ich Ihnen hier oben abgeschrieben habe, ziehe ich vor, hier zu behalten. Die Pilze u. Morcheln machen sich das Vergnügen, aus meiner Speisekammer in die Ihre zu schlüpfen. —
Theodor Fontane an Henriette von Merckel
London, d. 20. September 1857
52 St. Augustine Road
Camden Town
Hochverehrte Frau.
Der Gesandte ist seit 4 Wochen in Brighton, und Berlin geht auf in Manövern und evangelischer Allianz. So kommt es, daß der Courierwechsel ins Stocken geraten und nach langer Pause erst gestern wieder ein Feldjäger hier eingetroffen ist. Er brachte die zwei Kisten. Meine Frau wird darüber schreiben; meinerseits aber auch einen herzlichen Dank.
Die „venezianischen Blenden“ haben ganz in der gewünschten Weise gewirkt. Sie sollten durch ihren Namen frappieren, und das haben sie redlich getan. Immermann hat den Nagel auf den Kopf getroffen, es sind Jalousien, doch, glaub ich, wirklich von einer besondren Konstruktion, wie man denselben vorzugsweise in Venedig begegnet; sie heißen hier allgemein „venetian blinds“. Überhaupt glaub ich, daß ich durch meine Schilderung die Vorstellung von einem Feenschloß hervorgerufen habe, das doch nicht ganz vorhanden ist. Nur die beiden drawing-rooms sind groß, geschmackvoll und selbst elegant; Flur und Schlafzimmer hübsch; alles übrige praktisch, wohnlich, ausreichend, aber doch eigentlich puppen- stubenhaft. Die Speisekammer hat die Ausdehnung eines Wandschranks (kaum); der Waschkessel hält die richtige Mitte zwischen einem wirklichen Kessel und einem Fingerhut*; der Garten ist gerade groß genug, um 2 Windeln und 1 Taschentuch drin zu trocknen, und das Fremdenzimmer (was aber niemanden abschrecken soll) hat die Dimension einer größeren Mausefalle. Auf dem Dach ist es gewiß sehr hübsch, und die Aussicht muß reizend sein, da wir fast auf der Höhe eines Hügels wohnen, aber die Wahrheit zu gestehn, ist noch niemand von uns durch die Luke gekrochen, und ich werde erst heut nachmittag, nach Zusammenraffung meines Muts, das Wagstück vornehmen, um Ihnen in einem PS sagen zu können, wie es denn eigentlich ist. Eins hab ich übrigens in meiner neulichen Schilderung vergessen und beinah das Beste. Wie die Jäger ihr Zimmer mit Hirschgeweihen und die Indianer ihr Wigwam mit Skalpen ausschmücken, so hängen in unsrem Schlafzimmer, just über dem Kamin, die Orden und Abzeichen der Elloristen. Da ist zunächst der große, quiekende Elefant, dann die drei zinnernen, die wie zärtliche Elefantenkälber das stimmbelebte und beleibte Muttertier umdrängen. Ein andrer Orden an schar- lachnem Moire-Band, den ich vor 17 Jahren in Lepels Kasernenstube für geleistete Lyrik empfing, hat sich unter die Abzeichen der Ellora mit ein-
* [Am oberen Bande von der Hand Emilie Fontanes:] Schreckliche Übertreibung!
[Dahinter von der Hand Fontanes:] (keineswegs.)
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