Heft 
(1906) 39
Seite
818
Einzelbild herunterladen

-0 818

einmal zu besuchen. Zwischen Frauen bespricht sich so etwas leichter, und ich will ihr gern aus meiner, doch immerhin dreijährigen Erfahrung . . . nicht abreden," fuhr sie be­schwichtigend fort, als Henner eine rasche Bewegung machte, wie sollte ich wohl dazu kommen? Wenn sie aber durch mich über das aufgeklärt ist, was ihrer an Sorgen und Pflichten harrt, dann, Henner, stellen Sie die entscheidende Frage. Und an ihrem Gesicht werden Sie es sehen, ob sie's ehr­lich meint. Steht darin die heilige Entschlossenheit geschrieben, mit Ihnen durch dick und dünn zu gehen, wie es auch kommen mag, gut, dann wagt es miteinander. Wenn aber nicht, lieber Henner, dann nehmen Sie Ihr Herz in beide Hände und trösten sich: Bin einem bunten Vogel nachgelaufen, als ich ihn aber bei den Federn griff, da sah ich, daß er keine Seele hatte!"

Er zog die beiden kleinen Hände nacheinander an die Lippen.Gute Nacht, Frau Annemarie, und haben Sie Dank. Aber haben Sie mir wirklich keinen bessern Rat mit auf den Weg zu geben? Keinen bessern Rat, als prüfen, warten und noch einmal warten?"

Sie schüttelte den Kopf mit den dicken schwarzen Flechten, die wie eine dunkele Krone über dem feinen, klugen Gesichtchen standen.Nein, Henner! Denn im innersten Herzen muß ich meinem Mann recht geben. Es ist ein schwerer Weg, und es gehört viel, viel mehr Liebe dazu, auf ihm nicht Zu erlahmen, als eine flüchtige, heiße Stunde hergeben kann. Und der ,Scheffel Salz' ist ein zwar prosaisches, aber um so wahreres Wort. Man muß ihn wirklich miteinander gegessen haben, um auf den Punkt Zu kommen, auf dem man praktischer Philosoph wird. Alle paar Tage aber eine Anfechtung: Warum gerade mir so? Warum gerade mir dies Leben voll von Entsagungen und grauen Pflichten, die nur durch die Art der Betrachtung eine freundlichere Färbung gewinnen? . . . Die bunten Schmetterlinge, die nicht zu rechnen brauchen, haben's viel leichter, und es gehört viel Tapferkeit dazu, den häßlichen Neid immer wieder aufs Haupt zu schlagen, nament­

lich, wenn man selbst früher ein so bunter, sorgloser Schmetterling war ... na, Gute Nacht, Henner! ..."

Gute Nacht, Frau Annemarie ..."

» *

2 -

Er ging durch die stahlblaue Dämmerung des aufsteigen­den Morgens nach Hause, scharf zeichneten sich in dem schleier­losen Licht die armseligen Konturen der niedrigen Häuser ab; sein sporenklirrender Tritt weckte in der stillen Gasse lauten Widerhall, und mißtönend hoben sich aus Dachrinnen und Baumgezweig die Stimmen der erwachenden Spatzen. Ver­flogen war die übermütige Siegerstimmung, das traumhafte Glückseligkeitsgefühl, der nüchterne Werkeltag zog wieder auf. Fünf Uhr dreißig stand die Kompagnie feldmarschmäßig auf dem Kasernenhof, die Aufgaben für die beiden Vizefeldwebel, die ihre Offiziersprüfung ablegen sollten, waren noch zu über­denken . . . keine der üblichenTürken", denn der Kommandeur hatte sich angesagt. . . eine reichliche Faust voll Rosen mußte er auch noch natürlich am Vormittag nach Ouessendorf hinüber­schicken . . . natürlich, das war doch das wenigste, was sie beanspruchen durfte, zum Zeichen, daß er ihrer gedacht hatte . . . eigentlich hätten dazu ein paar nette Verse gehört, aber am Ende war's wirklich besser, sich nicht gleich von vornherein so fest zu binden. . . Unsinn, die dunkeln Augen, die sich heut abend tief in die seinen versenkt hatten, konnten nicht lügen! Darin hatte es gestanden: mit dir geh ich durch Feuer und Wasser, über Steine, Dornen und Tiefen. Also komm, faß an, herzallerliebster Schatz, spring mit mir über die Flamme hinein in das heiße Leben! Wie in den alten Mären am Sonnwendtag die ritterbürtige Magd mit dem Schwertträger durch das Feuer sprang was jenseits lag, scherte sie den Tod und den Teufel! . . . Und ein heißes Begehren stieg in ihm auf, wie in dem Augenblick am Waldsee, da sich ein weißer, schlanker Arm mit ringgeschmückter Hand vor sein Gesicht ge­schoben hatte- (Fortsetzung folgt)

O-

Über Berufskrankheiten der Lehrer.

Von vr. Cohen-Kysper.

ach einer statistischen Erhebung, die einmal über die Er­krankungen vorgenommen wurde, die unter der Leipziger Lehrerschaft während eines Jahres vorgekommen waren, fand sich, daß 28 v. H. aller Fälle die Atmungs- und Sprachorgane betrafen. Eine andere Umfrage, die unter den englischen Bolksschullehrerinnen angestellt wurde, kam sogar zu dem Ergebnis, daß 45 v. H. aller Lehrerinnen an ausgesprochenen chronischen Affektionen des Rachens und Kehlkopfes litten.

Das sind bedeutende Zahlen. Wenn auch die letztere

sicher mit Vorsicht aufzunehmen ist. Denn wenn man darauf

ausgehen wollte, seine Mitmenschen, ganz gleich welchen Be­rufes, peinlichst auf Veränderungen in den Halsorganen zu untersuchen, besonders diejenigen, die mit 16 bis 20 Atem­zügen in der Minute ebensooft eine Luft einatmen, die als Großstadtluft" in ihrer ganzen tausendfachen Verderbtheit ge­kennzeichnet ist, dann könnte man wohl zu der Ansicht ge­langen, daß normale Halsorgane seltene Ausnahmen seien.

Allein die Natur selbst ist gar nicht so peinlich. Die wunderbare Anpassungsfähigkeit des Organismus gestattet eine weitgehende Inanspruchnahme und Abnutzung besonders solcher Organe, die mit der rauhen Außenwelt am meisten in Be­rührung kommen, und infolgedessen auch Abweichungen von der strengen Norm, für die der Begriff der Krankheit doch noch nicht gerechtfertigt wäre. Aber immerhin weiß jeder Arzt und jeder Halsspezialist, daß die Lehrerschaft einen besonders starken Anteil zu den Erkrankungen der Organe stellt, die in ihrem Beruf am meisten gefährdet sind, nämlich zu katar­rhalischen Affektionen im Gebiet der Luftwege und Störungen

im Kehlkopf. Man hat daher wohl das Recht, von Berufs­krankheiten der Lehrer zu sprechen.

Verschiedene Ursachen treffen dabei zusammen. Zu­nächst das viele Sprechen. Anhaltendes Sprechen bewirkt eine stärkere Blutfüllung der Schleimhäute; diese wieder ist der Boden, auf dem schädliche Reize leichter ihre Wirkung entfalten können. Ein solch schädlicher Reiz kann im Winter allein schon die Schulluft sein, besonders dann, wenn nicht alle Forderungen der Technik und der modernen Hygiene er­füllt sind, wenn der Raum im Verhältnis zur Kopfzahl zu klein ist und wenn die Heizungsanlagen nicht den besten Systemen entsprechen. Dazu kommt dann noch die häufig schwierig zu lösende Aufgabe, gründliche Lüftung zu erzielen und dabei Zugluft zu vermeiden, und vor allem macht sich der rauhe Wechsel vom Warmen ins Kalte geltend, wenn der Lehrer, noch erregt vom Unterricht, den kalten Korridor be­tritt, oder wenn er unten im Hof die liebe Jugend zu über­wachen hat. Die Kinder sind dabei viel besser dran. Sie tummeln sich umher und vermeiden dadurch leichter Erkältun­gen. Auch pflegen sie sich für gewöhnlich durch ihren Anteil am geleisteten Pensum nicht so übermäßig erhitzen zu lassen; im Gegenteil, sie setzen ja leider den heißen Bemühungen um ihre Kultur häufig nur allzuviel Kälte entgegen.

Übrigens hat der Arzt auch bei Kindern häufig Gelegen­heit festzustellen, daß sie mehr an Erkältungen zu leiden beginnen, sowie sie erst die häusliche Ungebundenheit verlassen haben und die ernste Zeit der Schule für sie gekommen ist. Es zeigt sich dann schon vielfach das, was man eine katarrhalische