lektüre des Montag - abendblattes nach Frankfurt gerichtet hatte: an Theo!

Es war ihr ja völlig klar, daß der Skandal von dem fremden Abgeordneten nur hervorgerufen war,' um Gernot po­litisch zu schädigen. Aber die breite Erörterung der Angelegen­heit in der Zeitung konnte jede Sekunde Theo vor Augen kommen. Und für diesen Fall mußte sie sich wappnen. Sie hatte ihm also ausführlich geschrieben.

. . . Du hast jetzt mein Schicksal in der Hand, Theo," lautete der Schluß ihres Briefes.Könntest Du heute zu mir sagen: komm! ich würde mich keinen Augenblick besinnen. Aber das geht ja nicht es geht ja nicht! Und ins Elend willst Du mich doch nicht stoßen, nicht wahr? Also flehe ich Dich an: laß mir wenigstens diese Möglichkeit, mit Ehren durchs Dasein zu kommen, die sich mir jetzt geboten hat. Es ist eine äußerlich glänzende Partie, das ist wahr. Wie sich mein Leben innerlich gestalten wird, das weiß ich nicht. Denn was Du wieder in mir geweckt hast . . . Ach, Theo, ein Wort von Dir kann alles, alles zertrümmern, auch das letzte Restchen Glück, das mir geblieben ist. Wie bang ich in

die Zukunft sehe! Nun, handle so, wie Dir s gut und recht erscheint. Aber das eine weiß ich ja doch: solange noch

ein Fünkchen Liebe für mich in Deiner Brust glimmt, tust Du nichts, was mich vor der Welt bloßstellen könnte. Gib mir nur sogleich ein Lebenszeichen, denn ich vergehe vor Angst und Aufregung!"

Er hatte ihr darauf verzweifelt geantwortet, ganz verzweifelt und niedergeschmettert. Von den Zeitungsberichten hatte er noch keine Kenntnis gehabt, weil die Arbeit ihn: von früh bis spät zu schaffen machte. Er drang in sie, mit ihrer Ver­lobung noch zu warten, ihm wenigstens noch eine letzte kurze

Enst der Hoffnung zu geben. Beschwichtigend, aufs neue be­

schwörend, mit vielen guten, zärtlichen Worten, hatte sie ihm noch einmal geschrieben: es gab ja keine Wahl mehr für sie!

Und nun hielt sie endlich seine Antwort in Händen. Diese erlöste sie wenigstens aus der allergrößten Oual der Ungewißheit:

Du sollst keine Angst haben, Asta. Ich störe also Deine Kreise nicht. Werde auch, wenn ich gefragt werde, überhaupt nicht verraten, daß wir uns wiedergesehen haben. Ein Palais am Kursürstendamm kann ich Dir ja nicht bieten, also trete ich mit Deinen: Bewerber nicht in Konkurrenz. Du brauchst eben ein Reitpferd, brauchst Brillanten und Pariser Modelle, kleine Asta. Ich weiß es. Ich hatte an den: Sonntag da­mals, wo wir an der Havel hinschlenderten, die Hoffnung, ich würd's doch noch 'mal in: Leben dahin bringen, Dir alles das bieten zu können, was so ein Paradiesvogel wie Du zu seiner Seligkeit braucht. Der Traun: ist nun ausgeträumt. Werde glücklich, Asta. Schimpfen sie alle über mich, und bringen 's das Reitpferd, die Brillanten und der Kursürstendamm so mit sich, daß Du mit einstimmen mußt, dann vergiß nur nicht in einen: verstohlenen Winkel Deines Rätselherzens, Asta: ich Hab' sie alle für Dich gemacht, die Dummheiten, die mich schließlich bis nach Bombay hinaus gepeitscht haben. Und gern und un bedenklich würd' ich sie heute noch einmal machen, falls Du's wünschtest, Asta, so wie damals. - Dein Peter in der Fremde, genannt Pechvogel Theo, z. Zt. Leichenprokurator seiner- letzten kühnen Hoffnungen, Exverwalter des Schlosses in: Monde."

Es war bitter, bitter, bitter, was er ihr da sagte und wie er's sagte. Aber es war nicht Trotz gegen ihn, was sie zwang, die Zähne aufeinanderzubeißen: ein Weinen war's, das sie gewaltsam hinunterzuschlucken sich bemühte.

Der arme Kerl der arme Kerl! sagte sie zu sich. Und gleichzeitig bemitleidete sie sich selbst.

Das Schweigen dieses und des folgenden Tages war für Asta und Sabine gleich unerträglich. Beide standen sie Ängste aus, ohne daß doch eines den: anderen sich offenbaren wollte oder konnte.

Sabine war es zur Gewißheit geworden: es hatte sich irgend ein schweres Hindernis ergeben, das die Erfüllung ihrer Hoffnungen in weitere Ferne rückte wenn nicht sie ver­nichtete. Sonst hätte sie doch irgend eine Nachricht aus Berlin erhalten.

Ich kann mir's nicht erklären, daß so gar niemand an uns schreibt," sagte sie beklommen.

Asta wagte es kann: mehr, dem jungen Mädchen ins Auge zu sehen. Sie war schon ganz matt von der fortgesetzten Er­regung. Nur mit Aufbietung aller möglichen Versuche zur Ablenkung hatte sie Sabine verhindert, nach der Zeitung zu forschen, aus der sie sich unterrichten wollte, ob ihr Vater be sonders stark in Anspruch genommen wäre. Sie mußte ihr vortäuschen, daß sie das Schweigen für gar nicht weiter be unruhigend hielte. Und verging dabei doch vor innerer Unrast.

Komunsfionssitzungen, tausend Geschäfte halten deinen Papa ab, an uns zu schreiben," vertröstete sie Sabine.Wir dürfen's ihn: nicht noch schwerer machen."

Ich habe gestern bei ihn: angefragt, warum wir keine Nachricht von ihm hätten. Ist auch morgen früh kein Brief von ihm da, dann müssen wir telegraphieren."

Asta wußte selbst nicht, ob sie Nachricht wünschen sollte. Ja, gewiß," sagte sie mechanisch,morgen früh telegraphieren wir." Ein fröstlicher Schauer ging über sie hin. Die Gewiß­heit, daß in diesen Tagen in Berlin ihr Schicksal entschieden wurde, ohne daß sie auch nur eine:: Finger rühren konnte, un: daran mitzugestalten, machte sie ganz krank, ganz elend.

Im Laufe des Nachmittags erschien der Depeschenbote. Er brachte ein Telegramm für Sabine:

Ankunft Schwarzburg morgen mittag. Grüße. Papa."

Papa kommt selbst!" sagte Sabine, tief aufatmend.

Asta überlas die paar Worte. Noch eine lange, bange Nacht, ei:: endloser Morgen gespannten Harrens, dann wußte sie, woran sie war.