Heft 
(1985) 40
Seite
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einer von der Partie zu sein. Ich gab nach, weil ich nichts Beßres wußte. Die Unterrichtsmethode ist die Fröbelsche; ein sogenannterKindergarten spielt die Hauptrolle, in dem, glaub ich, viel radgeschlagen und wenig gelernt wird. Kopfstehn ist die einzige Kopfarbeit. Ich bin nicht traurig darüber; George lernt bei uns vollauf, und derKindergarten wird das Gute haben, daß der Junge seine Scheuheit verliert.

Indien, wie Sie bemerken, ist wirklich ein interessantes Kapitel; aber ich kann mich durchaus nicht bis zur Entrüstung erheben und bin sehr froh, daß unsre Regimenter nur Staub zu schlucken anstatt Hindublut zu trinken haben. Ich lese die Schilderungen, wie man eine stoffreiche Erzählung liest, es interessiert halbwege, aber es ist Neuigkeitsfutter, nicht Herzens­nahrung. Ich bleibe kühl und nüchtern dabei. In Mecklenburg kam es vor 20 Jahren vor, daß sich ein ganzes Dorf gegen den Amtmann ver­schwor, der ihnen ein Vierteljahrhundert hindurch jede erdenkliche Unbill angetan hatte. Er hieß Haberland und gehörte einer Familie von lauter kleinen Tyrannen an. Die Bauern zerstörten ihm endlich das Haus, tranken seinen Wein aus, entkleideten ihn und ließen ihn, während sie zechten, immer 10 Minuten lang auf Glas tanzen, gönnten ihm hinterher eine Stunde Ruhe und ließen ihn dann den blutigen Tanz aufs neue beginnen. Diese Geschichte hat nie großen Eindruck auf mich gemacht. Warum nicht? weil sich Schuld und Strafe in ihr neutralisieren und Mitleid und Rechts­gefühl sich so völlig die Waage halten, daß das Gemüt in Ruhe und Balance bleibt. Ganz so ist es mit den Vorgängen in Indien. Man hat ein Volk, das, in ähnlicher Weise wie die Italiener, Anspruch auf unsre Sympathien, auf Bewundrung ihrer hohen Geistesgaben hat, oft mit Bru­talität, immer aber mit stupider Selbstüberschätzung niedergetreten, und ich freue mich stets, wenn in Fällen solcher oder ähnlicher Unbill der Rückschlag kommt und wenn die getretne Schlange siegreich nach jener Stelle zischt, wo die überlegne, aber rohe Kraft verwundbar geblieben Ist. Dies ist auch der Grund, warum ich für die große Epoche des Papsttums schwärme! wenn ich mal in Banden geschlagen werden soll, so geb ich der Macht, die eine Kirche über mich hat, vor den Fäusten eines Lanz- knechts oder irgendwelcher Polizeikreatur den Vorzug. Mein Herz jubelt stets, wenn ein getretnes Volk, Christ oder Heide, seine Bedrücker niederwirft. Ich verkenne auf der andern Seite nicht, daß Männer und Völker ihre großartig-mörderischen Missionen haben. Ich sympathisiere mit dem Widerstand der alten Sachsen, aber ich habe gleicherzeit Respekt vor jenem Kaiser Carol, der mit Blut und Feuer taufte. Das war eine Mission. Diese englische Kattun-Mission aber, mit etwas spackem Christentum und Unzucht und Opiumkisten, mag auch ein Werkzeug in der Hand des Höchsten sein, aber ich kann mich ebensowenig dafür begeistern wie für die Taten des Schweinetreibers und Quartanerhelden Pizarro. Wenn man älter wird, denkt man gering von diesen Schlagetots. Und nun wie immer der Ihre

Th. Fontane