Heft 
(1906) 15
Seite
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Buck war tränenschwer und trübe, ihr Mund so traurig und so seltsam herbe, wie sie ins ernste Grün der beiden Bäume sah. Tiefdunkel war es nuw beinahe schwarz. Nur, wie auf einem Haupte, das in reifer: Mannesjahren steht, sich leise hier und da ein weißes Haar ins dunklere Gelocke stiehlt, so blinkte bei den schwellenden Kastanien schon hier und da ein welkes Blatt, ein stiller Mahner, daß der Herbst nicht fern war. Seltsam ergriff Frau Bang dies erste Zeichen von Werden und Vergehen, und eine Sehnsucht nach dem Anblick ihres Buben kam über sie, daß sie sein Kornmen kaum er­warten konnte.

Gestern hatte Hans Gerold zum ersten Male in der Schule gefehlt.

Aus Georgs Bitte war sie dann nachmittags hingegangen und hatte sich danach erkundigt, was den: Buben fehlte. Herr Gerold, der des Kindes wegen zu Hause geblieben war von seinem Amte, war selbst zu ihr gekommen in das Speisezimmer. Und lächelnd, wenn auch selbst nicht frei von aller Sorge, hatte er sie beruhigt: ein leichtes Fieber, wohl eine Erkältung, weiter nichts. Der Arzt wäre schon dagewesen, er meinte, daß es glatt vorübergehen würde. Und Hans sei munter und ließe den Freund schön grüßen.

Ja das war gestern. Und heute vor knapp zwei Stunden war Gerolds Stubenmädchen dagewesen und hatte ihr den furchtbaren Bericht gebracht, daß Hans heute früh den: Scharlachfieber erlegen war.

Sprachlos, starr und unvermögend, es zu fassen, hatte Frau Bang das Mädchen, das die Wohnung nicht betreten wollte, angesehen.

Hans sollte tot sein?! Hans, der hier an dieser Stelle, wo sie nun standen, so oft gestanden hatte in dem Matrosen­anzug mit dem breiten Strohhut? Hans, der doch gestern seinen Freund noch grüßen ließ?

Dann aber, wie ihr Auge auf die Unglücksbotin siel, da kam ihr die Erkenntnis des Geschehenen, und auf der Treppe brachen beide Frauen, Frau Bang und Gerolds Mädchen, in heiße Tränen aus.

Der arme Hans nein, Gott - wie ist das möglich! Und der arme Herr wie ist das furchtbar für den armen Vater!"

Zwei Stunden war das her. So lange schon? Wie doch die Zeit dahingegangen war!

In ihrer Küche lag noch alles unberührt, noch war kein Feuer in dem Herde, kein Bissen für den Mittagstisch gerichtet.

Da plötzlich schreckte Frau Marie Bang am Fenster auf, und ein Zittern befiel sie, als stünde sie vor einer wichtigen Entscheidung. Der kleine Bub, der jetzt da unten aus der Einfahrt des Vorderhauses trat, über das Pflaster trollte, sich jetzt niederbückte, um die unreife, vor der Zeit gefallene Kastanie aufzunehmen, war Georg! Jetzt blickte er herauf jetzt sah er sie und nickte, lächelte und eilte in das Haus.

Frau Bang aber ergriff die Angst davor, daß sie dem Buben, der sie eben noch so munter angesehen hatte, nun diese Schmerzensbotschaft geben sollte. Und ehe sie noch selbst im klaren war, was sie beginnen sollte, hauchte sie schon auf ihr fesigeballtes Taschentuch und drückte dann das warme Tuch an ihre Augen. Er sollte ihre Tränen nicht gleich sehen, er sollte nach und nach erfahren, was geschehen war!

Im Vorzimmer draußen, gleich nachdem sie ihm die Tür geöffnet und seinen Gruß und Kuß empfangen hatte, fing er schon von Hans zu sprechen an. Daß der auch heute noch nicht in der Schule gewesen wäre und ob die Mutter nicht nach Tisch noch einmal hingehen wollte, um nach ihn: zu fragen.

Und wie der Bub dann bettelnd, daß sie das doch tue, die beiden Hände von Frau Bang ergriffen Hielt, da war sie herzlich froh in ihrem Schmerze, daß es so dämmerdunkel im Vorzimmer war und daß ihr Georg ihr nicht in die Augen sehen konnte. Scho:: dachte sie, es wäre überwunden, da stieg unter den: Drucke dieser unruhig flehenden Knabenhände das Wehgefühl so mächtig und so überquellend heiß in ihr empor,

daß sie sich zu dein Buben niederbeugte und ihn mit Leiden­schaft in ihre Arme schloß.

Mein Georg du mein Einziger!"

Verwirrt und hastig riß sie sich dann los.

,-Jetzt geh' ins Zimmer ich Hab' noch zu tun» Ich glaub', mein armer Bub', mit Hans steht's gar nicht gut"

Du weißt 'was, Mutter . .?!"

Seine Hände waren plötzlich kalt und fielen schlaff von ihr. Und über sie kam wieder jene Angst, Ganz ratlos war sie vor dieser erregten Knabenstimme.

Was soll ich wissen er ist eben krank sehr krank"

Sie bog sich wieder nieder. Schon wollte sie dem Drange folgen, der sie mit kaum bezähmender Gewalt ergriff, und ihren: Georg sagen, was geschehen war, da sah sie dieses in Entsetzen schier vergehende Gesicht und zwang sich mit der ganzen Kraft der Liebe zu einer Lüge.

Ein Lächeln schob sich starr um ihren Mund, und ihre Finger streichelten mit Zittern des Buben Wange.

Es wird schon wieder werden, Georg schau Gott wird schon helfen"

Und mit den: Reste ihrer Selbstbeherrschung schob sie den Buben in das Zimmer und schritt dann selber nach der Küche, wo sie vor den: noch kalten Herde weinend auf einen Küchen­stuhl niedersank.

Georg stand unterdessen still in: Zimmer an jener selben Stelle, dahin die Hand der Mutter ihn geschoben hatte. Und wie wenn ihm die Hand noch immer leise auf der Schulter läge, war es ihm zumute. Der Nachhall des Geräusches, mit den: die Tür sich geschlossen hatte, lag ihm in: Ohr, und eine bange, träumerische Angst erfüllte ihn.

Es wird schon wieder werden, Georg schau Gott wird schon helfen"

Und dazu jenes seltsam starre Lächeln.

Das alles hatte sich ihn: unbewußt um sein Gefühl gelegt, gleich einen: Banne.

Er konnte nicht erfassen, was geschehen war, und dennoch wuchs in ihm ein Fürchten ohne Ziel. So sah er zag und ängstlich vor sich hin, die Lippen aufgezogen wie in tränen- loseu: Weinen.

Und plötzlich schlangen sich dann seine Finger ineinander, er kniete nieder aus der Stelle, wo er stand, und durch das stille Zimmer drangen deutlich seine Worte:

Lieber Gott - nur dem Hans soll nichts geschehen lieber Gott, mach's, daß nur dem Hans nichts geschieht!"

Als Georg wieder aufstand, war ihm freier zumute. Nur ein seltsames Gefühl hatte er jetzt gleichwie, als wäre er nicht allein im Zimmer, als ruhten jemandes Augen unver­wandt auf ihn:.

Er sah um sich aber da war niemand..

Eine Weile stand er noch still vor dem Tisch doch dieses seltsam beklemmende Gefühl ging nicht von ihm. Es hatte ihn ergriffen wie Gespensterfurcht an: Hellen Tage. Und plötzlich, ohne daß er wußte, was ihn trieb, wandte sich Georg um, riß die Tür auf und eilte nach der Küche.

Mutzter . . .!"

Die lehnte an den: Herde, und während sie ein Streichholz an das Papier und die Holzspäne hielt, die zu dem Mittags­essen Feuer geben sollten, liefen ihr Helle Tränen über das Gesicht. Nun wandte sie sich um ... da stand ihr Bub vor ihr - da sah er ihre Augen und verstand.

Und Frau Marie Bang, die gerne ihr Bestes hingegeben hätte, um ihren: Buben diesen Schmerz zu ersparen, konnte nur nicken und die Hände ihn: entgegenstrecken. Nun war's heraus, nun wußte er, daß er den Freund nie wieder sehen würde. Fest zog sie ihren armen Buben zu sich heran, und sein Körper, den das Schluchzen wie mit Fäusten schüttelte, schmiegte sich an ihren . . .

Neben den beiden knisterte das Feuer in: Herde. Es brannte Heller und rauschte lauter, als die trockenen Späne in flackernden Brand gerieten. Aber Frau Bang achtete nicht