Heft 
(1906) 35
Seite
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hinuntergehe und beim Ausladen dabei bin, geschehen lauter Dummheiten. Also für jetzt: Guten Morgen!"

Guten Morgen, Herr Bardefleet!" sagte Thomasine Rasmussen feindselig. Bald nach ihm trat auch sie auf die Straße. Es war ihr nicht recht, daß er gegangen war. Sie hätte ihn lieber bei sich gehabt und empfand nun gar leine Lust, irgendwelche Bekannte aufzusuchen und mit ihnen in den Lüden herumzustöbern und sich von den schlauen, europäisch gekleideten Indiern Silberfiligran und Stickereien ausschwatzen zu lassen. Sie schritt ziellos unter ihrem Sonnenschirm durch das bunte Getümmel, an der Tropenpracht des Esbekiehplatzes vorbei und weiter gegen den Nil hin, voll eines unbestimmten Mißmuts, daß sie sich unter Kilian Böhm doch etwas anderes vorgestellt habe, als er wirklich war, und daß solch ein Mangel an Menschenkenntnis, solch ein Strohfeuer von Begeisterung doch etwas sehr Lächerliches in den Augen eines Mannes wie Erich Bardefleet sein müsse, der die unangenehme Eigenschaft hatte, fast immer recht zu Haben mit dem letzten Wort, das er sprach.

Es war das erstemal, daß sie so ganz einsam in Ägypten über die Straßen ging, im fremden Erdteil, zwischen dunkel- häutigen, farbig gekleideten Leuten. Es fiel nicht weiter auf. Die vielen Amerikanerinnen und Engländerinnen in Kairo waren an Selbständigkeit gewöhnt. Aber Thomasine Rasmussen selbst hatte ein Frösteln des Ungewohnten. Man trat sonst immer scharenweise auf im Pharaonenlande. Man veranstaltete Partien und fiel urplötzlich lachend und lärmend in das Todesschweigen irgend eines Wüstentempels ein, um da zwischen zerschellten Steinkolossen und geborstenen Riesensäulen zu lunchen, man gondelte gemeinsam auf dem Nil, man beobachtete vom Automobil, mit dem wählerischen Blick des Kenners, das Farbenspiel des Sonnenuntergangs, ob der blutrot wie gestern sein würde oder sonderbar schwefelgelb wie neulich, es war eine merkwürdige, aber nicht unangenehme Empfindung, das alles einmal los zu sein und ganz frei zu sein und selbständig zu handeln.

Und so schritt sie leichtfüßig dahin, zu der großen Nil­brücke, die sie gestern befahren, und über die auf das andere Ufer, und als sie da die Straßenbahn nach den Pyramiden stehen sah, stieg sie ein und fragte sich erst, als sie schon fuhr, was sie denn allein da draußen wolle, und fand die Antwort: gerade allein! Da würde diese Stätte der Jahrtausende ganz anders auf sie wirken als bisher, im Trubel der andern, und die ernste Stimmung, die Kilian Böhm gestern in ihr erweckt, nun doppelt nachklingen. Ihm selbst brauchte sie dabei ja nicht zu begegnen. Er konnte sie auch von seinem Zelt aus gar nicht an der andern Seite der Pyramide sehen.

Und als sie vor der stand, wandelte sie plötzlich die Lust an, auf die Spitze zu steigen. Das hatte sie noch nie getan. Es war ja nicht gefährlich, aber immerhin ein kleines Abenteuer. Und das wollte sie eben. Sie wollte auch einmal etwas auf eigene Faust unternehmen. Mochten sich nachher die andern wundern. Das war ihr in ihrer jetzigen, unruhigen und ge­reizten Stimmung gerade recht. Und kurz entschlossen dang sie sich Führer unter den sie umschreienden Beduinen und wollte eben, nachdem der Erlaubnisschein gelöst und alles bereit war, den Fuß auf die erste Stufe setzen, da legte sich ihr von hinten eine Hand auf die Schulter, und Kilian Böhm stand, wie sie sich umwendete, als Araber vor ihr, ein wenig erhitzt und atemlos, denn er war gesprungen, und sagte freundlich, aber ohne jedes Erstaunen:Allein können Sie mit den Leuten da nicht hinauf. Da gehe ich lieber mit. Das bin ich gewohnt."

Und zugleich rissen schon zwei ausgestreckte Händepaare Thomasine Rasmussen über die ersten meterhohen Blöcke, ein dritter Araber schob aus Leibeskräften von hinten und so ging das unter stetem Drängen und Vakschischgekeuche wohl eine halbe Stunde lang steil in die Höhe, und Fräulein Rasmussen kam sich in ihrer Atemlosigkeit bald nicht mehr

wie ein Mensch, sondern wie ein Ballen vor, den starke Männer in steter Schwebe emporzogen und -zerrten und ein paarmal auf eine Felsenbank niederlegten und dann unter erneutem Triumphgeschrei weiter beförderten. Es war eine unrühmliche Kletterei, und in ihrem Schwanken zwischen Lachen und Ärger und Erschöpfung mußte sie über Kilian Böhm staunen, der viel gewandter, als sein rundlicher Körperbau ahnen ließ, förmlich nrit den durch Übung gewonnenen, katzen­artig schleichenden und lautlosen Bewegungen des Orientalen die Treppenabsätze Hinaufstieg, und war froh, als der Nord­wind immer kälter um die Kante der Pyramide wehte und über ihr keine steilen Ouadern mehr, sondern nur noch blauer Himmel sichtbar war.

Da standen sie auf den: Gipfel einer heißen, grauen Steinsläche, die wohl für zwanzig Menschen Raum bot. Jetzt auf einmal, von da oben, sah man ganz deutlich, was Ägypten eigentlich war nur eine einzige riesenhafte, ganz schmale, schlangenförmige Oase, deren Rückgrat der vielfach gewundene Nil bildete. An seinen beiden Ufern grünten die Felder und blinkten die Wasserpfützen und rauschten die schwarzen Palmenwälder über den grauen Fellachendörfern dicht daneben flammte zur Rechten wie zur Linken die tote, gelbe Wüste und rahmten zwei kahle Höhenzüge sie ein, soweit man sehen konnte. Fern im Norden trübten die Seenebel des Mittelmeers den Horizont. Nach der andern Seite hin war ein unbestimmter, weiter, weißlicher Schein. Tausende von flachen Dächern dämmerten da ineinander. Da lag Kairo. Dort stand jetzt Erich Bardefleet und ärgerte sich mit seinen Koffern. Darüber mußte Thomasine Rasmussen lachen. Ihr war jetzt, nachdem sie ein wenig zu Atem gekommen war, sehr frei und leicht hier oben zumut.

Sie hatte sich auf den warmen Boden hingekauert und die Hände über den Knien verschränkt. Die Araber waren unsichtbar. Sie hockten etwas abwärts im Schatten einer Stufe. Kilian Böhm hatte sie da hinuntergeschickt. Er selbst stand am Rand des Plateaus und hielt die Arme ausgebreitet und die Augen blinzelnd gegen die Sonne gerichtet. Seine verträumten Züge trugen einen feierlichen Ausdruck. Er murmelte etwas. Es klang wie: ^llällu-alldar

^IlLllu-akdar der dreifache Gebetruf von der Moschee. In seinem weißen Mantel, der sich grell von der tiefblauen Luft dahinter abhob, sah er wie ein Geist aus. Dann rieb er sich geschäftig die Hände, trat von einem seiner bloßen kleinen Füße auf den andern die Pantoffeln hatte er, weil sie beim Klimmen beschwerlich waren, unten gelassen und nickte stumm, in einer weltentrückten Erregtheit, als sei er Herr über alles, was sein Auge da unten sah.

Ihr Blick folgte den: seinen in dre Tiefe. Wie klein war das alles wie winzig klein. Die Araber am Fuß der Pyramide schauten wie weiße und bunte Pilze aus - die Kamele im Sand wie Feldmäuse das große Mena Haus wie ein weißlackiertes, eben aus der Schachtel gepacktes Kinderspielzeug selbst die Sphinx drüben war zu einer einfachen liegenden Statue geworden, wie man solche Sand­steinfiguren wohl in deutschen Schloßgärten aus der Zopf zeit sah Thomasine Rasmussen wendete das Auge bei­nahe erschrocken wieder ab und in die Ferne. Ganz dort drüben, jenseits der Wüste, halb in ihr verschwimmend und im fahlen Dunst wie durchsichtig, stand da wieder eine Gruppe von zeltartigen Dreiecken gleich einer Luftspiegelung am Horizont.

Die Pyramiden von Sakkarn!" sagte Kilian Böhm.Die ältesten Bauwerke der Erde."

Er hatte sich neben sie hingelegt, den Kopf auf die Hand gestützt und sagte schläfrig, sich in der Sonne dehnend, halb wie im Traum:Siebentausend Jahre stehen jetzt die Pyramiden drüben. Länger als hundert Menschenleben. Hundertmal ist der Mensch, der in ihrem Schatten sein Zelt aufgeschlagen hat, gestorben und wieder geboren worden und hat gelebt und ist wieder gestorben und war wieder da. Vis heute. Er

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