Heft 
(1906) 09
Seite
180
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Denn insgeheim mußte sie jetzt doch mit der Möglichkeit rechnen, daß Gernot die Beziehungen vielleicht lösen wollte, die ihn in eine so fatale Lage brachten.

Seltsam war es, höchst seltsam, daß die Depesche an Sabine gerichtet war und nicht an sie.

Sie war ganz unsicher geworden - vielleicht zu arg­wöhnisch so daß solche Kleinigkeiten sie nun schon aus dem Gleichgewicht brachten.

Sie harrte der Ankunft Gernots nicht wie der ihres Bräutigams, sondern wie der ihres Richters.

Gernot durchlebte eine zweite Jugend. Es ging eine Frische, eine Kraft von ihm aus wie in seinen besten Jahren. Nach den trüben Zeiten des Wittums und der Trauer ver­langte es ihn nach Licht und Freude. Astas reiche Zauber hatten ihn zu neuem Daseinsgenuß erweckt, hatten ihn verjüngt.

Tausend Dinge, die Asta fesselten, hatte es für ihn vordem in seiner sorgenreichen, alle Gedanken, alle Kräfte verzehrenden Berufsarbeit gar nicht gegeben. Auch die stille, ästhetisch feine, so ganz nach innen gerichtete Art seiner Frau war nicht die rechte Vermittlerin für das draußen pulsierende, ewig wechselnde, bunte Leben gewesen. Nun war es, als ob Astas heiterer, künstlerisch angeregter, immer beweglicher Sinn ihm viele Gebiete erst erschlösse. Durch ihr bloßes Dasein, durch ihre lebhaften Interessen, durch ihre Freude an all dem Schönen, womit sie sich und ihn zu umgeben wußte, beschenkte sie ihn täglich aufs neue.

Zum erstenmal bereitete ihm auch das Bewußtsein seines Besitzes, seines Vermögens eine wirkliche Befriedigung. Asta konnte sich über Aufmerksamkeiten von ihm so lebhaft und naiv freuen, daß jeder Einkauf, den er für sie und das neue Heim unternahm, ihm eine doppelte Genugtuung ge­währte. Sein Verständnis für Geschick und Geschmack kunst­gewerblicher Erzeugnisse, für den Wert seltener alter'Teppiche, für schöne Toiletten, gediegene Juwelier- und Goldschmiede­arbeiten hatte sich unter ihrem Einfluß rasch entwickelt. Der Schönheitssinn hatte lange in ihm nur geschlummert. Das zeigte sich jetzt, wo die Gelegenheit zur Entfaltung da war. Die leichte Koketterie, die Asta an den Tag legte, wenn sich's um Intimeres aus dem künftigen gemeinsamen Leben handelte, verfehlte ihren Reiz auf ihn natürlich auch nicht. Es lag ein verführerischer Zauber darin, in all dem Spitzengewirr, in den weichen Seiden, von denen er ab und zu bei der Auswahl etwas zu sehen bekam, sich den jungen, elastischen Körper der allerliebsten, blonden, schlanken Frau vorzustellen.

Die Verjüngung seines Wesens teilte sich auch vorteilhaft seiner Arbeitskraft im Berufe mit. Das Liebesidyll, das ihm diese zweite Jugend schuf, zerstreute ihn nicht, lenkte ihn nicht ab. Es war vielmehr wie ein neu erworbener geheimer Besitz, der ihm frische Schwungkraft für alles gab.

In den Kommissionssitzungen verblüffte er oft durch das rasche Tempo seiner Auffassungsfähigkeit. Spröde Themen, deren Bearbeitung er übernommen hatte, beherrschte er inner­halb erstaunlich kurzer Fristen. Sein Vortrag darüber war dann so klar, der Aufbau seiner Darstellung so zwingend logisch und die Art seiner Rede so quellfrisch, daß er auch totem, trockenem statistischen Material zum Leben verhalf.

Seine verschiedenen Reisen durch den Wahlkreis trugen mehr und mehr dazu bei, ihn populär zu machen. Es bereitete ihm selber Spaß, heute hier, morgen dort zu Redeabenden zu erscheinen. Er war frei von persönlicher Eitelkeit. Diese Fahrten galten ihm immer als Studien. Der praktische Erfolg davon zeigte sich aber meist bald darauf in den Plenarsitzungen des Reichstags. Wenn er auf der Rednerliste stand, konnten die Reichsboten eines anregenden Viertelstündchens gewiß sein. Er sprach im Namen keiner Partei, sondern wurde als Wilder" geführt. Niemals ließ sich im voraus so recht genau bestimmen, welchen Standpunkt er einer Vorlage gegenüber einnehmen würde. Im großen und ganzen vertrat er eine

großzügige nationale Politik nur daß er über die Wege, die zu ihrer Entfaltung einzuschlagen waren, mit den Ver­tretern der rechtsseitigen Gruppe oft in Fehde lag.

Jede verknöcherte Einseitigkeit war ihm ein Greuel. Darum hatten Leute wie Doktor Sczuls von ihm selten etwas Angenehmes zu erwarten. Sie mußten immer auf der Hut vor ihm sein. Auch in seiner improvisierten Sportrede am letzten Donnerstag es war mitten in der Debatte zur Tagesordnung gewesen hatte er nach verschiedenen Seiten hin, von denen eine kleinliche Obstruktion versucht wurde, unerwartet schneidige Hiebe ausgeteilt.

Die Lacher waren jedenfalls auf seiner Seite gewesen. Und er war der festen Überzeugung: auch das Recht. Denn er sprach nicht nur um des Brillantfeuerwerks willen, zu dem ihn seine Rednergaben befähigten.

Der persönliche Ausfall des Abgeordneten Doktor Sczuls in der Sonnabendsitzung hatte ihn zuerst mehr verblüfft als gekränkt. Diese Kampfweise stand so tief unter der seinen, daß er dafür gar keine Waffen zur Hand hatte. Er bedauerte hinterher, daß er sich von seinem Temperament hatte Hinreißen lassen, um dem Gegner die allerdings wohlverdiente Züchtigung zuteil werden zu lassen.

Am selben Tage war parlamentarischer Abend beim Reichs­kanzler. Er war so verstimmt, daß er anfangs schwankte, ob er sich in Gesellschaft zeigen sollte. Aber dann sagte er sich wieder, es könnte ihm als Schwäche ausgelegt werden, wenn er gerade heute fehlte.

Der Abend verlief auch ohne jede Störung für ihn. Es war niemand so taktlos, auf seinen kurzen Wortstreit mit dem Polen zurückzukommen, gar von ihm eine Auskunft darüber zu erbitten, worauf sein Gegner der erste und vielleicht einzige persönliche Gegner, den er hatte, wohl angespielt haben mochte. Er sprach wiederholt mit dem Fürsten, des längeren auch mit der glänzenden Hausfrau, die in ihrer gewinnenden Art die Honneurs machte. Die Fürstin hatte von dem Reitunfall seiner Tochter gehört und erkundigte sich teilnehmend nach deren Befinden. Er berichtete ihr über Sabinens Erholungsaufenthalt in Schwarzburg und erwähnte dabei nicht ohne Absicht, daß sie sich dort in der liebens­würdigen Gesellschaft einer guten Freundin des Hauses befände, der Baronin von Gamp. Ihrer Exzellenz war Asta gelegentlich auf einem Basar vorgestellt worden, und die Hausfrau hatte ein paar freundliche Worte für dieintelligente, talentvolle junge Frau".

Es war ihm dies, so harmlos der Vorgang an sich sein, mochte, eine kleine Genugtuung, schon deswegen, weil der junge Legationsrat von Tielernhorst-Trenklin, der steif und förmlich dabei stand, es mit anhörte. Gernot wußte, daß aus der Familie Wpschnewski eine gewisse Opposition gegen Asta planmäßig betrieben wurde. Auffälligerweise gerade von dort. Der einzige ihm sympathische Vertreter des Kreises, der Marine­leutnant, beteiligte sich an diesem Ouertreiben nämlich ganz und gar nicht, er hatte im Gegenteil bisher jede Gelegenheit wahrgenommen, um sich ihm aufs freundschaftlichste zu nähern. Daß für den jungen Seemann Sabine den Hauptanziehungs­punkt des Hauses am Kurfürstendamm ausgemacht hatte, war ihm natürlich längst kein Geheimnis mehr.

Gernot war nicht der Mann, der wie etwa Tielern­horst-Trenklin und andere die Stimmung der Gesellschaft durch Vorsichtiges Abwägen, durch diplomatische Erkundungs­gänge, durch Lauschen mit beiden Ohren nach zwei Gruppen zu erforschen sich die Mühe genommen hätte. Er stand über jedem Klatschbedürfnis und so nahm er auch gar nicht an, daß die taktlose Hereinzerrung seiner Privatangelegenheit in die Reihe derpersönlichen Bemerkungen" die Anwesenden heute abend besonders lebhaft beschäftigen könnte.

Der Klatsch ist aber in Großstädten und in Herrenrauch­zimmern genau so verbreitet wie in Kleinstädten und auf Damenkaffeeschlachten. Auch parlamentarische Bierabende bilden zuweilen den dankbaren Nährboden für pikante Gerüchte, die