Heft 
(1906) 15
Seite
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Auf dem Korridor mischten sich nun alle diejenigen, die keine Eintrittskarten bekommen hatten, unter die Glücklicheren. Mehr oder minder laut und ungeniert wurde über den bis­herigen Verlauf der Verhandlung berichtet. In den Gängen wandelten einzelne Paare einige Gruppen stiegen die Treppe hinab, um die freigegebene Zeit für eine hastige Mahl­zeit in einen: benachbarten Restaurant auszunutzen da und dort sah man Leute ihr mitgebrachtes Frühstück verzehren. Der Appetit verging den Empfindlicheren indessen, wenn ab und zu Untersuchungsgefangene, manche davon gefesselt, unter der Bedeckung der Gefängniswärter durch die Menge nach einem der Sitzungszimmer verbracht wurden.

Überall hörte man Bruchstücke aus der Verhandlung. Aber Gernots Name auch der des Beklagten - ward fast nirgends mehr genannt. Die Sache hatte ein ganz anderes Gesicht gewonnen. Es machte den Eindruck, als hätte eine formelle Anklage gegen Gamp bestanden. Und nach dem Zeugnis Bogladkis, der als grundehrliche Haut und einfacher Charakter volle Glaubwürdigkeit verdiente, herrschte jetzt allent­halben die Meinung vor, der junge Baron würde glänzend gerechtfertigt aus der Verhandlung hervorgehen.

Das hörte man auch im Zeugenzimmer Asta vernahm es dort.

Und man hörte es am Ouerfenster des Ganges, wo Theo von Gamp, der ein paar verzweiflungsvoll lange, bange, qualreiche Stunden hinter sich hatte, nach wie vor seines Auf­rufs gewärtig war.

Immer öfter richteten es die auf dem Gang hin und her wandernden Gerichtsbesucher so ein, daß sie in seine Nähe kamen. Viele blieben stehen und faßten ihn neugierig ins Auge.

Er wandte ihnen den Rücken zu und starrte ins Freie.

Um ihn herum schwirrte das Schwatzen und Raunen. Aus Bruchstücken konnte er sich den Hergang zusammensetzen. Bogladki hatte die Unwahrheit gesagt- vielleicht unwissent­lich, weil er sich der Dinge nicht mehr entsann. Aber Soter hatte gelogen. Und hatte die Lüge mit seinem Schwur bekräftigt!

Wenn er nun aufgerufen ward und die Wahrheit sagte, die volle Wahrheit?

Ein Schauer lief über ihn hin, und er preßte die Lippen fest zusammen. Sein Blick traf auf die vergitterten Fenster des Untersuchungsgefängnisses. (Fortsetzung folgt.)

Lilder aus der Entwicklung von Uordameriks.

Uon Ernlt von Hesse-Mlartegg.

er große Westen, jenseit des Vaters der Ströme, wäre bei weitem nicht so rasch besiedelt worden, wenn Amerika auch hier nicht wieder von seinem sprich­wörtlichen Glück begünstigt gewesen wäre. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde von dem Schweizer Suter in dem fernen, bis dahin nur zur See oder über die Landenge von Panama zugänglichen Kalifornien Gold entdeckt. Kein Faktor hat nun auf die Besiedlung eines Landes so großen Einfluß wie Gold. Aus allen Himmelsstrichen, von Europa wie aus Asien, strömten viele Tausende herbei, um in den Felsengebirgen und in den Sierras nach dem gleißenden Metall zu suchen. Die Leser früherer Jahrgänge derGarten­laube" erinnern sich gewiß noch der farbenprächtigen Schilderun­gen dieses modernen Argonautenzuges durch Theodor Kirchhofs. Zahlreiche tollkühne Abenteurer schlugen vom Osten her den Landweg nach dem Goldlande quer durch die Prärien und über die unwirtlichen Felsengebirge ein. Viele gingen an den furcht­baren Entbehrungen zugrunde, viele wurden durch die blut­dürstigen Rothäute, die ihr Land gegen das Eindringen der Bleichgesichter verteidigten, ermordet; aber ein großer Teil ge­langte doch ans Ziel; San Francisco und andere Städte dieses noch mitten in der spanisch-mexikanischen Kultur schlummernden Gebietes entwickelten sich im Siebenmeilenstiefel- Wachstum, der Grund zu den heute so blühenden Staaten Kalifornien, Nevada, Oregon war gelegt. Um mit diesen Ländern reichen Verkehr herzustellen, wurde durch das feind­liche Jndianergebiet die erste Telegraphenleitung gelegt und die berühmte abenteuerliche Reiterpost der Firma Wells Fargo L Co. organisiert. Die Geschichten aus dieser Zeit der amerikanischen Entwicklung gehören zu den spannendsten und aufregendsten, die je geschrieben worden sind. Man braucht nur an Cotlin, Bret Harte oder Gerstäcker Zu denken. Die Bluttaten der Indianer hatten verschiedene Äriegszüge der Vereinigten Staatentruppen und die Anlage von Militär­forts in den Prärien zur Folge, einzelne Jndianerstämme wurden bezwungen und in eigenen Reservationen unter­gebracht, von denen noch heute eine ganze Reihe besteht. Ebenso mußte an eine raschere und sichere Verbindung mit den Pacificstaaten gedacht werden, und so kam 1866 die erste transkontinentale Bahn, die Union Pacific, zustande, gebaut unter fortwährenden blutigen Kämpfen mit den Indianern, die auch noch jahrelang nach der Er­

öffnung der Bahn das Reisen über den Kontinent sehr ge fahrvoll machten.

Von den modernen Argonauten, die dort im fernen wilden Westen nach dem goldenen Fließ suchten, blieb eine Anzahl in den Felsengebirgen Kolorados, lltahis und Montanas zurück, und auch dort wurde überall Edelmetall in großen Mengen gefunden; in Utah, bei Virginia City, hauptsächlich Silber, am Pikes Peak Gold, und wieder hatten diese Funde neue Züge zur Folge, das zweite Treffen der Ansiedlerarmee setzte sich in Bewegung, diesmal aber durchaus auf den: Landwege quer über die Prärien, denn die Felsengebirge bilden das Rückgrat mitten im Kontinent. Während der siebziger und achtziger Jahre kam man sich erst recht zum Bewußtsein des Wertes dieser ursprünglich für wertlos ge haltenen, an Mexiko abgetretenen Riesengelände.

Ich war in dieser Zeit selbst Zeuge so mancher epoche­machenden Funde und Städtegründungen hoch oben auf drei und dreieinhalbtausend Metern Höhe, mitten in den Schnee­regionen, und ihr Entstehen klingt wie ein Märchen. Auf dem wüsten, unheimlichen, unbewohnten Gebiet in den Gebirgen Kolorados, wo ich 1876 der Gast einsamer Goldsucher war, fand ich bereits fünf Jahre später große abenteuerlich ge­baute Städte, wie Leadville, Toulder City, Central City. Aus manchen armenProspektors", die im Kampf mit Bären und Navaja - Indianern ihrem Beruf nachgingen, waren Millionäre geworden, und das noch kurz vorher so einsame Gebiet hallte von den Axtschlägen der Baumfäller wider, dem Fluchen, und Peitschenknallen der Fährleute, dem Quietschen der Karren, auf denen neue Zuwanderer, Lebensmittel, Bau­material die Berge hinauf nach den Minenlagern gebracht wurden.

Diese zwei Argonautenzüge waren indessen, ich möchte sagen nur die Vorhut der Hauptarmee der Einwanderer, die auf ihrem langsamen Vorschreiten westwärts sich, wie eine Wieder­holung der Völkerwanderungen früherer Zeiten, zunächst über Indiana und Ohio, dann, den Mississippi überschreitend, über Missouri und Iowa ergossen hatte. Der Missouristrom gebot ihnen noch Halt, denn selbst in Iowa hatten sie noch gegen die Rothäute zu kämpfen, während jenseit des Missouri, in den Prärien des Platte-, Kansas- und Arkansasstromes die wilden Chepcurres, Arrapahoes, Kiowas, Comanches, Sioux, Ogalallas, Pawnees ihren angestammten Landbesitz mit grausamer Hand