wie sie Fontane dem alten Preußen als tragendes Fundament zumaß. Solcher Befunde ungeachtet, wagte Fontane gleichwohl den Versuch, die „preußische Idee auch im Widerspruch zu erkennen“, wie Wruck betont. Man muß hinzufügen: er hat es trotz allem versucht. Dabei gelangte er fallweise, etwa was die Schaffung des deutschen Einheitsstaates betraf, bis zur Übereinstimmung mit dem herrschenden Bewußtsein. Im ganzen konnte dies freilich nicht gelingen. Sein ausgesprochenes Loyalitätsbewußtsein gegenüber dem preußischen Staat fühlte sich den neuen Zuständen um so weniger verpflichtet, je mehr sie, im Selbstischen befangen, von der einstigen Ideenpolitik, sei sie richtig oder falsch gewesen, nichts mehr wissen wollten, je mehr „an die Stelle des selbständigen Denkens ... Salamanderreiben und Nachplapperei“ 35 getreten waren.
Auffällig ist, daß von „Gesinnung“, die Fontane als Prüfstein für „Ideen“ galt, expressis verbis an keiner Stelle des Fragments die Rede ist, wohl aber von den Folgen ihres Ermangelns. Wie hatte Fontane 1898 an Gustav Keyßner geschrieben? „Der Mensch kann nicht mehr thun, als sein Herz und wenn’s sein muß sein Leben einsetzen, sich ehrlich zu was zu bekennen. Ist das da, kann von Phrase keine Rede mehr sein.“ 3fi Das gilt bis hin zum Widerstand, zur Fronde. Auch seine Auffassung von Heldentum belegt das. Man weiß, wie kritisch er dem, was seine Zeit unter Heldentum verstand, gegenüberstand, weil es ihm zumeist als „fable convenue, Renommisterei, Grogresultat“ 37 erschien. Nicht die spektakuläre Aktion, plangetreu und erfolgreich ausgeführt, fand seine Bewunderung, sondern Heldentum als „Ausnahmezustand“, als „Produkt einer Zwangslage“ 38 , als „ganz stilles Heldentum“ 39 . „Mein Heldentum“, so leitet Lorenzen seine Geschichte vom Leutnant Greely ein, soll heißen, was ich für Heldentum halte —, das ist nicht auf dem Schlachtfelde zu Hause, das hat keinen Zeugen oder doch nur immer solche, die mit zugrunde gehn. Alles vollzieht sich stumm, einsam, weitabgewandt ... Echtes Heldentum ... steht immer im Dienste einer Eigenidee, eines allereigensten Entschlusses ... Die Gesinnung entscheidet. Das steht mir fest.“ 40 Die Tat Greelys erfährt in ihrer Bewertung durch den alten Dubslav, durch Pastor Lorenzen und nicht zuletzt durch den Dichter selber „eine schockierend andere Rangordnung, als Recht, Gesetz, Übereinkunft festgelegt haben.“ 41 Zur Staatsgesinnung eines Theodor Fontane gehörte der Pflichtgedanke ebenso wie Toleranz, gehörten Rechtsstaatlichkeit, Leistungsbereitschaft, geistige und politische Freiheit. Gesinnung wieder zum Maßstab des Denkens, Handelns und Verhaltens zu erheben, erschien ihm als Gebot der Stunde für den einzelnen, für gesellschaftliche Gruppen, für die „regierende Klasse“. Es galt, Verschüttetes freizulegen und Überkommenes kritisch zu überprüfen, um es dort, wo es standhielt, für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Hierauf zu hoffen, hörte Fontane nicht auf, wie wenig seine Erfahrung auch dazu berechtigen mochte.
In diesem Zusammenhang wurde ihm ein Mann wie Treitschke wichtig, der manches aussprach, was Fontane empfand. Der Herold der Reichseinheit und „Propagandist des Preußischen Reiches deutscher Nation“, dessen ebenso souverän wie leidenschaftlich, emotionsgesättigt und wortgewaltig vorgetragene Bildsprache so viele Zeitgenossen mitriß, schlug
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