Heft 
(1906) 15
Seite
310
Einzelbild herunterladen

810

Er hielt ein und sah den Buben lachend an.

Der aber sagte nichts. Er hatte zögernd seine Hand in die des fremden Mannes gelegt und blickte nun wie hilfe­suchend nach Herrn Gerold.

Na, Schorschel, also hör', was ich dir sag'!" begann der fremde Herr aufs neue.Also, ich bin der Onkel Crispi, frag nur den Hansl nach mir, der kennt mich schon! Oder die Sepherl was, Kleines, wir zwei sind gute Freunde?"

Zögernd sah Georg auf die beiden, denen die letzten Worte gegolten hatten. Sie standen neben ihn: und nickten ein wenig befangen.

Guten Tag, Herr Crispi," sagte Hans dann plötzlich.

Nun, Sephi, willst du nicht auch grüßen?" fragte Frau Gerold, während sie näher trat.

Guten Tag, Herr Crispi," klang jetzt auch die zarte Stimme des kleinen Mädels.

Auch später, als man an dein reich besetzten Tisch saß, dessen schönes Gedeck und dessen feines Eßzeug auf Georg starken Eindruck machten, war es in erster Linie Herr Crispi, der die Unterhaltung führte.

In seiner lebhaften Weise und mit einer absichtlichen Be­tonung des Wienerischen in Dialekt und Inhalt seiner Reden, wandte er sich bald an die Eltern von Hans, bald an die Kinder, hier ein kleines lustiges Erlebnis erzählend, dort eine Scherzfrage stellend. Und dabei blitzten seine Zähne unter dem schmalen, aufgedrehten Schnurrbärtchen, und seine Augen, die so dunkel waren, daß man die Pupille nicht unterscheiden konnte, stachen mit ihren: feuchten Glanze bald hierhin, bald dorthin.

Aber seltsam war es: bei all' dieser beweglichen Lustigkeit, die von den: Manne ausging, blieb es doch wie ein drückendes Gefühl auf allen anderen. Meist klang sein Lachen allein durch das Zimmer. Schweigsam und mit einem wehen, gequälten Zug um den Mund, der sich von Zeit zu Zeit verschärfte, daß man ihn füglich für ein Lächeln nehmen konnte, saß Herr Gerold neben den: kleinen Bang, und auch zu den Herzen der drei Kinder drang die Art von Herrn Crispis Scherzen nicht hin. Nur Frau Gerold lachte manchmal ein wenig, aber auch dieses Lachen schien Georg so seltsam fremd, und einmal war es ihm, als Hütte sie gleich darauf verstohlen nach ihrem Manne hingesehen.

So kam es, daß die ausgezeichnet gute Schokolade und der wundervolle Gugelhupf den dreien nicht so schmecken wollte und daß sich Georg Bang aus diesem Zimmer sehnte, hinüber in die freundliche Kinderstube. Langsam gingen seine großen, stillen Augen von Herrn Heinrich Gerold Zu Herrn Crispi. Die Worte, die Frau Gerold drüben gesprochen hatte, als sie ihren Mann herüberrief, fielen ihn: ein:Heinrich, dein Freund, Herr Crispi, ist gekommen." Das also war der Freund von Hansens Vater? Und warum war denn dieser so verstimmt und traurig, während der andere immer wieder lachte? Wie kam es, daß sie nicht zusammen lustig waren, wenn sie doch Freunde waren? Georg Bang konnte sich dar­über keine Klarheit geben, aber als er nun wieder auf Herrn Gerold sah, dessen Hand nervös am Tischtuch nestelte, da griff er vor nach dieser Hand und hielt sie fest.

Als es geschehen war, erschrak er selbst. Fragend traf Herrn Gerolds Blick in Georgs Augen. Dann aber ging über das Gesicht von Hansens Vater ein leises, mildes Lächeln.

Du bist ein lieber Bub, mein kleiner Georg!" sagte er. Und er legte seine beiden kühlen Hände um diese Kinderhand und Hielt sie fest, bis man sich bald darauf vom Tische erhob. Dann gab er jedem von den Kindern noch eine Schnitte Gugelhupf und schickte sie hinüber in die Kinderstube.

Wieder begann nun das Spiel der drei. Der Ernst, der eben noch auf diesen jungen Seelen gelastet hatte, verflog gleich einer Nebeldecke, die entschwindet. Nur in dem Wesen Georgs blieb ein Rest davon. Und unvermittelt, während er mit Hans die Bilder der Naturgeschichte ansah, und während Sephi, die bei ihnen auf einem Sessel kniete, bald hier, bald

dort mit ihren kleinen Fingern auf eines von den Tieren wies:Das ist das Reh! Das ist der Fuchs!" entrang

sich ihm die Frage:

Wer ist der Herr Crispi, Hans? Ist der wirklich ein Onkel von dir?"

Hans schüttelte wegwerfend den Kopf.Der! Ich glaub', er war früher auch bei der Bank, drum kennt ihn der Papa. Ich mag ihn gar nicht!"

Und Sephi setzte leise, wie wenn es ein geheimnisvolles Wissen wäre, das sie da aussprach, hinzu:Du, Georg, der Papa hat einmal g'sagt ich hab's ganz genau gehört: Herr Crispi ist ein Levantiner!"

Nun sahen die Geschwister beide auf ihren Gast, als wollten sie aus seinen Mienen die Erklärung des seltsamen Wortes lesen. Aber auch der wußte nicht mehr als sie. Ein Levantiner?" wiederholte er nur. Langsam schüttelte er den Kopf, aber das seltsam fremde Wort prägte sich ihm ein mit einem leisen Schauer. So also sah ein Levantiner aus. Ob die Mutter zu Hause ihm wohl sagen könnte, was das war? Oder ob der Herr Franz Schneeberger es vielleicht wüßte?

Zerstreut nur blickte er auf die bunten Bilder, die Hans vor ihm aufschlug. Erst nach einer Wnle, und erst als Sephi ihn scherzhaft an dem Ohre zog:Du, Georg, sag' was hast' denn?!" wurde er wieder aufmerksam und munterer. Mehr und mehr nahm ihn die ungewohnte Herrlichkeit all dieser Dinge, die sein Freund Hans besaß, nun wieder in ihren Bann.

Später kam auch Herr Gerold wieder zu den Kindern, und auch Frau Gerold ließ sich für ein paar Minuten sehen. Herr Crispi war fortgegangen von den Kindern hatte sich der Onkel" nicht empfohlen.

In seinen: Arbeitszimmer an: Piano spielte Herr Gerold den drei Kindern Lieder, und die drei jungen Sümmchen schlossen sich zusammen und sangen jene munteren Gesänge, die sie aus der Schule kannten.

Um sechs Uhr ging es wieder in die Kinderstube, da wurden die Vorhänge der Fenster zugezogen und die Hänge­lampe über dem runden Tische angezündet. Dann holte Herr- Gerold ein Buch herbei, und während die drei Kinder still um den Tisch saßen, auf den das Licht der Lampe milde herunter­strahlte, las er die schönen Lieder und Gedichte des Buches, auf dessen braunem Deckel als Titel in Goldbuchstaben stand: Des Knaben Wunderhorn."

Mit glänzenden Augen und geröteten, heißen Wangen lauschte der kleine Kreis der Stimme des Vorlesers, als gegen sieben Uhr der Klang der Flurglocke von draußen herein in das Zimmer drang und gleich darauf das Mädchen meldete, daß Frau Bang gekommen wäre, um ihren Georg abzuholen.

Herr Gerold schloß das Buch und erhob sich.

Sie haben Frau Bang ins Wohnzimmer geführt?"

Das Mädchen schüttelte den Kopf.Nein, gnü' Herr, sie hat gar nicht hcreinkommen woll'n. Sie is noch im Vor­zimmer draußen."

In: Nu war Herr Gerold aus den: Zimmer, und gleich darauf erschien er wieder mit Georgs Mutter, die sich noch immer ein wenig sträubte und beteuerte, daß sie ja nur gekommen wäre, um ihren Buben abzuholen, um alles aber nicht stören wollte.

Georg war gleich beim Eintritt seiner Mutter auf sie zugeeilt. Er schmiegte sich an sie und schlang, da sie sich zu ihm niederbeugte, die Arme fest um ihren Hals.

Sie fühlte die Glut der heißen Wangen des Buben und sah, wie seine Augen strahlten. Und bei all der jähen Freude, die sie ergriff, wie sie den sonst so blassen Buben nun wie erblüht und weit erschlossen vor sich sah, beschlich sie doch zugleich ein leises Bangen. Zögernd ging ihr Blick durch das Zimmer von ihrem Georg zu Hans und weiter zu Sephi und Herrn Gerold und wieder Zurück in die Augen ihres Einzigen.

Jst's schön hier?" fragte sie dann, und in ihrer Stimme zitterte noch immer die Sorge, es könnte dieser Helle, frohe