auch den nachdenklichen Beobachter aus der Potsdamerstraße 134 c in seinen Bann. Mag auch Treitschke heute in mancherlei Hinsicht Ablehnung, bestenfalls Ironie hervorrufen, ja „gebildete Verachtung“ (J. Busche) provozieren - damals sah man es anders. Männer wie er schufen recht eigentlich erst die Legende von der „deutschen Mission“ des Hohen- zollernstaates. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie Fontane die Festrede Heinrich von Treitschkes „Zum Gedächtnis des großen Krieges“ aufnahm. Hier zeigt sich, wie wenig er mit der „preußischen Idee“ „fertig“ war. Nach der Lektüre der Hede fühlte er sich „ganz benommen“, nannte die Ausführungen „ganz wundervoll in jedem Anbetracht“ und wähnte sich „über das gegenwärtige patriotische Tagesblech hinaus in die höhere Sphäre hineingehoben“. Ja, er fügte hinzu: „Gesinnung, Anschauung, Komposition, Stil und Ton, Getragenheit und Durchsichtigkeit ... ja, das lasse ich mir gefallen.“ 42 Mit Treitschke dürfte er skeptisch auf jene „betriebsamen Ährenleser“ geblickt haben, die da „zweifelnd oder höhnend“ fragten, „ob das erreichte Ziel der gebrachten Opfer werth gewesen“, die emsig „all das Widrige und Häßliche“ aufzuspüren suchten, „was sich, wie der Schwamm an den Eichenbaum, an jedes mächtige Menschenwerk ansetzt“, um über der „Fülle des Tadels“ Freude und Dank zu vergessen. 43 Seiner Zustimmung durfte Treitschke gewiß sein, wenn er die Erinnerung an den „alten Fritz“ und den „alten Blücher“ beschwor und auf die „langen Reihen der französischen Namen“ wies, jener Hugenottenabkömmlinge, die sich um Preußen so verdient gemacht hatten, wenn er den Franzosen Gambetta vor deutschen Ohren rehabilitierte und die Tapferkeit des einstigen Kriegsgegners würdigte, wenn er das Fortwirken des Scharnhorstschen Erbes in der Armee betonte und vom gemeinsamen Anteil aller deutschen Stämme am Siege sprach. Darüber hinaus durfte Treitschke Fontanes Beifall sicher sein, wenn er „die revolutionäre Idee der deutschen Einheit“ als „Sieg der monarchischen Ordnung über dynastische Anarchie“ verstanden wissen wollte, als „späte Genugthuung“ für die „verlachten Professoren der Frankfurter Paulskirche“, denen trotz ihres Irrtums, „das Kaiserthum durch den Machtspruch eines Parlaments“ erzwingen zu wollen, die Ehre geblieben war, die „ersten Pfadfinder des nationalen Gedankens“ gewesen zu sein. 44 Der Redner sprach ihm aus dem Herzen, wenn er beklagte, daß sich die deutschen Parteikämpfe nach dem Siege von Jahr zu Jahr „roher und gröber gestalteten“, Folge „einer bedenklichen Wandlung unseres gesamten Volkslebens“, indem die „demokratisierte Gesellschaft“ nicht, „wie die Schwärmer wähnen, nach Herrschaft des Talents“ trachtet, welches immer aristokratisch bleibe, „sondern nach der Herrschaft des Geldes oder des Pöbels, oder nach Beidem zugleich.“ 4 ’ Nicht zuletzt aber trug das Anekdotische, dessen sich der Festredner so treffsicher bediente, dazu bei, daß Fontane bei der Lektüre seinen „Tag von Damaskus“ hatte. Dennoch beschlichen ihn immer wieder Zweifel, wurde doch „der Zusammenbruch der ganzen von 64 bis 70 aufgebauten Herrlichkeit“ allenthalben oifen diskutiert. 41 ’ „Preußen-Deutschland hat keine Verheißung“, so zitierte er 1893 den alten Wangenheim, „das ist richtig“. 47 Gleichwohl bezeichnete er sich fast gleichzeitig als „Gegentheil von einem Schwarzseher“ und fügte hinzu:
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