Heft 
(1906) 15
Seite
328
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behaupteten. Am Missouristrom staute sich das Gros der Ein­wanderer, und die Ansiedlungen an seinen Ufern, Kansas City, Travenworth, Atchison, St. Joseph, Omaha, Sioux City, St. Paul, wuchsen zu volkreichen hölzernen, ungeregelten Städten heran, die erfüllt waren von tollem, unsicherem Leben.

Die Prärien draußen aber erstreckten sich vollständig eben wie ein Tisch, ebenso trocken, ebenso kahl auf vierhundert eng­lische Meilen in westlicher, mehr als das Doppelte in nördlicher .Richtung, ohne Wege, ohne Baumwuchs, im Westen bis über Zweitausend Meter Höhe ansteigend, es war Steppengebiet und mit dürrem, kurzen: büschelartigen Vuffalogras bewachsen. Auf Hunderte Meilen in der Runde keine Ansiedlung, an den Fluß­läufen vielleicht ein paar Erdhöhlen tollkühner Abenteurer, Trapper und Büffeljäger. Die Steppe selbst war unter­brochen von Millionen von Erdlöchern, bewohnt vonPrärie Dogs" einer Art Kaninchen von Eulen, Klapperschlangen und gehörnten Fröschen. Dazu waren diese Steppen auf Hunderte von englischen Meilen von schnurgraden, fußtief in dem trockenen staubigen Boden ausgetretenen Pfaden durchschnitten, die in Tausenden von parallelen Linien den Flüssen zuliefen, oder von kreisrunden, zwei Fuß tiefen Löchern, zwei bis drei Meter im Durchmesser, unterbrochen, den sogenanntenWallows". Pfade wie Wallows rührten von den Präriebüffeln her, die nach Millionen diese weiten Gebiete bevölkerten und den Rot­häuten Nahrung lieferten.

Die Vereinigte Staatenregierung hatte diese weg- und steglosen ungeheuren Ebenen vorläufig durch schnurgerade Grenz­linien in die Territorien Kansas, Nebraska, Dakota, Kolorado, Neumexiko, Arkansas und das Jndianerterritorium eingeteilt, in welch letzterem die von den Dankeetruppen unterworfenen Jndianerstämme untergebracht wurden der einzige einigermaßen bevölkerte Teil des ganzen Gebietes, das an zwei Millionen Quadratkilometer umfaßte. Nur eine halbwegs festgelegte Route führte durch diese Prärien, der berühmte Santa trail, von Kansas City nach der einzigen, noch ganz spanisch-mexikanischen Stadt im Südwesten, Santa Fa im Territorium Neumexiko. Um ihn zu finden, bedurfte es keines Kompasses, wie sonst in diesen Ebenen, er war zur Genüge bezeichnet durch leere Kon­servenbüchsen, Glasflaschen und die bleichenden Gebeine von Maultieren, Pferden und Menschen, die des Hungertodes oder durch die Tomahawks der Indianer, wie man damals sagte:in den Stiefeln gestorben" waren. Anfang der sieb­ziger Jahre kam ich als ganz junger Bursche auf meiner ersten Amerikareise nach Kansas City, damals eine Bretterstadt von der Größe Weimars, heute eine Großstadt von einer Biertel- million Einwohner. Ich hatte die Absicht, die Prärien zu

durchqueren, die Felsengebirge zu besuchen, in denen mich der Pikes Peak und der berühmteBerg des heiligen Kreuzes" besonders anzogen, und dann auf dem Santa trail zu Roß nach Neumexiko zu gelangen. Ich kam gerade recht, um den Anfang der Prärienbesiedlung mitzumachen. Allein zu reisen, wurde mir von allen Seiten abgeraten, wenn mir mein Skalp lieb war, doch bot sich mir im späteren Teil meines abenteuerlichen Unternehmens streckenweise Gelegenheit, im Gefolge von amerikanischen, militärisch organisierten Kundschaftern der Ver­einigten Staaten zu reisen, die damals unter dem Kommando von Kolonel Cody, dem später alsBuffalo Bill" in ganz Europa bekannt gewordenen tapferen Jndianerkrieger, standen. Er, dann Oregon 'Bill, Kit Carson, Maxwell usw., mit denen ich mich anfreundete, waren Pioniere der Präriebesiedlung heute sind sie von einen: Sagenkranz umwoben. Am kleinen Arkansas traf ich die ersteStadt", nach den gleichnamigen In­dianernWichita" genannt. Wir wurden festlich empfangen, und der Bürgermeister, ein Deutscher, bewirtete mich imRathause", einem Zelt aus Vüffelhäuten, in dem auf Fellen die Frau Bürger­meisterin, eine Indianer-Squaw, mit ihrem Papoose ruhte. Sein Schreibtisch, Fauteuil, Eßtisch war ein leeres Bierfaß. Vor zwei Jahren kam ich wieder durch dieses Wichita, nicht zu Roß, sondern in einem glänzenden Salonwagen der Atchison Topeka und Santa-Eisenbahn angefahren. Ich traute

meinen Augen nicht, denn ringsum erhob sich eine Großstadt mit Steinpalästen, allen modernen Einrichtungen, Stadtpark, Villen und üppigen Gärten!

In: Westen mußte ich in Zelten schlafen und wurde noch vor Tagesanbruch durch ein Zittern des Erdbodens, wie von einem Erdbeben, aus dem Schlaf gerissen. Sprang ich hinaus, dann war der Himmel über den: vollständig ebenen schnur­geraden Horizont von der aufgehenden Sonne gelblich und rötlich gefärbt, und ich konnte in der Ferne, sich gegen die klare Luft scharf abhebend, ein Meer von winzigen, sich be­wegenden Wellen wahrnehmen, wie ein über felsiges Bett in Kaskaden rauschender Niagara, der sich uns rasch näherte. Und immer näher kam er, immer stärker wurde das brausende Geräusch, das Erbeben des Erdbodens, bis ich endlich eine ungeheure Herde von Buffalos erkannte, die mit zur Erde ge­senkten riesigen, buschigen Köpfen, die Schwänze hoch in der Luft, den tief eingeschnittenen Pfaden folgend, dem nächsten Flußlauf zugaloppierten zur Morgentränke. Hinter ihnen kamen Indianer mit Kämmen aus Adlerfedern geschmückt. Pfeil und Bogen handhabend, den Gürtel mit Skalps be­hängt, von denen so mancher mit langem blonden Frauenhaar. Erblickten sie aus der Ferne über den Zelten die amerikanische Flagge, dann wichen sie im weiten Bogen aus. Und hinten­drein kam, bildlich gesprochen, die Lokomotive schon heran­gebraust, die Völkerwanderung erfolgte hier gleich mit Eisen­bahn! Vor mir auf der Reise nach Westen noch die unver­fälschte Natur, hinter mir mit Dampf die abendländische Zivilisation, um im Sturm das Präriegebiet zu erobern.

Die Durchforschung des Westens seitens der Regierungs­expeditionen hatte ergeben, daß die Prärien vorzügliches Ackerland darboten für ungezählte Millionen von Ansiedlern. Was noch fehlte, war die Schaffung von Eisenbahnen, um den Verkehr mit dem besiedelten Osten zu ermöglichen, ferner Erleichterung des Landerwerbs und Wasser. Alle drei Be­dingungen wurden durch die Regierung in Washington in liberalster Weise geschaffen. Die Generalstäbler der Ansiedlung, die Dankeeunternehmer und Kapitalisten, wurden durch die Ge­währung großartiger Land sch enkungen zur Herstellung von Eisenbahnen veranlaßt. Jede der Trans kontinentalb ahnen be­kam Millionen an Morgen Landes, im Umfang deutschen Königreichen und Fürstentümern gleich, und die Folge war, daß ein halbes Dutzend transkontinentaler Bahnen in Angriff genommen wurde. Die Schienen und Schwellen wurden mit erstaunlicher Schnelligkeit über den Prärieboden gelegt, und zwei, drei Kilometer täglich waren keine besondere Leistung. Wohin die Bahnen führten? Nirgends hin, meistens querfeldein mittendurch in die einsame Steppe, denn ihre Erbauer wußten, daß der Menschenstrom, die Städte diesen Eisenbahn­linien folgen würden. In Europa sind die Städte vorhanden, und die Eisenbahnen folgen dem Verkehr. In Amerika baute man zuerst die Eisenbahnen, der Verkehr folgte. In manchen Jahren wurde das auf diese Art sich entwickelnde Netz um zehn- bis siebzehntausend Kilometer vergrößert!

Die Landschenkungen, welche die Subvention für die Eisen­bahnen bildeten, waren nicht geschlossene Komplexe. Das ganze Präriegebiet wurde in sogenannte Townships eingeteilt, Schachbrettfelder von je acht englischen Quadratmeilen. Die schwarzen Felder bekamen die Eisenbahnen zu beliebiger Ver­wertung, die weißen Felder stellte die Regierung, mit Aus­nahme eines Teiles in jedem Township für Schulzwecke, den Einwanderern zur Verfügung. Jeder Einwanderer konnte ein Landstück von 160 Morgen Größe als Eigentum erhalten, wenn er sich zur Bestellung sowie zur Anpflanzung von Bäumen auf einen bestimmten Teil seines Rittergutes innerhalb eines bestimmten Zeitraumes verpflichtete. Die Vaumpflanzungen waren eine Grundbedingung, denn Bäume erzeugen Feuchtig­keit, die den Prärien vollständig fehlte. Während der jähr­liche Regenfall noch in den siebziger Jahren nur sechs bis acht Zentimeter beträgt, ist er heute dank den Baumpflanzungen und Kulturen auf ein Meter gestiegen. Diese günstigen Be-