Auch diese Anekdote gilt der Auseinandersetzung mit Preußen. Man fühlt sich an Schach von Wuthenow erinnert, der „zu dem alten Auskunftsmittel der Verzweifelten“ greift: „un peu de poudre“; der, um Bülow zu zitieren, seinem König gehorcht, „aber nur, um im Moment des Gehorchens den Gehorsam in einer allerbrüskesten Weise zu brechen“. 30 „Preußische Idee“ als gänzlich unreflektierter Gehorsam, als „Kultus einer falschen Ehre, die nichts ist als Eitelkeit und Verschrobenheit“? Gerade das mochte Fontane darunter nicht verstanden wissen.
Wollte es mit dem, was gestern galt, gar nicht mehr weitergehen, weil Ideen nicht anders als gesellschaftliche Normen und Zustände altern, verkrusten, Entwicklung hemmen und schließlich unbrauchbar werden können, so ließ sich das Herkömmliche zur Not auch mit wechselnder Verbindlichkeit behandeln, sozusagen von Fall zu Fall und, wenn es opportun war, umdeuten oder zum Verschnitt verwässern. Versuchte gar Wilhelm II., trotz reichlich vorhandener Möglichkeiten, „das Neue mit ganz Altem“ zu schaffen, Modernes „mit Rumpelkammerwaffen“ aufzurichten, dann sah es bedenklich aus. Durch Ideen von gestern, „durch Grenadierblechmützen, Medaillen, Fahnenbänder und armen Landadel, der seinem ,Markgrafen durch Dick und Dünn' folgt, wird es aber nicht erreichen“. 31 Daß veränderte geschichtliche Situationen neue Ideen erheischten, wußte und wünschte Fontane. Daß der Krieg von 1870/71 nach Voraussetzungen, Verlauf und Ergebnis ein anderer war als der von 1813, galt ihm ebenso gewiß wie die Tatsache, daß der preußische Staat von 1888 und 1894 nach seinen Aufgaben und Funktionen nicht mehr das Preußen von 1685 oder 1813 war und die preußische Idee nicht mehr nahtlos die gleiche — vor und nach der Reichsgründung. Auch ideenmäßig bedarf es eines neuen Entwurfes, denn „ein deutscher Kaiser ist in der Tat was anderes als ein Markgraf von Brandenburg“. Allerdings genügt es da nicht, mit der „Pop- lichkeit, der spießbürgerlichen Sechsdreierwirthschaft der 1813er Epoche“ zu brechen. „Neue Hosen läßt er sich wohl machen. Er hat eine Million Soldaten und will auch hundert Panzerschiffe haben“. Aber was die Ideen betrifft, so flickt man die alten aus, umwickelt die alten Schläuche, denen man nicht mehr traut, „mit immer dickerem Bindfaden“. „Es wird aber nicht halten.“ 32 So gehandhabt — und hier setzt Fontanes Kritik an — verkümmert, was einmal preußische Idee war, zur Ideologie, ihre Ingredienzien reduzieren sich zu Schiagwörtern, ihr moralischer Gehalt zerstäubt zur Anpassung an machtpolitische Gelegenheiten, und ihr Handlungsspielraum erschöpft sich in taktischen Winkelzügen. Daher kann Professor Hehnchen sagen: „...diese preußische Idee geht durch — Preußen nimmt, wenn es geht, und nimmt nicht, vcenn es nicht geht.“ 33 Wo aber bleibt das Geben, wo wird die innere Reichsgründung vollzogen? Statt dessen breitet sich Borussentum aus mit all seinen unerfreulichen Begleiterscheinungen, ruht „alle reformatorische Macht beim Geldbeutel“, und „Recht gilt gar nicht..., wer aber mit nichts kommt als mit Idee, Wahrheit, Recht, wer losgelöst von eigner und Anderer Selbstsucht eine .Frage* durchfechten will, der kann nur gleich zu Hause bleiben. Es gibt nur noch persönliche, aber keine höheren Interessen, alles wird durch Furcht oder Vortheil oder Ehrgeiz bestimmt.“ 34 Was fehlt, ist Gesinnung,
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