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Disposition nennt. Diese Erscheinung macht sich gewöhnlich schon frühzeitig bemerkbar, und gerade unser Thema läßt ein besonderes Wort darüber angepaßt erscheinen.
Es gibt Menschen, die kaum jemals einen Schnupfen haben. Sie gebrauchen ihre Taschentücher nur, um sich Vergeßlichkeitsknoten hineinzumachen. Es kommt sogar vor, daß sie sich aus diesem Grund für krank halten oder wenigstens nicht ganz vollwertig, denn ab und Zu ein tüchtiger Schnupfen, „wenn's recht herauskommt", das gilt als Erfordernis regelrechter Gesundheit. Es ist das noch ein Rest aus den alten Zeiten der Humoralpathologie, die die Krankheiten auf die „Säfte" des Körpers zurückführte, die, nebenbei gesagt, nachdem sie durch die exakte medizinische Forschung einmal gründlich ausgetrieben war, neuerdings auf dem gleichen Weg wieder zurückgekommen ist und in der Toxin- und Antitoxinlehre eine merkwürdige Wiederauferstehung gefeiert hat. Andere Menschen wieder können tun und lassen, was sie wollen, und kommen doch nie aus ihren Erkältungen heraus. Der geringste Anlaß genügt, um Katarrhe in den verschiedenen Teilen der Luftwege auszulösen. Es ist das eine Anlage, die man gewöhnlich bei mehreren Familienmitgliedern findet, die also auf Vererbung beruht. Denn auch pathologische Dispositionen können sich vererben, genau wie alle anatomischen Merkmale und psychischen Besonderheiten von den allgemeinen Charaktereigenschaften bis zu den Eigentümlichkeiten der Handschrift. Früher meinte man, daß sich die Krankheiten selbst vererben, und auch jetzt noch wird dem Arzt diese Frage öfter vorgelegt. Das gibt es nicht. Wo es scheinbar vorkommt, liegt eine Übertragung von Krankheitserregern vor. Was sich vererbt, ist nur die Neigung, auf gleiche schädliche Einflüsse in gleicher Weise zu reagieren. Findet sich also eine solche katarrhalische Anlage bei einem Kind, dann liegt, wenn die Frage der Berufswahl reif ist, alle Veranlassung vor, den Lehrberuf ausscheiden zu lassen.
Es wird in dieser Beziehung gar nicht so selten gesündigt. Vorbeugen ist alles. Späterhin, wenn die Schwierigkeiten bemerkbar werden, scheut man davor zurück, zu einem andern Fach überzugehen, und so gibt es viele Lehrer und Lehrerinnen, die immerfort mit dem Arzt zu tun haben, ohne daß man ihnen doch durchgreifende Hilfe bieten könnte.
Auch sonst will es scheinen, als ob den körperlichen Verhältnissen der Jugend, die zum Lehrerberuf bestimmt wird, nicht immer genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird. Vielfach scheinen in dieser Hinsicht falsche Anschauungen maßgebend zu sein. Es gibt Eltern, besonders in minderbemittelten Kreisen, die den Sohn gerade aus dem Grund für besonders geeignet zur Lehrtätigkeit halten, weil er ihnen zu schwächlich erscheint, um in die Werkstatt des Vaters mit einzutreten oder sonst ein Fach zu ergreifen, das vorwiegend körperliche Kräfte verlangt. Nun ist es ja richtig: der Lehrer, als geistiger Arbeiter, hat hervorragende Muskelkräfte nicht nötig. Wohl aber gehört doch ein solides Kapital von Nervenenergie Zu seiner Ausrüstung, und deswegen sollten schwächliche und gesundheitlich minderwertige junge Leute recht sorgsam geprüft werden, ob sie in dieser Beziehung den Anforderungen des Berufs gewachsen sind. Besonders die Zeit der Ausbildung ist dann häufig ein kritisches Stadium. Die Eltern sind oft nicht in der Lage, den Sohn zu ernähren, dann heißt es, mit kümmerlichen Stipendien Haushalten; dazu die einseitig geistige Tätigkeit, die Vernachlässigung einer harmonischen Ausbildung des Körpers, und dies zu einer Zeit der Entwicklung, wo sie am nötigsten wäre. Zweifellos wird in dieser Periode häufig der Grund zu späterer Neurasthenie gelegt, dieser Krankheit des Jahrhunderts, die, wie die Nervenärzte behaupten, ganz besonders häufig im Lehrerstand angetroffen wird. Ist doch der Lehrer auch später so oft nicht in der Lage, sich sorgenfrei seinem Beruf zu widmen. Wie viele, die ein zahlreiches Häuflein Kinder im Haus Zu füttern haben, müssen nicht die Zeit, die sie sich selbst gönnen sollten, auf Nebenarbeiten verwenden, um ihrem Budget etwas aufzuhelfen und die Sorge fernzuhalten. Denn, leider, eine der Hauptkrankheiten dieses sonst so herrlichen Berufes, die er allerdings, was
ja als schwacher Trost gelten kann, mit manchem andern teilt, das ist die bescheidene materielle Anerkennung seiner Leistungen.
Daß die Organe, die im Beruf des Lehrers vor allem in Tätigkeit kommen, einer besonderen Pflege und Überwachung bedürfen, versteht sich von selbst. So sollte zum Beispiel stets darauf geachtet werden, daß die Nasenatmung frei erfolgt. Denn dies ist die physiologisch richtige Atmung, da die Nase einen Filtrierapparat darstellt, der staubförmige Körper der Atmungsluft abfängt; außerdem wärmt sie die Luft vor und feuchtet sie an. Sie ist also eine Schutzvorrichtung für die tieferen und empfindlicheren Teile der Luftwege, und das sollte von allen, die viel zu reden haben, gewürdigt werden. Es sei aber bemerkt, daß unter normalen Verhältnissen alle Art Spülungen, die vielfach beliebt sind, unnötig sind.
Dann ist die Stimmhygiene ein wichtiges Kapitel und ein weites Feld. Und dies kann man in dem kurzen Satz zusammenfassen, daß die beste Fürsorge der richtige Gebrauch ist. Es ist klar, daß ein Organ, das so viel hergeben soll, eine gewisse Rücksichtnahme verdient; also vor allem sollten übermäßige Anstrengungen vermieden werden. Denn jeder Mechanismus wird sich um so länger leistungsfähig erhalten, je zweckmäßiger damit umgegangen wird. Durch nichts wird die Abnutzung aller Organe im Körper mehr beschleunigt als durch eine Überanspannung ihrer Funktion. Diese übermäßige Belastung braucht nicht allein in zu lautem Sprechen zu bestehen, woran übrigens auch viele Lehrer leiden. Besonders jüngere neigen im schönen Eifer für ihre Sache häufig dazu, die Eindringlichkeit ihres Vortrages durch die Gewalt ihrer Stimme erhöhen zu wollen. Hauptsächlich sind es die vielerlei Unarten und Fehler beim Sprechen, die eine übermäßige Anstrengung des Organs mit sich führen. Wie ein gut ausgebildeter Sänger auch nach einer großen Wagnerpartie völlig frisch sein sollte, so sollte man auch stundenlang reden können, ohne immerfort das Glas Wasser auf dem Pult ergreifen zu müssen oder gar am Schluß heiser zu sein. Also müheloses Sprechen, das ist das Ziel der vorbeugenden Stimmhygiene. Jeder kann sich durch Studien und Selbstdisziplin dazu erziehen und, vorausgesetzt, daß nicht besondere Anomalien vorliegen, seine Stimme dadurch zu andauernder Leistungsfähigkeit heranbilden. Er braucht nur nach dem Grundsatz des geringsten Kraftmaßes zu verfahren, d. h. so zu sprechen, daß er das Gefühl hat, die beabsichtigte Wirkung mit der kleinstmöglichen Anstrengung erzielt Zu haben. Alle Einzelheiten, die dabei noch in Frage kommen, z. B. Aussprache und Atemführung, ordnen sich diesem Zweck dann von selbst ein. Denn gerade die Funktion der Sprache läßt das Wunderbare, daß eine vorgestellte und gewollte Wirkung automatisch durch die Vereinigung vieler Einzelfunktionen erreicht wird, besonders hervortreten. Niemand denkt daran, einen Ton von gewisser Höhe und Stärke dadurch hervorzubringen, daß er diese oder jene Bewegung mit den Stimmbändern ausführt. Allein die Vorstellung des Tones genügt, damit alles übrige von unbewußten Funktionen, anfangs mit Schwierigkeiten, später durch die Übung immer leichter aus geführt wird.
Unzweckmäßiger Gebrauch der Stimme ist offenbar vielfach auch die Ursache für eine Erkrankung der Stimmbänder, die in jedem Beruf, der starke Ansprüche an die Stimme macht, heimisch ist. Es ist dies die Bildung eines kleinen Knötchens, gewöhnlich au: Rand der Stimmbänder, und zwar meist an einer sehr bezeichnenden Stelle, nämlich auf der Grenze zwischen vorderem und mittlerem Drittel der Stimmbänder, ein Umstand, der es allein wahrscheinlich macht, daß dies eine Folge anormaler Funktion ist. Übrigens sind es durchaus
harmlose Geschwülste, die heuzutage meist ohne Schwierigkeiten entfernt werden können. In früherer Zeit aber, vor der Erfindung des Kehlkopfspiegels, war solchen Menschen nicht zu helfen; daran muß man sich manchmal erinnern, um die wunderbaren Fortschritte der Medizin richtig zu würdigen.
Strenge sollte es auch vermieden werden, mit einer katarrhalisch erkrankten Stimme Unterricht zu erteilen. Das