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dingungen hatten sofort die Überflutung der Prärien mit Einwanderern Zur Folge. Sie ergossen sich aus den östlichen Grenzstädten der Prärie, wo sie sich angestaut hatten, die neugeschaffenen Eisenbahnlinien entlang über Kansas, Nebraska, Dakota und nahmen Zunächst die weißen Felder in Besitz, so daß nach kaum einem Jahrzent alle Regierungsländereien vergriffen waren. —- Längs den Eisenbahnen entstanden infolgedessen kleine Städtchen, Verteilungspunkte für die Ansiedler, der Verkehr der Eisenbahnen, der anfangs gleich Null war, hob sich, und endlich kamen auch die schwarzen Felder der Eisenbahnländereien Zur Besiedlung. Die Bahngesellschaften verkauften sie Zu entsprechenden Preisen, denn durch die Besiedlung der weißen Felder ringsum war der Wert der schwarzen natürlich gestiegen.
Die Prärien hatten nun erst Menschen, aber diesen fehlte es auf ihren ebenen, baumlosen Grundstücken an allem und jedem. Es gab keine Kaufläden, um Kleider, Werkzeuge, Lebensmittel zu kaufen, es gab kein Holz und sonstiges Baumaterial, um sich Wohnungen zu bauen, sie standen auf ihrer „Home- stead" wie auf einem Blatt weißen Papiers. Da traten wieder die Aankeegeneralstäbler auf, um ihnen zu allen Bedürfnissen, sich selbst zu nie dagewesenen Reichtümern zu verhelfen. Die ganze Halbinsel am Michigan, die den Huron- vom Michigansee scheidet, war ein einziger Wald von der Größe des halben Preußens, mit dem vorzüglichsten Bauholz. Dort mitten in diesem Walde, möglichst an Flußläufen, legten sie Werke an, um die Prärien mit Häusern und Möbeln Zu versehen, Fabriken dafür in größtem Maßstab, denn der voraussichtliche Absatz von Häusern und Einrichtungsstücken ging ja in die Millionen. Einwanderer aus Europa wie aus den Oststaaten fanden in diesen Werken Beschäftigung, rings um sie entstanden Ansiedlungen, und diese vergrößerten sich allmählich zu den heutigen großen Städten Lansing, Jackson, Grandhaven, Saginaw, Bay City usw. Alle geschaffen durch diese Holzindustrie.
Die Häuser, Balken, Tische und Stühle wurden gleich mit Maschinenbetrieb in unzähligen Stücken fabriziert und nach den Prärien geschafft. Ebenso wurden in den damaligen Grenzstädten, zuerst in Chicago, dann in St. Louis, St. Paul, Kansas City, Davenport, Omaha Kleider- und Schuhfabriken für den Bedarf der in den Prärien wohnenden Millionen angelegt, auch Fabriken für konservierte Lebensmittel, da ja dort noch keine vorhanden waren. Um diese Unmenge von Waren nach ihren Bestimmungsorten zu schaffen, mußten wieder Eisenbahnen gebaut werden. In der ersten Zeit bezog man das ganze Material dafür, Schienen, Waggons, Lokomotiven, aus Europa; denn noch 1850 wurde keine Tonne Stahl in Amerika erzeugt. Der große Bedarf brachte nun die Generalstäbler, die „Captains of Jndustry", auf den Gedanken, das Eisenbahnmaterial selbst herzustellen. Das größte Kohlengebiet war in Westpennsylvanien, rings um Pittsburg, die größten Eisenlager am Oberen See. Man brachte die Erze nach Pittsburg oder Chicago, es entstanden Schmelzwerke, Walzwerke, und der große Bedarf an Schienen hatte zur Folge, daß Amerika heute die größten Schienenwerke der Welt besitzt. Im vergangenen Jahre besuchte ich die berühmten Werke von Carnegie in Homestead bei Pittsburg, die täglich über 4000 Tonnen fertige Stahlprodukte liefern, und die Schienenwalzmühlen der Illinois Steel Company in Chicago, deren tägliche Erzeugung sich auf durchschnittlich 38 Kilometer Stahlschienen beläuft. Ebenso wie Stahlschienen waren auch Waggons erforderlich. Es entstanden große Waggonfabriken in St. Louis, Vloomington, vor allem aber in Pullman bei Chicago. Der Gründer der Stadt Pullman, ein deutscher Einwanderer, war auf den Gedanken gekommen, zur Erleichterung der Eisenbahnreisen Schlafwagen zu konstruieren, und diese waren so erfolgreich, daß sie bald auf allen Eisenbahnlinien eingeführt wurden. Das Hauptgeschäft entstand aber in der Anfertigung von Frachtwaggons; der Bedarf steigerte sich bald derart, daß in den großartigen Pullmanwerken schon im Jahre 1883 die Zahl der dort gebauten Frachtwaggons täglich
einhundert erreichte, was einer durchschnittlichen Leistung von einem Frachtwaggon in je sechs Minuten entspricht!
Um diese Frachtzüge zu ziehen, mußten Lokomotiven gebaut werden. Es entstanden neben vielen anderen auch die Loko- motivwerke von Baldwin in Philadelphia. So groß war der Bedarf, daß diese größten aller existierenden Werke schon 1900 das Jubiläum ihrer zwanzigtausendsten Lokomotive feiern konnten. Bei einem Besuch im Vorjahre sagte mir der Leiter, die seitherige Erzeugung sei durchschnittlich 1500 Lokomotiven jährlich, d. h. also fünf täglich, oder eine fertige Lokomotive in je zwei Stunden!
Den Einwanderern in den Prärien fehlte es auch an Werkzeugen zur Bearbeitung des Landes. Mit Haue und Spaten, wie sie zu Hause in Deutschland ihre wenigen Morgen bestellten, konnten sie auf ihren nunmehrigen Rittergütern nichts ausrichten. An Arbeitskräften herrschte in dem eben besiedelten Lande immer noch Mangel, und so kam wieder ein „Captain of Jndustry" auf den Gedanken, den Ackerbauern in den Prärien stählerne Arbeiter in Gestalt von Pflug-, Säe-, Mäh- und Dreschmaschinen zu liefern. Es war Mac Carmick. Bei dem riesigen Absatzgebiete, das sich ihn: bot, gedieh sein Unternehmen in solchem Maße, daß er seit Jahren schon 6000 Arbeiter beschäftigt, und eine fertige Ackerbaumaschine auf je 45 Sekunden entfällt! An jedem einzelnen Wochentage versendet Mac Carmick hundert Waggonladungen fertige Maschinen in aller Welt.
Dank dieser Versorgung der Prärien mit Material, und gleichzeitig dank auch dem weitgehenden Kredit, der den Ansiedlern von Banken und Industriellen gewährt wurde, erfolgte der Aufbau der Präriestaaten, gleichzeitig aber auch der Industrien des Ostens. Die Städte zogen die Prärien groß, die Prärien wieder die Städte, eines half dem anderen auf dem Wege vorwärts, aufwärts, alles entwickelte sich mit Riesenschritten, aus den Städten wurden reiche Millionenzentren, wie Chicago, St. Louis, St. Paul und Minneapolis neben zahllosen kleineren, die ihre Blüte nur dem Hinterlande zu verdanken haben. Aus Kansas, Nebraska, Iowa, Minnesota, Arkansas aber wurden blühende Staaten mit ein bis zwei Millionen Einwohnern, aus den ödesten Steppen die reichsten Kornkammern der Welt. Und auf dem Grunde dieses mächtigen Aufbaues stehen die europäischen Einwanderer, diese zwanzig Millionen Menschen, die seit fünfzig Jahren von Europa einwanderten, ihre Arbeitskraft in den Dienst Amerikas stellten, und deren Kinder heute den größten Teil der amerikanischen Bevölkerung ausmachen.
Sie bildeten auch die hauptsächlichste Grundlage für die Entwicklung der amerikanischen Industrie im allgenreinen. Das Anwachsen der Bevölkerung erfolgte so rasch, daß die Industrien gar nicht gleichen Schritt halten konnten. Es fehlte an Arbeitskräften, die Lebensverhältnisse verteuerten sich dabei auch derart, und die plötzlich in einem „freien" Lande lebenden Arbeiter zeigten ihren Freiheitsgeist auch so empfindlich durch Streiks, Innungen und diktatorisch auftretende Genossenschaften, daß die „Captains of Jndustry" drangingen, die lebenöen Arbeiter durch tote Maschinen nach Tunlichkeit zu ersetzen. Für Maschinenbetriebe eignet sich Amerila in ganz besonderem Maße durch die große Gleichförmigkeit der Verhältnisse und des Bedarfs. Es konnten Massenbetriebe eingeführt werden, wo Maschinen Tag für Tag, jahraus, jahrein die nämlichen Standaröartikel Herausstampfen. Das Rohmaterial, aus ihrem eigenen Lande stammend, ist wohlfeil, und dank der ebenso wohlfeilen Verarbeitung können sie heute die europäischen Einfuhren großen teils unterbieten.
Bei diesem Bedarf an Rohmaterial, vornehmlich an Kohle und Eisen, entwickelte sich in erster Linie gerade die Eisenproduktion, und zwar hauptsächlich in Pennsylvanien, das allein jährlich 100 Millionen Tonnen Kohlen produziert und damit die Grundbedingung für die Eisenerzeugung besitzt. Die Eisenerze haben ihr. größtes. Lager nördlich des Oberen Sees von Minnesota, und ich habe sie dort, vornehmlich im Distrikt
1906. Nr. 15.