wir vor 2 Monaten bereits im „Kunstblatt“ gelesen! Das ging nicht. Sie können einwenden: „Ja, warum mußten diese Aufsätze überhaupt in der ,Zeit‘ erscheinen? Der ,Macbeth‘-Aufsatz war Eggers zugesagt und damit basta.“ Das wäre richtig, wenn es sich um diesen Aufsatz handelte. Aber es handelt sich bei dieser Frage nicht um einen Aufsatz, sondern nahezu um ein ganzes Buch, woran ich im letzten Winter vier, fünf Monate lang gearbeitet habe. Eggers denkt, er sei der Hauptveröffentlicher dieser Shakespeare-Briefe; aber was das „Literaturblatt“ bisher davon gebracht hat, waren nur Probestücke, einzelne Vorposten, kunterbunt aus dem geordneten Gros der Armee herausgenommen. Die eigentliche Arbeit hatte ich seit Jahresfrist Metzeln zugesagt, und die Frage lag für mich einfach so: „Kann der ,Macbeth‘-Aufsatz ohne Schaden für dich zweimal gedruckt werden oder nicht?“ In Berlin beantwortete ich mir diese Frage mit einem dreisten „Ja“ und gab mein Versprechen an Eggers; in London wurd ich ängstlich und überzeugte mich, als die Arbeit fertig war, daß es nicht ginge. Die Vorwürfe, die mir Eggers jetzt macht, sind innerhalb des Rechts, aber nicht innerhalb der Billigkeit. Ich habe nur darin entschieden gefehlt, daß ich Eggers von diesem Wechsel meiner Ansicht nicht in Kenntnis setzte. Aber ich habe das mit Vorbedacht unterlassen, wenn ich jetzt auch nicht leugnen kann, daß meine Berechnung gegen mich ausgeschlagen ist. Jeder, der unsern Eggers seit Jahren kennt, weiß, daß er gelegentlich Arbeiten bestellt und sich hinterher keinen Pfifferling draus macht, ob er sie kriegt oder nicht. Darauf hin hatte ich spekuliert, als ich es unterließ, ihm Anzeige von meinem veränderten Entschluß zu machen. Hätt er zufällig ein halbes Dutzend andrer Aufsätze auf dem Lager gehabt, so würd es ihm nicht eingefallen sein, mich zu mahnen; es ist ein Pech für mich, daß eine Dürre bei ihm eintrat, die ihn veranlaßte, sich nach allen möglichen mal zugesagten Gießkannen in der Nachbarschaft umzusehn. Ich mag nicht ganz ohne Schuld sein, aber sie ist wirklich sehr gering. George geht seit 8 Tagen in die Schule, und zwar zu Johannes Ronge. Es kommt wunderbar im Leben. Erst wollt ich aus guten Gründen von der Sache nichts wissen; die Sache machte sich aber zuletzt so natürlich, daß es Torheit und Eigensinn gewesen wäre, wenn ich bei meinem ursprünglichen „Nein“ beharrt hätte. George weinte nämlich, sooft er von einer englischen Schule hörte, was ich begreiflich fand. Ich ging nämlich eines Tages mit ihm spazieren, und zwar durch Clerkenwell, den allertollsten Teil von London. Es war 4 Uhr und die Schule gerade aus. Plötzlich stürzten aus einem baufälligen Hause mit zerschlagenen Fensterscheiben 30 bis 40 zerlumpte Jungen heraus, warfen sich die zerbrochenen Schiefertafeln an den Kopf, boxten und zausten sich, so daß mein Heldenjunge sprachlos dastand und erst wieder aufatmete, als wir um die nächste Ecke waren. Ich sagte ihm, das sei eine englische Lumpenschule; er kann indes das Bild nicht wieder loswerden und glaubt, daß es in jeder englischen Schule ähnlich hergehn müsse. Mich brachte die ganze Sache in wirkliche Verlegenheit. Ronge bot ein Auskunftsmittel. Die Kinder des Dr. Beta, mit denen George ein Herz und eine Seele ist, gehen zu Ronge in die Schule, und die Freundschaft der Kinder untereinander führte es bald dahin, daß George für den Gedanken zu schwärmen begann, auch
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