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„Ja, nämlich sich zu entschuldigen, daß er nicht gekommen ist!"
„Ach so, du bist's, Henner? Na für so späte Gäste ist der Ausschank eigentlich schon geschlossen, aber wart' einen Augenblick, ich schick' den Jäger hinunter, damit er deine Bessie gleich nach Hause führen kann ..."
Die erste Überraschung nach Henners ein wenig krausem Bericht, in dem er vor dem vertrauten Freundespaar sein ganzes Herz ausgeschüttet hatte, war vorüber. Er saß in Hartungs Schreibtischsessel mit glückstrahlendem Gesicht, denn beim Wiedererzählen all der großen und kleinen Begebenheiten des Abends war es wieder wie ein Rausch von Liebe und Seligkeit über ihn gekommen . . . Der Hausherr ging auf dem dicken Smyrnateppich auf und ab, rieb nachdenklich, wie es seine Gewohnheit war, das glattrasierte, bläulich schimmernde Kinn in der hohlen Hand, Frau Annemarie aber machte sich mit abgewendetem Gesicht etwas an dem Rauchservice zu schaffen, und es entstand eine lange, ziemlich peinliche Pause des Schweigens.
„Na," sagte Henner schließlich ein wenig verwundert, „freut ihr euch denn gar nicht mit mir?"
„O ja," erwiderte der Hausherr bedächtig, „vor allem darüber, daß du dich zwar heftig verliebt, aber doch nicht gleich, wie es nach deinem Bericht zuerst den Anschein hatte, u tomxo verlobt hast!"
„Das kommt natürlich erst," lachte Henner, „morgen oder übermorgen oder später . . . wann, ist ziemlich egal, ist ja auch nur noch eine leere Formalität, denn in der Sache selbst bin ich mit mir und, wie ich glaube, auch mit ihr nach dem heutigen Abend so ziemlich einig . . .!"
„So so ... hm hm ... na ja . . ." Der Hausherr rieb wieder an seinem Kinn ... „Ich wollte damit auch nur gesagt haben, ehe man sich verlobt, überlegt man doch ein bißchen, erkundigt sich vielleicht auch hie und da, versucht auch den Charakter seiner Zukünftigen ein wenig kennenzulernen, so weit diese kleinen Rackers einen da hineinkucken lassen — im großen und ganzen bleibt's doch ein Lotteriespiel, ja — und ich meine, ein königlich preußischer Oberleutenant, ehe er einen so folgenschweren Schritt unternimmt, hat mehr als jeder andere Staatsbürger die Pflicht, sich irgendwo eine Goldwage auszuborgen, um auf ihr..."
Henner unterbrach ihn mit einer unwilligen Handbewegung: „Na erlaube mal, in diesem Fall dürfte doch wirklich nicht viel zu überlegen sein. Alexandra Komtesse Prahlstorff, Tochter des Grafen Prahlstorff, weiland Rittergutsbesitzers und Standesherrn auf Prahlstorff, Langenheide und Bielkau..."
„Ja, der sich wegen unrettbarer Überschuldung und einiger sonstigen Affären, die mit dem Ärmel an den Staatsanwalt streiften, totgeschosfen hat. Seine Tochter aber saust seitdem in der Welt herum, immer auf der Jagd nach der großen Partie . . ."
Henner war aufgesprungen. „Franz, wahr' dich, du sprichst von der zukünftigen Frau von Sacrow . . .!" Der Hausherr aber reckte die untersetzte Gestalt heraus, schlug mit einem Klatschen die festen Hände auf dem Rücken ineinander und vollendete trotz eines abmahnenden Blickes der Gattin den begonnenen Satz: „. . . und da sie diese anscheinend auswärts nicht gefunden hat, ist sie in die alte Heimat gekommen, um zu guter Letzt hier noch einmal ihr Glück zu probieren! Was aber dein Anschreien betrifft, mein Jungchen: ein Hundsfott wär' ich, aber nicht dein Freund, wenn ich, wo du so lichterloh brennst, mit einem Gießkännchen angekommen wär', statt gleich mit der großen Feuerspritze! Also setz' dich jetzt nur ruhig wieder hin — Annemie, sieh mal nach, ob für ihn und mich noch ein Glas Bier da ist — und dann wollen wir ganz aisemang und dusemang den Fall erörtern. Haben ja noch Zeit, mein Dienst fängt erst um halber Sechse an!"
Frau Annemarie hatte sich erhoben und Henner ein Glas Bier kredenzt. „Da, Franz hat recht, beruhigen Sie sich mal erst ein bißchen. Und entschuldigen Sie, wenn er so grob herausgeplatzt ist, aber es war ein zu merkwürdiges Zusammen
treffen. Den ganzen Abend über war nämlich hier von der Komteß Prahlstorff die Rede — die Herren hatten es mittags im Kasino von dem Grafen Rehna erfahren, daß sie vor acht Tagen wieder nach Hause gekommen wäre — na und da wurden denn die ganzen, wie es scheint, nicht besonders erquicklichen Verhältnisse durchgesprochen. Uns beiden waren all' die Geschichten neu, und ich muß sagen, ich Hab' erst mit Interesse zugehört, dann aber mich geärgert, denn der Hauptmann Kreienberg erzählte, dieser Graf Rehna hätte in allerdings nicht mehr ganz nüchternem Zustand allerhand Andeutungen gemacht, als wäre er vor einem Rendezvous mit dieser jungen Dame am heutigen Nachmittag ausgekniffen, weil's ihm zu gefährlich gewesen wär', hält' er gesagt. Na und wie nun unsere Gäste fort sind, entrüst' ich mich ein bissel über diesen Kavalier, der da aber stellt sich auf und sagt: ffPaß auf, Annemie! In die Richtung von Ouessendorf ist er geritten, und er hat schon immer so 'e Glück, der gute Henner, also morgen mittag kommt er her und erzählt uns, er hätt' sich in diese sagenhafte Komtesse verliebt. Aus welchem andern Grund sollte er sonst wohl heute abend, dazu noch ohne Entschuldigung, fortgeblieben sein? ll Ich lach noch und sag': .Geh, Alter, mach Tünz'Z aber zehn Minuten später stehen Sie hier im Zimmer und erzählen uns wirklich, was der da" — sie wies auf ihren Gatten — „prophezeit hat!"
Henner hatte sich in seinen Stuhl Zurücksinken lassen und starrte vor sich hin. Er versuchte das eben Gehörte mit dem zu vergleichen, was ihm Alix erzählt hatte, als sie nach dem Abendessen vor der Ouessendorfer Parkveranda auf und niedergingen, von dem Jagdunfall, der ihren Vater das Leben kostete, von dem dadurch notwendig gewordenen Verkauf der Güter, und das alles hatte so wahrhaftig und aufrichtig geklungen, aber der Schlag da jetzt eben war zu jäh gewesen, er vermochte seine Gedanken nicht so klar zu ordnen, um Wahres vom Falschen zu unterscheiden. „Ja . . . sehr merkwürdig", sagte er schließlich mehr zu sich selbst als zu den beiden andern.
Frau Annemarie hatte inzwischen mit dem Gatten einen Blick gewechselt, auf den dieser nur mit einem Achselzucken antwortete. Jetzt trat sie zu Henner hin und legte ihn: tröstend die kleine Hand auf die Schulter. „Ach Gott, lieber Henner, die Leut' schwätze viel daher, am allermeist', wenn sie 'nem andere was ahänge könne! Ich mein' also, selbst prüfen ist das allerbest'! Nicht übereilen und genau zusehen natürlich, aber dann auch nach dem eigenen Kopf handeln. Und der Grobian da hätt' seine Bedenken auch vielleicht in sanftere Worte kleiden können!"
Henner zog die Hand seiner Freundin dankbar an die Lippen und. nahm den hingeworfenen Gedanken begierig auf. „Ja, fährt mir gleich in die Parade, daß ich fast auf den Rücken schlage. Und gewiß werd' ich prüfen; aber wer wagt denn Zu behaupten, sie Hütte mich belogen, als sie nur heute von einem Unfall erzählte? Man hat's ihr erzählt, ihr Vater- Hütte so geendet, und sie weiß es nicht anders. Was aber geht's mich denn an, was ihr Vater getan hat und was vorder Stunde gewesen ist, in der wir uns kennenlernten? Unser Leben hat doch erst heute angefangen, und wenn ihr vorgeworfen wird, sie wäre drauf ausgewesen, sich zu versorgen, was beweist denn das? Doch nur, daß sie bisher noch keinen Mann getroffen hat, um den sich's verlohnt Hütte, all den: Glanz, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, zu entsagen! Und habe ich vielleicht das Recht, da einen Stein aufzuheben? Wenn mich Heiratsgedanken plagten, habe ich da je etwa an ein armes Mädel gedacht? Traurig genug, daß der Rock da, den wir tragen, uns auch nach dieser Richtung hin nichts als Schranken auferlegt!"
Der Hausherr war plötzlich ganz ernst geworden. „Ach nein, lieber Henner, nur die allernotwendigsten, um nämlich den verheirateten preußischen Offizier davor zu bewahren, daß er zum Proletarier wird, daß er zum Dienst nicht mit schiefgetretenen Stiefelabsätzen und schäbigen Nahrungssorgen gehen muß. Wenn du die Liebenswürdigkeit haben willst, dir die
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