Heft 
(1906) 15
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ihrem Gaste, freundlich, und mit herzlichen Worten küßte Herr- Gerold den Buben auf die Stirne, und nachsichtig lächelnd über all den Lärm und Trubel stand Frau Gerold in ihrem Hellen fließenden Gewände da und nickte den Scheidenden zu.

Adieu, liebe Frau Bang, und wenn Sie einmal nichts besseres Vorhaben ich bin jeden Donnerstag nachmittag sicher zu Hause."

Ihre Hand griff dabei aufwärts nach dem schweren Knoten von reichem blonden Haar, der sich vielleicht auf ihrem Kopfe ein wenig gelockert hatte. Sie drückte mit gespreizten Fingern die Nadeln fester. Bon ihrem weißen Arm aber fiel der weite Spihenärmel zurück, daß man die wunderschöne Linie sah.

Als einen letzten Eindruck nahinen die Scheidender: noch dieses Bild mit sich. Dann schlossen sie die Tür.

Schweigend schritten Frau Bang und Georg die teppich­belegte Treppe hinunter. Der Bub hatte den Arm der Mutter fest umschlungen. Aber so sehr erfüllt war er von allem dem, was sich wie eine neue Welt ihm in den letzten Stunden er­schlossen hatte, daß er zunächst kein Wort über die Lippen brachte. Auch auf der Straße blieb er schweigsam, nur als Frau Bang sich einmal niederbeugte und ihm in die Augen lächelte, da sagte er:Mutter, so gut ist Herr Gerold . . . so gut, daß man es gar nicht sagen kann." -

Von da ab kam Georg öfter zu seinem Freunde Hans und dessen kleiner Schwester, zu Sephi. Immer inniger wucks das Leben der drei Kinder zusammen, immer näher schlossen sie sich aneinander, Herr Gerold aber pflegte diese heiße Kinder- sreundschaft, indem er alle drei in seine Sorge einschloß.

Häufig kam es nun vor, daß des Sonntags früh um neun Uhr die Helle Klingel an der Tür von Frau Bang ertönte. Und wenn sie öffnete und schaute, was es gäbe, dann stand der kleine Gerold in seinem schmucken Matrosenanzug da und hielt den breiten Strohhut in der Hand.

Guten Morgen, Frauist der Georg schon auf?"

Aber da war Georg, der die Stimme des Freundes ge­hört hatte, auch schon bei diesem an der Tür.

Papa ist unten und die Sephi. Sie warten im Hof wir wollen nach Korneuburg und der Papa läßt sich auch schön empfehlen und fragen, ob der Georg mit uns kommen darf."

Und da gingen die Augen der beiden Buben so bittend und so hoffend in die von Frau Marie Bang, daß sie, die zaudernd noch und unruhig die Hände an der Schürze wischte, schließlich die kleine Sünde auf sich nahm und ihren Georg von dem Kirchgang freigab. Für seine blaffen Wangen war es sicher besser, wenn er ins Grüne kam, so würde es wohl der liebe Herrgott verzeihen, zumal, wenn sie dann nach der Messe noch ein wenig länger blieb und noch ein paar Gebete für den Buben sprach!

Und nun begann ein Eilen und Hasten in der Stube. Hans stand am Fenster und sah hinunter in den Hof, wo neben den zwei in tiefem Sommergrün aufragenden Kastanien­bäumen sein Vater und die kleine Sephi standen. Jubelnd rief er die beiden an. Wie klein sie ihm erschienen, da unten in der Tiefe! Und Sephi schlug die Hände zusammen: So hoch da oben war der Bruder beinahe unter dem Dach!

Georg aber schnürte in aller Eile seine Schuhe zu und suchte, so schnell wie möglich, fertig zu werden, damit Herr Gerold nicht zu lange warten mußte. Ein herzlicher Abschied von der Mutter, noch auf der Treppe einige Ermahnungen mit auf den Weg, und dann ging es hinunter zu den beiden bei den Kastanienbäumen.

Hinter den Vorhang gedrückt, sah Frau Marie Bang vor­sichtig hinunter. Sie sah, wie die beiden Knaben aus dem Hause traten und wie sie froh von Hansens Vater und von Sephi ausgenommen wurden. Sie sah, wie aus dem Wesen ihres Georgs bei allem dem die Freude feierlich und festlich strahlte, und wußte, daß für ihren Buben nun ein paar Stunden kamen, so froh und reich, wie sie ihm die nicht geben konnte. Und als der Hof schon lange leer geworden war von Menschen, stand sie noch immer still am Fenster und sah

hinab ins satte Grün der beiden Bäume. Ihre Gedanken gingen mit dem Buben.

Erst als von nebenan das trompetenhelle Schneuzen des Herrn Franz Schneeberger erscholl das mittels eines großen roten Taschentuches und der Nase vollführte, untrügerische Signal, daß der ausgedehnte Sonntagsschlummer ihres Zimmer­herrn beendet sei schrak sie auf. Nun galt es, den

Kaffee für Herrn Schneeberger zu wärmen und dann die

Stube - lieber Gott, wie sah es da schon wieder aus! Hier standen noch die Hausschuhe des Buben, und dort auf den: Stuhl lag noch feine Alltagsjacke, an der die beiden Knöpfe anzunähen waren.

Still, daß diese es kaum merkte, nahm so die kleine Alltags­sorge Frau Bang nun wieder an die Hand und führte sie

durch die nächsten einsamen Stunden. Aber während Frau

Marie Bang die hundert kleinen Handgriffe tat, die ihrem stillen Haushalt sein Leben gaben, während sie hier säuberte, dort rückte, dann wieder in der Küche schaffte und den be­scheidenen Staat zum Kirchgang aus dem Schrank holte, trat auch das Bild des Buben und der anderen, mit denen er ge­gangen war, für Augenblicke immer wieder vor sie hin. Und das blieb so auch in der Kirche während der Gebete, daß sie mit leisem Vorwurf den Kopf schüttelte, und daß sie später wie zur Buße für ihre Zerstreutheit dem Mesner, der im scharlachroten Mantel mit seinein Klingelbeutel hallenden Schrittes durch die Ruhe schritt, den doppelten Betrag als sonst zum Kirchenopfer gab.

Nach ein Uhr kam dann Georg von der Landpartie nach Hause. Strahlend glücklich, mit leuchtenden Augen. Für die Mutter brachte er Blumen mit, die er draußen in den Donau- auen oder im Wienerwald gefunden hatte, rote Steinnelken und blaue Glockenblumen, Kornraden und als Prunkstück eine gelbe Königskerze oder einen purpurfarbenen Türkenbund. Und was gab's da nun nicht alles zu erzählen! Von jedem Kleinsten konnte , er berichten. Von den Eidechsen, die sie im sonnen­warmen Geröll des alten Strombettes gesehen, und deren eine ihnen Herr Gerold auch gefangen hatte, daß das kleine, grün­schillernde Tierchen dann ein paar Augenblicke lang mit hoch­atmendem Körperchen auf Sephis Hand gesessen hatte, bis sie ihm die Freiheit wieder geschenkt hatten. Von dem dicken alten Hasen, der kaum drei Schritte weit von ihnen ganz plötzlich aus der Wiese aufgesprungen war, von der schönen Fahrt auf dem Dampfschiff, die Donau herunter, und von all dem, was Herr Gerold ihnen erklärte und was Hans und Sephi erzählt und gesagt hatten.

Frau Bang hörte auf die Worte ihres Georgs und nickte leise vor sich hin. Gewiß, das konnte sie dem Buben nicht geben. Wenn sie mit ihm hinausgefahren wäre es würde doch bei allem ihrem Willen, jung zu sein mit ihm, die rechte Freude nicht für ihn geworden sein. Das war ja richtig was wußte sie von all den Tieren, von denen Herr Gerold so viel zu erzählen wußte, und von all den Pflanzen, die er bestimmen konnte! Und dann wie teuer kam nicht solch eine Partie! Der Stellwagen, das Schiff - und essen mußte man doch schließlich auch etwas; gar nicht zu rechnen, wie man sich die Sonntagskleider noch verderben konnte. Gewiß, das waren alles kleine Summen, aber das wuchs und gab am Ende manchen Gulden. Sie aber mußte oftmals mit dem Kreuzer rechnen.

So war Frau Bang im stillen Herrn Gerold herzlich dankbar, daß er den Buben so viel Schönes mitgenießen ließ; was eine Kinderfreundschaft erst gewesen war, das ließ gar bald auch eine innige Teilnahme in den Herzen dieser Großen erstehen.

Und Sommer war es noch immer, wenn auch schon sinken­der Sommer, als in dies schöne Jugendglück von Georg Bang das Leben seine erste tiefe Wunde riß.

Vom Turm der Kirche hatte es zwölf Uhr geschlagen.

Frau Bang stand am Fenster und sah hinunter in den Hof, durch den jetzt bald ihr Georg kommen mußte. Ihr