Heft 
(1985) 40
Seite
132
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Fontanes politische und menschliche Entwicklung jener Zeit spiegelt sich in den großen epistolographischen Debatten mit den Merckels. Der im Journalismus reifende Schriftsteller Fontane findet in dem Juristen Wil­helm von Merckel, einem vielfach begabten Dilettanten von kauzig­intellektuellem Humor, einen gleichwertigen geistigen Partner, und in den schwierigen Jahren 1857/58, in denen sich Fontane in London immer stärker als vereinsamter Exilant fühlt, bildet die Korrespondenz mit den Merckels mitunter den einzigen Lichtblick. Der Ernst, mit dem beide unter anderem über schöpferische Intentionen in Tunnel, Rütli und Ellora nach- denken, zeigt an, wie wichtig in der total überwachten Gesellschaft der Reaktionsperiode menschliche und geistige Kommunikation in den kleinen Zirkeln war fernab aller Vereinsmeierei.

Das Verhältnis Fontane-Merckel war an den bisher bekannten Briefen des Dichters in groben Umrissen erkennbar; welche Dimensionen es indes tatsächlich gehabt hat, wird erst zu ermessen sein, wenn der im Fontane- Archiv erhaltene Briefwechsel zwischen den Familien (179 Briefe!) 1986 in zwei Bänden im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar vorliegt (Die Fon­tanes und die Merckels. Ein Familienbriefwechsel, 18501870). Denn bisher ist nur ein Teil von Fontanes Briefen (und diese meist nicht vollständig und kaum korrekt) und fast gar nichts von den Merckels veröffentlicht. Als Kostprobe aus diesem Briefdialog, der ab August 1857 (nach der Über­siedlung Emiliens und der Kinder nach London) besonders intensiv geführt wird, werden im folgenden einige Texte im Zusammenhang abgedruckt, die sowohl die häuslichen Umstände als auch die damalige Weltpolitik betreffen. In der Auseinandersetzung um den Sepoy-Aufstand wird deut­lich, daß Fontanes Freundschaft mit Merckel durchaus auch konträre politische Positionen vertrug, ja diese Freundschaft gewinnt dadurch an eigenartiger Faszination, daß sie den ehemaligen achtundvierziger Demo­kraten mit dem Mann verbindet, der die fatalen VerseGegen Demokra­ten helfen nur Soldaten gedrechselt hat. Ja, Merckel war bei aller Herzensgüte ein altpreußischer Konservativer, der verständnislos und gehässig über den antikolonialen Aufstand in Indien urteilte; und erst wenn man seine Meinung gelesen hat, versteht man Fontanes im Ton behutsame, in der Sache konsequente Entgegnung.

Theodor Fontane an Wilhelm und Henriette von Merckel

London, d. 23. August 1857 52 St. Augustine Road Camden Town

Lieber Immermann,

Sehr verehrte Frau.

Zu was Beßrem könnte man wohl einen englischen Sonntag verwenden als zur Unterhaltung mit fernen, lieben Freunden! Kanzelberedsamkeit oder wohl gar jenes Schmoren in der Sonne, das man Landpartie oder Sonntagsvergnügen zu nennen pflegt, haben mich schon in der Heimat