Gotthard Erler (Berlin)
Die Fontanes und die Merckels. Unveröffentlichte und wenig bekannte Dokumente
In der Galerie jener Zeitgenossen, die Fontane in seiner Autobiographie porträtiert, prägt sich das Bild Wilhelm von Merckels wegen der liebevoll-warmherzigen Darstellung besonders ein. Fontane, der unsentimental Nüchterne, bemüht Uhlands Gedicht vom guten Kameraden, um sein Verhältnis zu dem Berliner Kammergerichtsrat zu charakterisieren. Er nennt ihn einen „freundlich väterlichen Helfer“, der, „in seinem tief eingewurzelten Sinne für das Menschliche, sich mit relativen Nebensächlichkeiten wie Standesunterschiede, Wissens- und Bildungsgrade gar nicht beschäftigte“. Merckel dürfte der einzige gewesen sein, den Fontane im weiten Kreis seiner Bekannten und Kollegen vorbehaltlos und dankbar als wirklichen „Freund“ empfand.
Und in der Tat hat der „kleine Merckel“ in Fontanes Leben eine große Rolle gespielt. Er bewerkstelligte im Herbst 1844 die reguläre Aufnahme des sechzehn Jahre Jüngeren in den Tunnel, und er kommentierte dessen poetische Produktion in durchweg wohlwollenden Protokoll-Notizen. Er stellte ihn, der für einen „roten Republikaner“ galt, 1850 in dem von ihm geleiteten „Literarischen Cabinet“ an, so daß Fontane sich entschließen konnte, seine allzulange Brautzeit durch die Hochzeit mit Emilie Rouanet- Kummer zu beenden. Als der Dichter wenig später wieder amt- und mittellos war, verwandte Merckel sich beim preußischen Ministerpräsidenten Manteuffel mit Nachdruck für seinen Schützling.
Aus der Bekanntschaft erwuchs nun jene Freundschaft mit dem „lautersten und gesinnungsvornehmsten Mann, den ich“, sagt Fontane, „in meinem ganzen Leben kennengelernt habe“ — eine Freundschaft, die auch die Frauen mit einschloß und die sich in Fontanes England-Jahren 1855 bis 1859 aufs schönste bewährte. Henriette und Wilhelm von Merckel waren damals im unsicheren Leben der Fontanes der feste, immer verläßliche Halt, von dem nicht nur moralische Unterstützung, sondern stets auch materiell-praktische Hilfe zu erwarten war. Die Merckels gaben Fontane ein Beispiel für Treue und Uneigennützigkeit, das er ihnen nie vergessen hat. Bei ihnen wußte Fontane seine schwangere Frau in besten Händen, von ihnen konnte er getrost die Erfüllung seiner Wünsche fordern — ob sie Geld, Geburtstagsgeschenke oder heikle diplomatische Schritte betrafen. Wohl kein zweites Mal hat sich jemand mit so taktvoll rührender Fürsorge um die Familie Fontane gekümmert wie Henriette von Merckel, die Kinderlose mit der herzlichen Kinderliebe; Fontane gestand selber ein, daß seine Kinder zeitweilig bei „Tante Merckel“ mehr zu Hause waren als bei den Eltern.
Und nur wenigen gegenüber hat sich Fontane so rückhaltlos aufgeschlossen wie in seinen Briefen an die Merckels (an Immermann und Immerfrau, wie er sie nach Merckels Tunnel-Namen gewöhnlich anredet), ja der Grad ihrer Bekenntnishaftigkeit antizipiert — auf die Entwicklung der fünfziger Jahre bezogen — partiell schon die späteren Friedlaender-Briefe.
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