Heft 
(1906) 39
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einschlägigen Bestimmungen ins Gedächtnis zurückzurufen, wirst du die überraschende Entdeckung machen, daß dein jetziger per­sönlicher Zuschuß, mit dem du freilich bisher niemals wirklich ausgekommen bist, nach Ansicht der maßgebenden obersten Kommandostellen bereits hinreichend ist, um standesgemäß eine Frau Zu ernähren. Was aber traurig ist" - der Oberleutnant Hartung erhob seine Stimme >das ist, daß wir dahin­gekommen sind, die Regel als Ausnahme anzusehen. So ver- mammont, verweichlicht und mit allerhand überflüssigen Luxus­bedürfnissen verseucht sind wir, daß die Armut, die früher allem Protzentum gegenüber unfern Adel und Stolz ausmachte, heute ja noch nicht gerade eine Schande ist, aber doch recht merklich am Fortkommen hindert, den damit behafteten Offizier­soldaten nämlich!"

Henner von S crow zuckte mit den Achseln.Verstehe nicht, weshalb du dich so aufregst, Franzei, und hier mit hef­tigen Armbewegungen den Prediger in der Wüste mimst! Das ist doch ganz selbstverständlich, daß wir uns mächtig einschränken werden. Ich bin dazu fest entschlossen, und von meiner Zu­künftigen bin ich überzeugt. . . aber was rede ich da, du kennst sie ja gar nicht, hast also auch kein Urteil über sie!" Und er langte nach seiner wappengeschmückten Tabaksdose, um sich eine Zigarette zu drehen, legte die feinen goldgelben Tabakfäden in das schmale Papier, rollte sie einmal rasch zwischen den geübten Fingerspitzen und führte den Saum des Papierblättchens an die Lippen. Schon bedeutend ruhiger als vorhin, denn nach dem ersten, inzwischen ja erledigten Ansturm ging die Debatte eigentlich nur noch um Selbstverständlichkeiten.

Der Hausherr hielt ihm ein brennendes Streichhölzchen hin und lächelte so eigentümlich.Na schön, dann fangt nur an mit dem Einschränken. Es ist ja auch weiter nicht so schlimm, es gehört nur eine ganze Portion von Charakterfestigkeit und moralischer Tapferkeit dazu!" Die kleine Hausfrau aber wurde ordentlich ärgerlich, titulierte ihren Gatten einensatten Pha­risäer". Und zu Henner gewandt, fuhr sie lebhaft fort:

S'is wirklich e starkes Stück, sich einzubilde, man hält' die altpreuß'sch' Entsagungsfähigkeit allein gepachtet, andre Leut' könnte ei'm das nit nachmacheI Ich bin doch auch leidlich verwöhnt gewesen von zu Haus; als es aber darum ging, meinem Dicken da seinen geliebten Soldatenberuf zu erhalten oder ins Zivil abzumarschieren, da Hab ich mir diese Ver­wöhnungen eben abgewöhnt. Als damals vor drei Jahren der ominöse Brief kam: ,Gnädige Frau, trotz aller Anstrengungen ist es mir nicht gelungen, von Ihrem ganzen Vermögen mehr als fünfunddreißigtausend Mark zu rettend da Hab' ich mich natürlich erst gründlich ausgeheult, dann mir aber einen Ruck gegeben. Setzte mich an meinen Schreibtisch und fing an, alles abzustreichen, was überflüssig war. Die beiden Gäule, die Hunde, die Köchin und das Stubenmädchen, den Weinkeller, die Badereise, die dicken Zigarren und Taplor-made-Toiletten, und als ich fertig war, ging ich zu meinem regierenden Gatten hinüber, der am andern Fenster saß und vor lauter Stumpfsinn und Verschmetterung schon den vierten oder fünften Hennessp trank, und sagte: ,Es geht nicht nur, mein lieber Alter,

sondern es bleibt sogar noch etwas übrig für unvorhergesehene Ausgaben. Nur natürlich war das eben dein letzter Hennessp, und versetzen müssen wir uns lassen, denn ich habe keine Lust, mich hier in Kolmar von den Walküren sämtlicher Waffen­gattungen bemitleiden zu lassen! . . / Na, und ein paar kleine Rückfälle abgerechnet, ging's wirklich. Vier Wochen später landeten wir hier in Maldeinen, und es fing ein ganz neues Leben an. Sehr viel bescheidener als das alte, dafür aber wie soll ich's nur am besten ausdrücken? also um so innerlicher. Vor lauter Festins und oberflächlichen Zerstreuungen war man ja gar nicht dazu gekommen, sich ein bißchen auf sich selbst zu besinnen, und richtig lieb gewonnen haben wir uns erst, als wir aufhörten, daran zu denken, was am Abend vielleicht flos^ sein könnte; als wir anfingen, ein gutes Buch, das wir zu zweien lasen, einer geräuschvollen Geselligleit vor­zuziehen, wie wir mit einem Male merkten, daß uns die kalte

Stulle mit einem Gläschen Dünnbier eigentlich viel besser schmeckte als früher die Diners mit sechs Gängen und drei­mal so vielen gleichgültigen Menschen. Na und wie wir heut' gesonnen sind, mein Franzl und ich, möchten wir unser Leben von heute nicht um eine Welt mit dem ewigen Trallala und Morgen wieder lustill von früher vertauschen! Also es be­kommt gut, das spartanisch einfache Leben, und ist gar nicht so schwer, nur lieb, rechtschaffen lieb muß man sich natürlich haben!" So schloß sie mit einem Aufatmen und streckte ihrem Gatten lächelnd die Hand entgegen. Henner aber nickte seiner tapferen kleinen Freundin, die so mannhaft für seine Alix in die Bresche gesprungen war, dankbar und glücklich zu. Liebe? Daran fehlte es, Gott sei Dank, nicht! Das Herz sprang ihm ja fast auseinander vor lauter Seligkeit, und in den paar Stunden war er schon ein ganz anderer Mensch geworden, tausend Gelübde und heilige Vorsätze in der Brust . . .

Der Oberleutnant Hartung rieb ein paar Augenblicke lang das Kinn in der hohlen Hand, als überlegte er, ob's nicht verlorene Mühe wär', an den rettungslos verliebten Menschen da drüben noch mahnende Worte zu verschwenden, schließlich warf er den Kopf in den kurzen Nacken Zurück . . .Na schön. Jedenfalls braucht man sich hinterher keine Vorwürfe machen zu lassen, man hätte nicht, so lange es noch Zeit war na und so weiter! Also Junge, Henner" seine Stimme bekam ordentlich einen herzlichen Klang -sieh dich vor! Spring nicht mit beiden Füßen zugleich in diese Affäre hinein, laß das Feuer, das jetzt freilich lichterloh brennt, dir nicht über dem Dach zusammenschlagen! Leg erst 'mal eine gewisse Zeit Zwischen heute und deinen letzten Entschluß, die Komtesse selbst wird es sicherlich ja gar nicht erwarten, daß du schon in den nächsten Tagen eine Entscheidung haben willst. Und halt wich um Gottes willen für keinen Wüstenprediger, Hab' gar keinen Beruf dazu und wäre dir am liebsten, wenn die Affäre anders läge, um den Hals gefallen: Mensch, Junge, Bruder­herz, ich freue mich unbändig, denn was dir zur Vollkommen- heit noch fehlt, ist eben eine ordentliche, tüchtige junge Frau! Sparsam, energisch und ehrgeizig, natürlich dabei aber ein lieber Schatz und guter Kamerad . . . also, Henner, mit einer solchen Ergänzung deiner kolossalen Anlagen müßtest du kommandierender General werden? ... So aber? Ein Abenteuer mit wenig tröstlichem Ausgang, wenn du nicht deinen klaren Kopf behältst. Hier in diesem Zimmer sind über die junge Dame, die du zu deiner Frau machen willst, Zu herbe Urteile gefällt worden und, wohlgemerkt, von Leuten, die sie kennen und ihre Zunge nicht gerade leichtfertig spazieren führen, als daß ich dir nicht mit aller Eindringlichkeit raten müßte: übereil' dich nicht! Aber, um endlich Schluß zu machen, denn der Morgen graut schon in die Fenster, also gib mir dein Wort, Henner, vor Ablauf von na sagen wir mal drei Wochen der Komtesse Prahlstorff keinen entscheidenden Antrag zu machen!"

Bedaure!" erwiderte Henner schroff, erhob sich und stäubte die Zigarettenasche von seinen Kleidern.

Der Oberleutnant Hartung zuckte mit den Achseln.Na denn nicht, mein Herr! Gute Nacht, ich geh jetzt schlafen, denn mein Dienst fängt in etwa drei Stunden an. Wenn du mit der lieben Meinigen von deiner Zukünftigen weiter schwärmen willst, Hab ich nichts dagegen!" Und schon in der Tür, wandte er noch einmal den kurzgeschorenen Kopf.Ich bin nicht etwa beleidigt, Henner, durchaus nicht. Nur traurig, daß wieder einmal ein besserer Mann, sozusagen ein Oualitäts- mensch, am Weib zugrunde gehen soll! Und zwar wes­halb? Weil es nicht eine Ergänzung der fehlenden Eigen­schaften, sondern eine Akzentuierung, eine Übertreibung der eigenen, schlechten Eigenschaften darstellt, worüber Ew. Hochwohlgeboren in Ansehung des eigenen Falles vielleicht ein wenig nachzudenken die Liebenswürdigkeit haben. Gute Nacht!"

Er war gegangen, Frau Annemarie stand ebenfalls auf. Ja, Henner, ich weiß Ihnen auch keinen andern Rat zu geben! Oder vielleicht doch: Bitten Sie die Komtesse, mich