Heft 
(1985) 40
Seite
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Schärfe, die er um 1894 so manchem seiner Briefe beimischte, schlug auch diesmal nicht auf sein künstlerisches Schaffen durch.

Ohne Zweifel enthält das Fragment eine Reihe wesentlicher inhaltlicher, formaler und kompositorischer Ingredienzien Fontaneschen Romanschaf­fens. Man sieht umrißhaft, wie es hätte gehen sollen. Was sein Protagonist jeweils unter mehr oder minder großen Anpassungsschwierigkeiten für diepreußische Idee hält, formt sich ansatzweise zu Situationen, Szenen, Stationen nicht zuletzt zum Gespräch. Bekannte Fontanesche Kunst­mittel wie das Anekdotisdie, die Ansätze zum Gespräch und als dessen Fortsetzung mit anderen Mitteln der Brief finden sich. Auch zeichnet sich ab, wie in der begrenzten Individualität des Geheimrats Schulze zugleich das Gesellschaftliche transparent gemacht und Epochentotalität an­gesprochen wird. Nicht zuletzt finden sich die ironisch zugespitzten Verallgemeinerungen, die so oft von seinen dichterischen Figuren apho- rismenhaft angeboten werden, in derpreußischen Idee wieder:Bismarck hat immer recht.In dem kategorischen Imperativ steckt alles Heil. Wie sehr bereits der Stechlin hinter der Szene spukte, wird deutlich, wenn es im Fragment heißt:Ich bin ein Freund der Antithese, das Leben selbst liebt die antithetische Behandlung. 54 Im Stechlin liest sich das so:Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto besser. Daß sich diese Meinung mit der seinigen deckte, lag ihm fern zu wünschen. Beinah das Gegenteil. Paradoxen waren seine Passion. Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht. 55

Preußen ist für Theodor Fontane zeitlebens ein erregendes Thema geblieben, dessen kritische Aspekte mit den Jahren vorherrschend wurden. Dennoch galt ihm diepreußische Idee auch um 1894 nicht als leerer Wahn, wohl aber ihre Verfälschung zur Karikatur. Fontane hat Pflicht bejaht, aber nicht im Sinne eines klaglosen Versinkens im Morast des' Angermünder Schloßgrabens. Ihm wardie Freiheit Nachtigall; den Kulturkampf allerdings unter ihrem Banner geführt zu sehen, lief ihm zuwider. Gewiß:Gesinnung entscheidet. Aber, in diesem Falle ,was für' eine 1 ! 5 ' J Der Mensch kannernste, tiefe Ueberzeugungen hegen (die darum noch nicht wahr zu sein brauchen), ebensowenig wie Ideen, diefalsch oder richtig sein können, aberweit über alles Selbstische hinaus­gehen. 57 Wo jedoch alles,zum Theil ohne es zu wissen (und das ist das Allerschlimmste) in Staatspatentheit und Offiziosität steckt 58 , wo der Borussismus in seinen unerfreulichen Erscheinungsformen mit seinem staatlich aufgeklebten Zettel 59 dem Menschen seine Lebensstellung zu­weist, wo inunserer Alltags- und Durchschnittstretmühle ... alles nach der Anciennität, nach dem Examen und der Approbation geht 90 , da kann zumindest von Freiheit als Teil derpreußischen Idee nicht mehr die Rede sein.Dem Zweckdienlichen alles unterordnen ist überhaupt ein furchtbarer Standpunkt 01 , notiert Fontane im August 1893 an August von Heyden, und dies gilt Bismarck. Zu Recht betont Nürnberger, in seinem FragmentDie preußische Idee führe Fontaneseine perennierende Auseinandersetzung mit dem Reichsgründer ein Stück weiter. 02 Preußens und Deutschlands mächtiger Staatslenker selber hat, ohne es zu wollen, dem Umschmelzungsprozeß derpreußischen Idee Vorschub geleistet

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