das, wie gesagt, am 3. Oktober zuerst auigeiührt worden war. Vorsichtshalber teilte daher Fontane Schlenther seine Auffassung mit und schrieb: „Es ist schon 12, ich will Ihnen aber doch noch ein Wort schreiben, schon um die Vorstellung in Ihrer Seele nicht aufkommen zu lassen, ich könnte am Sonntag als Nörgelgreis an Ihrem Tische sitzen.
Von den drei Stücken ist Nummer 2 ganz Nummer 1. Was natürlich nicht heißen soll, ,FritzChen‘ sei ,Teja‘. Nummer 2 ist ein überaus glücklich gegriffener Stoff, mit vollendeter dramatischer Kunst behandelt und mit vollendeter Bühnenkunst gespielt. Auch das Spiel wirkt wesentlich mit. Ich bin ganz entzückt, weil ganz bewegt und hingerissen. Beethoven (Pardon, daß ich mich an so große Seite dränge) soll nach Aufführung des .Freischütz“ gesagt haben: .Hätt’s dem Männele nicht zugetraut.“ AuCh Nummer 3 ist sehr reizend, witzig als Ganzes und witzig im einzelnen — es ist aber doch ein Lesestück. Diesen zierlichen Versen von Zeile zu Zeile zu folgen, ist ausgeschlossen; unsere Bühnen erlauben das nicht. Im Prinz-Heinrich-Theater in Rheinsberg hätte vor gerade hundert Jahren solch Stüde vor dankbar verständnisvollen Ohren gespielt werden können. In unsern akustisch miserablen Kunstbuden, wo der große Raum jede Finesse wegfrißt, gibt es solche Genüsse nicht mehr“ 2 . Auch der Brief an Karl Holle vom 18. Oktober 1896 enthält eine kurze Bemerkung über Sudermann: „Seine drei neuen Stücke habe ich mit großem Interesse gesehen: 1 und 3 schenke ich ihm, aber 2 (.Fritzchen“) ist ein vollkommenes Meisterstück“ 3 . - Theo ist Fontanes Sohn Theodor; mit Müller ist der Schauspieler Hermann Müller (1860-1899) gemeint, der seit 1894 am Deutschen Theater wirkte. - Die Hauptrolle in „Fritzchen“ spielte Josef Kainz.
Zu 3. Die Komödie „Die sittlidie Forderung“ von Otto Erich Hartleben wurde zuerst am 9. November 1896 im Neuen Theater aufgeführt. Am 10. November 1896 besprach Paul SChlenther die Aufführung in Nr. 529 der „Vossischen Zeitung“.
Das Neue Theater in Berlin befand sich in dem (1891/92 erbauten) Haus am SChiff- bauerdamm, in dem seit 1954 das Berliner Ensemble auftritt.
Bei der „Sittlichen Forderung“ handelt es sich um ein gesellschaftskritisches Stück, das Beachtung verdient. Schon deshalb und insbesondere weil Fontane sich so anerkennend über die Besprechung von Paul Schlenther äußert, sei hier der größere Teil der Theaterkritik wiedergegeben. Schlenther schreibt: „Erna Hattenbach, das hübscheste und lustigste Ding von ganz Rudolstadt, singt und springt umher zur Freude von Alt und Jung. Besonders die vier Augen der Firma C. W. Stierwald und Sohn ruhen mit Wohlgefallen auf dem quicken BaCkflsCh, der seine Genußfreudigkeit vom Vater ererbt hat; nur daß Papa Hattenbach dem Rotspon huldigt, während das Mädel mehr mit der Liebe der Männer für Weib und Gesang sympathisiert. Als der alte Hattenbach sein Vermögen verkneipt hat, will der alte Stierwald ihn retten, falls er ihm die kleine Erna zur Frau gibt. Ernachen aber hat die ersten Regungen ihres entzündlichen Herzens nicht auf König Philipp, sondern auf Don Carlos gerichtet, nicht auf Stierwald Vater, sondern auf Stierwald Sohn. Don Carlos wird Jedoch dem Könige Philipp dieses Mal nicht fürchterlich, sondern er fügt sich. Wer sich aber nicht fügt, ist Erna Hattenbach. Sie schnürt ihr Bündel und geht über alle Thüringer Berge in die weite Welt hinein. Rudolstadt hat das Nachsehn. Durch Zeiten des Elends kommt sie zu Zeiten des Glanzes und vier Jahre später ist sie die internationale Konzertsängerin Rita Revera im Wintergarten in Berlin. Kein Rudolstädter entdeckt sie, denn ,in solche Lokale geht kein Rudolstädter“.
Aber Stierwalds Fritz hat die Jugendliebe nicht vergessen. Kaum ist König Philipp tot, da geht Don Carlos suchen, und findet. Der ehrsame Kleinstädter tritt an die üppige Sündenblüte der Weltstadt mit einer .sittlichen Forderung“ heran. Rita Revera soll wieder Erna Hattenbach werden, und er würde sich dazu entschließen können, weil man in Rudolstadt von Rita Revera nichts munkelt, sie zu Frau Fritz Stierwald zu machen. Er trägt ihr das nicht nur im Namen seiner Neigung vor, sondern fast noch mehr im Namen der Sittlichkeit. Rita lacht laut, weint leise und ist über die Zumutung innerlich empört. Fritzchen sieht, daß nichts zu machen ist, und rüstet sich traurig zum Weggehn. Da klingen die Tasten an, ein prickelndes Liedchen ertönt. Fritz wendet sich und sieht die Königin des Wintergartens in all ihren Zaubern vor sich. Beim Reiz dieses Anblicks sinkt der sittenstrenge Bürgerssohn äußerst verliebt unter Ritas frohem Spott in die Kniee, und die sittliche Forderung fällt ihm aus der Tasche. Rita triumphiert. Denn sie ist es, die sich treu geblieben ist. In der nächsten Stunde werden alle süßen Wünsche ihrer ersten Jugend sich erfüllen; aber nur auf eine Stunde. Denn sie wird Rita Revera bleiben und niemals Erna Stierwald werden. Das ist ihr Stolz.
Hiervon ließe sich ein dicker Roman machen oder ein fiinfaktiges Seitenstück zu Sudermanns .Heimat“, zu der Hartlebens Stück vielleicht in einer unausgesprochenen Opposition steht. Die Feinheit ist, daß Hartleben es verstanden hat, dies alles binnen einer knappen halben Stunde als Zwiegespräch auf die Bühne zu bringen. Im Hotelzimmer eines Badeorts stehen sich die beiden ungleichen Kinder Rudolstadts plötzlich gegenüber, und nun kommt auf die eleganteste, witzigste, aber auch sinnreichste Weise alles zum Klappen. Man könnte, wenn’s beliebt, das Stückchen sehr frivol nennen, aber man könnte es auch tief sittlich nennen. Denn Rita Revera will vor keinem Rudolstädter anders scheinen, als sie ist.“ —
Fontane dürfte nicht nur die Art •gefallen haben, wie Schlenther den Inhalt des