Welt .“ 2 ' 1 Hier wird die Umfälschung preußisch-deutscher Ideenpolitik zu Schlagworten machtstaatlicher Ideologie, wie im Fragment scharf angeprangert, eindrucksvoll bestätigt.
Fontane selber beschäftigte sich erst in den letzten Monaten seines Lebens gründlicher mit Kant, ohne freilich so recht den „beiden Welten a priori beizukommen “. 25 Bis dahin, so bekannte er gegenüber Friedrich Paulsen, sei er in seiner „Kantkenntniß über ein paar Anekdoten und eine gleiche Zahl landläufiger Redewendungen nicht hinausgekommen “. 26 Bedenkt man aber, welchen hohen Stellenwert Fontane allem Anekdotischen einräumte, jenem „Kleinkram“, der ihm im Schaffensprozeß seiner Werke oft genug Quell- und Anlehnungspunkt wurde, dann gewinnt der Hinweis auf Kant eine Dimension, die sich weder im Amüsanten noch im Unterhaitlichen erschöpft. „Das Nebensächliche“ galt ihm nichts, „wenn es bloß nebensächlich ist, wenn nichts drin steckt. Steckt aber was drin, dann ist es die Hauptsache, denn es gibt einem dann immer das eigentlich Menschliche.“ 2 ' Auch Stägemann erzählt seinem Mündel Adalbert Schulze keineswegs „bloß unterhaltliche Schnurren“ in Form von Anekdoten, er versteht sie vielmehr als „ernste Sachen, [als] Samenkörner, die, wenn sie auf den richtigen Boden fallen hundertfältige Frucht tragen .“ 28 Eine ernste Sache ist es in der Tat, wenn in der Anekdote über die Zeit Friedrich Eisenzahns die Kantsche Pflichtethik dergestalt zum Kadavergehorsam entwertet wird, daß solche „hohe sittliche Heldenschaft“ nur noch beißende Ironie hervorruft. Die zweite Anekdote, sie hat eine Truppenrevue unter dem Soldatenkönig zum Gegenstand, verweist auf einen Ansatz, der in Preußen ebensowenig unbekannt war, nämlich den Gehorsam zu verweigern, zum Frondeur zu werden, wenn es Gewissen und Gesinnung verlangten, dann fx-eilich unter Preisgabe der eigenen Existenz. General York in der Mühle vor Tauroggen gehört hierher, aber auch Fontanes „Liebling“ Friedrich August Ludwig von der Marwitz, der für den Wiederaufstieg Preußens nach Jena und Auerstedt ganz anderes plante als das, „was in den Augen der Neugestalter Preußens als das Richtige galt“. Über das Unzeitgemäße seines Denkens ist die Geschichte hinweggeschritten. Nicht persönlicher Vorteil trieb ihn zum Handeln, sondern das Gesamtwohl des Staates, wie er es verstand. Es war der „Adel seiner Gesinnung“, welchen Fontane schätzte, das Getragensein dieses Edelmannes von „ideellen Anregungen“. Pflicht-, Rechtsbewußtsein und Mut zum Opfer, ohne daß „Ordre gegeben“ werden mußte, aber auch die wache Bereitschaft der Fronde, wenn es sein mußte, bildeten das Fundament dieses Altpreußen mit „festem Rückgrat “. 20 Nicht hierher gehört der Oberst der zweiten Anekdote, welcher, einzig und allein sidi selber hingegeben, die Pistole an der eigenen Schläfe abfeuerte. Wie kritisch Fontane über den sogenannten „Ehrenstandpunkt“ dachte, bedai'f keines erneuten Beweises. Das Widerstandsi-echt, so Wruck, müsse, weil allein auf das Subjektive beschränkt, kritisch gesehen werden. Hier läßt sich noch einen Schritt weitergehen. So kühn die Tat auf den ersten Blick anmutet, so sehr bleibt sie auf den zweiten jener geistigen Schulzenschaft verhaftet, zu deren Kennzeichen der völlige Mangel an innerer Unabhängigkeit und eigenständigem Denken ebenso gehört wie die Befangenheit im Selbstischen.
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