lichkeit der Bourgeoisie in Frau Jenny Treibei noch satirisch zu attak- kieren, ohne den „Einzelexemplaren“, die gleichwohl „entzückend sein können“, sein „versöhnlich-nachsichtiges Wohlwollen “ 52 zu versagen, so war ihm dies gegenüber dem Geheimrat Schulze und den Zuständen, die er heraufzuführen half, nicht mehr möglich, jedenfalls nicht nach dem Kunstgesetz, unter welchem Fontane seine literarischen Figuren antreten ließ. In Bitterkeit verharrte er deswegen nicht, wie sehr'auch gerade damals Pessimismus, Niedergeschlagenheit und Krankheit ihn bedrängten. Mühsam genesend, lieh er nicht etwa der widersprüchlichen Anpassungsakrobatik einer geistigen Schulzenschaft die Stimme, sondern setzte, an seine „Kinderjahre“ anknüpfend, seine Lebenserinnerungen mit „Von Zwanzig bis Dreißig“ fort, bekanntlich unter Anwendung einer bewußten „Vermeidungstaktik“ (Wruck), welche das Ganze mit dem Schein versöhnlicher Humanität umgab.
Damit war gleichwohl nicht alles aufgearbeitet, was er an kritisch- politischem Rohmaterial in der „preußischen Idee“ hatte aufblitzen lassen. Er wollte einen politischen Roman schreiben und schrieb ihn. Es drängte ihn, sich mit Preußen, seinem Adel, seiner Bougeoisie und seinem Bürgertum auseinanderzusetzen. Erneut zeigte er sich dabei „von milder Observanz“, wie sie den alten Stechlin auszeichnet, indem er die zunächst geplanten Likedeeler mit ihrer „sozialdemokratischen Modernität“ und zugleich größeren Radikalität wieder beiseite legte, um noch einmal einem Repräsentanten des alten Preußentums Kontur zu verleihen, einem Manne von unbestechlicher Gesinnung, innerer Freiheit und Charakter, so sehr auch und gerade weil dessen Zeit abgelaufen war. Eine Huldigung zum Abschied? Schwanengesang Altpreußens vor dem Abendhimmel? Wunschbild und Selbstporträt zugleich? Längst stehen sie bereit, die Gundermanns und Koselegers. Zwischenstation auf dem „Ritt ins Bebelsche“? Daneben darf man freilich die Barbys nicht vergessen, den alten Grafen, Europäer und Weltbürger, und seine Töchter, welche in ihrer humanen Gesinnung und Aufgeschlossenheit wie ein „Vorgriff auf ein neues Jahrhundert“ erscheinen . 83 Aber auch Lorenzen und Torgelow weisen, freilich jeder auf seine Weise, in die Zukunft. Was die „preußische Idee“ am Denken und Handeln Schulzes, an politischen Themen, historischen Abläufen im Wechsel der Zeit, an Bedenklichem und Nachdenklichem exemplifiziert, wird im Stechlin auf viele Schultern verteilt und dem Leser nuanciert vorgestellt. Wiederum begegnen Heldentum, echtes wie verord- netes, begegnen ideengeleitetes Handeln, preußische Examina und opportunistische Karrieristen, das Junkertum und der „alte Sachsenwalder“. Der Sandboden der Mark — „vor allem der moralische“ — und die Pflichtethik Kants, Neuzeit und Experiment rücken ebenso ins Blickfeld wie die Problematik des Alten, der Kulturkampf und die Verdauungskraft des preußischen Adlers. Dabei geht es nirgends um Programmatisches, nichts wird dogmatisch festgeschrieben, Rezepturen erwartet man vergeblich. Mit Fontanes Option für einen politischen Roman im Medium der Kunst fiel zugleich seine Entscheidung gegen die weitere Ausgestaltung der „preußischen Idee“, konterkariert als geistige Schulzenschaft. Den politischen Journalisten der Märztage mochte er nicht wiederbeleben. Die
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