Heft 
(1985) 40
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auch den nachdenklichen Beobachter aus der Potsdamerstraße 134 c in seinen Bann. Mag auch Treitschke heute in mancherlei Hinsicht Ableh­nung, bestenfalls Ironie hervorrufen, jagebildete Verachtung (J. Busche) provozieren - damals sah man es anders. Männer wie er schufen recht eigentlich erst die Legende von derdeutschen Mission des Hohen- zollernstaates. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie Fontane die Festrede Heinrich von TreitschkesZum Gedächtnis des großen Krieges aufnahm. Hier zeigt sich, wie wenig er mit derpreußischen Ideefertig war. Nach der Lektüre der Hede fühlte er sichganz benommen, nannte die Ausführungenganz wundervoll in jedem An­betracht und wähnte sichüber das gegenwärtige patriotische Tagesblech hinaus in die höhere Sphäre hineingehoben. Ja, er fügte hinzu:Gesin­nung, Anschauung, Komposition, Stil und Ton, Getragenheit und Durch­sichtigkeit ... ja, das lasse ich mir gefallen. 42 Mit Treitschke dürfte er skeptisch auf jenebetriebsamen Ährenleser geblickt haben, die da zweifelnd oder höhnend fragten,ob das erreichte Ziel der gebrachten Opfer werth gewesen, die emsigall das Widrige und Häßliche aufzu­spüren suchten,was sich, wie der Schwamm an den Eichenbaum, an jedes mächtige Menschenwerk ansetzt, um über derFülle des Tadels Freude und Dank zu vergessen. 43 Seiner Zustimmung durfte Treitschke gewiß sein, wenn er die Erinnerung an denalten Fritz und denalten Blücher beschwor und auf dielangen Reihen der französischen Namen wies, jener Hugenottenabkömmlinge, die sich um Preußen so verdient gemacht hatten, wenn er den Franzosen Gambetta vor deutschen Ohren rehabilitierte und die Tapferkeit des einstigen Kriegsgegners würdigte, wenn er das Fortwirken des Scharnhorstschen Erbes in der Armee betonte und vom gemeinsamen Anteil aller deutschen Stämme am Siege sprach. Darüber hinaus durfte Treitschke Fontanes Beifall sicher sein, wenn er die revolutionäre Idee der deutschen Einheit alsSieg der monarchischen Ordnung über dynastische Anarchie verstanden wissen wollte, alsspäte Genugthuung für dieverlachten Professoren der Frankfurter Pauls­kirche, denen trotz ihres Irrtums,das Kaiserthum durch den Macht­spruch eines Parlaments erzwingen zu wollen, die Ehre geblieben war, dieersten Pfadfinder des nationalen Gedankens gewesen zu sein. 44 Der Redner sprach ihm aus dem Herzen, wenn er beklagte, daß sich die deutschen Parteikämpfe nach dem Siege von Jahr zu Jahrroher und gröber gestalteten, Folgeeiner bedenklichen Wandlung unseres gesamten Volkslebens, indem diedemokratisierte Gesellschaft nicht,wie die Schwärmer wähnen, nach Herrschaft des Talents trachtet, welches immer aristokratisch bleibe,sondern nach der Herrschaft des Geldes oder des Pöbels, oder nach Beidem zugleich. 4 Nicht zuletzt aber trug das Anek­dotische, dessen sich der Festredner so treffsicher bediente, dazu bei, daß Fontane bei der Lektüre seinenTag von Damaskus hatte. Dennoch beschlichen ihn immer wieder Zweifel, wurde dochder Zusammenbruch der ganzen von 64 bis 70 aufgebauten Herrlichkeit allenthalben oifen dis­kutiert. 41Preußen-Deutschland hat keine Verheißung, so zitierte er 1893 den alten Wangenheim,das ist richtig. 47 Gleichwohl bezeichnete er sich fast gleichzeitig alsGegentheil von einem Schwarzseher und fügte hinzu:

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