Heft 
(1906) 35
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denen sie nachher unten frühstückte und die doch nicht lang­weiliger waren als sonst, und sich über einen Koch stritten, den sie einmal in Schanghai gehabt: war es der Hung gewesen, der Schmutzfink, oder der Li, sein Vorgänger, der so viel stahl? oder doch Hung? Und Thomasine Rasmussen hörte kaum zu und schaute ins Leere und sah plötzlich Erich Barde­fleet vor sich.

Er hatte schon seinen Morgenritt gemacht. Weiße Pferde­haare klebten an seinen bauschigen Hosen, die vom Knie abwärts plötzlich in ganz enge, gelbe Gamaschen über­gingen, und sein Gesicht war erhitzt. Der Sportanzug klei­dete ihn gut. Er sah groß und kräftig darin aus. Ein Hauch von Morgenfrische und Gesundheit und robustem Selbstgefühl umwehte ihn, wie er da, die Reitpeitsche unter dem Arm, stand. Seine Sporen klirrten leise. Sie sah,

daß deren Ränder blutrote Spitzen trugen. Er hatte seinen Schimmel nicht geschont.

Sie beide gingen hinaus in den Hotelgarten, wo es still und sonnenheiß war und fremdartige Palmen aus Indien ihre Federkronen auf hohen weißen Stämmen wiegten und seltene Blumen im Gras leuchteten und braune Gärtner in purpurnen Kopftüchern, sie pflegend, daneben knieten. Da schritten sie nebeneinander die Kieswege auf und ab, und er fragte sofort: Was war das nun eigentlich gestern mit Ihnen, Fräulein Rasmussen? Man könnte geradezu glauben, dieser Kilian Böhm hätte Sie verhext gehabt!"

Nein!" versetzte sie.Ich Hab' mich nur geärgert! Über euch alle, und über Sie ganz besonders, Herr Bardefleet! Ihr treibt da euren Spott mit einem Menschen, der geistig weit über euch steht . . ."

Danke!" sagte Erich Vardefleet.Ich bin mir meiner Minderwertigkeit voll bewußt. So war ich schon als kleiner Junge, immer ein seelenguter Kerl, aber dumm dumm! Nichts zu machen! Und wodurch hat Kilian Böhm Ihnen seine höhere Begabung bewiesen . . .?"

Er hat mir erzählt von der Sphinx was die schon gesehen hat . . ."

. . . und daß er selber dabei gewesen ist, vor ein paar tausend Jahren, das nicht auch?"

So etwas Ähnliches!" gab sie zögernd zu.

Na, da sehen Sie doch, wie verrückt er ist!" Erich Barde­fleet Zündete sich gleichmütig eine neue Zigarette an.Zu drollig, daß Sie so jemanden ernst nehmen ..."

Nun ja . . . etwas Sonderbares ist ja natürlich in ihm! Aber ..."

Sonderbar? Verbummelt ist er bis in die Knochen! Wenn man ihn mit ins Bierhaus nimmt, schwatzt er jedem solches Zeug vor, die ganze Nacht hindurch, solange man ihm frisches Pilsener zahlt. Ich hab's ein paarmal getan, bis er mir zu langweilig wurde. Und zum Dank beißt er mich gestern nachmittag in den Finger frech wie ein Affe! Ein unmanierliches, kleines Scheusal ist er! Auf diese Er­oberung brauchen Sie nicht stolz zu sein, Fräulein Rasmussen! Wissen Sie, was die Leute neulich mit ihm getan haben? Da legten sie ihn, wie er zuviel getrunken hatte, abends in den Schlafwagen nach Luxor, und am andern Morgen wachte er plötzlich in Oberägypten auf und hatte keine Ahnung, wie er dahin gekommen war, und schimpfte wie ein Rohrspatz . . ."

Das war recht roh!" sagte Thomasine. Aber es gefiel ihr auch nicht recht, daß Kilian Böhm solche Späße mit sich treiben ließ.Ihr solltet doch Mitleid haben! Ein Mensch von dieser geistigen Bedeutung . . . oder merken Sie die überhaupt nicht, Herr Vardefleet?"

Ihr Begleiter zuckte die Achseln:Wenn er früher Verstand hatte, so hat er ihn eben verloren. Gegenwärtig redet er Unsinn, den er so oft wiederholt hat, daß er selber steif und fest daran glaubt an seine Seelenwanderung, daß er schon einmal ein Elefant war, und auf den Ringen des Saturn rundum gelaufen ist, und all den Kram, das sind doch Nacht­

phantasien, Alkohol, Haschisch, Zu viel türkischer Kaffee, Herrgott ja, weiter nichts."

Thomasine Rasmussen war etwas gedrückt.Aber wenn man ihn gehört hat," sagte sie,kommt man sich so ober­flächlich vor, wie man so in den Tag hineinlebt und nichts tut ..."

Ja, tut er denn etwas? Wenn man die mensch­liche Faulheit malen will, so ist doch Kilian Böhm das Modell! Denken Sie nur, wie der Wicht im Sand sitzt und blinzelt."

Sie wußte nicht gleich etwas zu entgegnen.Aber es ist doch eine andere Faulheit!" meinte sie endlich.Sie kommt doch bei ihm von innen heraus, aus Überzeugung sozusagen."

Sie kommt einfach aus einem Menschen, der einen zu schwachen Charakter hatte und an sich selber im Leben Schiff­bruch gelitten hat und ganz verträumt und versumpft ist!" sagte der hanseatische Patrizier hart und ernster als bisher. Was ist das nun für eine Existenz? Die Wissenschaft hat ihn längst aufgegeben! Das weiß ich von hiesigen Ägyptologen. Die andern Europäer Hier verachten ihn, die Orientalen be­lächeln ihn, er ist ein unglücklicher Zwitter zwischen Morgen- und Abendland geworden mit allen Gebrechen und Untugen den beider Rassen, im besten Fall ein großes Kind, aber zu nichts mehr gut, und das Greuliche dabei für einen Men scheu wie mich ist, Zusehen zu müssen, wie solch jemand die Fähigkeiten, durch die wir Europäer die Welt beherrschen, vor aller Augen ablegt wie gebrauchte Wäsche: die Achtung vor sich selber auch die körperliche! Stiften Sie ihm doch 'mal ein Stück Seife, es tut not - und die Willens­kraft und die Selbstzucht und Kaltblütigkeit, alles, es bleibt nichts als ein kleiner schlafmütziger Faulpelz im Sand, ja, das kann jeder: sich da hinsetzen und verworrenes Zeug schwatzen, solche sonderbare Heilige finden Sie doch vor jeder Moschee, aber ein Europäer ist dann in meinen Augen ein Tropf. Und wie soll er denn da andern irgend etwas sein oder ihnen helfen, wenn er sich selber so gar nicht hat helfen können?"

Seine lange, gegen den Schluß hin immer stärker erregte Rede hatte Eindruck auf Thomasine gemacht, mehr als sie sich selbst zugeben wollte. Sie fühlte sich etwas ernüchtert und beschämt in ihrem Glauben an Kilian Böhm. Und so sagte sie bedrückt:Aber dann sollte er Ihnen doch wenigstens leid tun!"

Gern!" Erich Vardefleets Aufwallung war schon wieder verflogen. Er griff bereitwillig nach der Brieftasche, um ihr eine milde Spende für den Weisen in der Wüste draußen einzuhändigen, und sie wehrte unwillig ab.So meinte ich es nicht!"

Doch! Doch! Kaufen Sie ihm Kamm und Bürste dafür und einen Spiegel!"

Nein! Seien Sie, bitte, ernsthaft..."

Ich bin ernsthaft!" sagte Erich Bardefleet und lachte. Er fühlte, er hatte gesiegt.Was kann ich für Kilian Böhm tun? Ihm die Brüderschaft antragen? Befehlen Sie! Ich bin zu allem bereit."

Sie sollen einfach anders gegen ihn sein, nicht so, wie man im Mittelalter gegen seinen Hofnarren war, dazu ist er zu gut."

Schön! Ich werde mich künftig respektvoll gegen ihn benehmen!" versicherte ihr Geführte. Sie sah ihn zweifelnd an. Aber er erklärte noch einmal, ohne eine Miene Zu ver­ziehen:Kilian Böhm kann mich nicht beleidigen. Also brauche ich ihm wegen seiner Grobheiten gestern nicht zu grollen. Wenn ich ihn wiedersehe, schüttle ich ihm die Hand und behandle ihn streng als Gentleman."

Wirklich?"

Peinlich streng! Mein Wort darauf! Und jetzt muß ich leider weg! Denken Sie sich: all meine Kisten aus dem Sudan sind angekommen. Wenn ich nicht selbst zum Schiff